Eine Zeit lang waren Deregulierung und Liberalisierung die Lieblingsvokabeln der Wirtschaftspolitiker. Im Zuge dieser Entwicklung wurden bisher staatlich organisierte Dienstleistungen privatisiert und klassische Schmuddelkinder der Wirtschaft wie Wetten und Glücksspiel galten plötzlich als ehrbare Branchen.
Vorreiter dieser Entwicklung ist Australien und dort kann man auch die Auswirkungen einer Politik sehen, die das Wirtschaftsgut Glücksspiel nicht anders behandelt als den Handel mit Hundefutter. Sichtbares Zeichen der Glücksspielmanie sind sogenannte Pokies – Glücksspielautomaten, die innerhalb weniger Jahre Australien erobert haben. Sie stehen überall und lassen die Umsätze der Branche sprudeln. Glücksspiel heute hat nichts mit dem Glanz der alten Spielcasinos zu tun. Heute wird in der Kneipe oder im Einkaufszentrum gespielt. Der Umsatz der Zockerbranche beträgt 24 Milliarden australische Dollar – das entspricht etwa 17 Milliarden Euro. Pro-Kopf soll der Australier jedes Jahr etwa 1000 Euro verlieren.
Australien wird zum Spielcasino
Das ist weltweit ein Spitzenwert, hinter dem sich ein unermessliches Elend verbirgt. Tatsächlich fallen die Verluste nicht statistisch gleichmäßig an, sondern konzentrieren sich auf die Gruppe der Hardcore-Spieler. Sodass diese nicht mit einem Verlust von 1000 Euro, sondern eher von 5000 bis 10000 Euro rechnen müssen. Der Thinktank Australia Institute hat 2017 mit einem Bericht auf das Problem aufmerksam gemacht. 183.000 Automaten überziehen das Land. Einer der Verfasser des Berichts, Bill Browne, sagte: "Australiens besitzt eine große Anzahl von Pokermaschinen und unsere Entscheidung, diese Geräte in Pubs und Klubs zu erlauben, machen uns zu einer globalen Anomalie. Australien hat nur 0,3 Prozent der Weltbevölkerung, aber sechs Prozent der Spielautomaten und 18 Prozent der Pokermaschinen." Was die Maschinen pro Person angeht, liegt Australien gleichauf mit reinen Spielcasino-Staaten wie Monaco und Macao.
Die Armen zocken am meisten
Es spielen keineswegs nur Personen, die Verluste verschmerzen können, sondern vor allem Personen, die wenig Geld haben und dort die lebenswichtige Unterstützung für ihre Kinder im Automaten versenken. Dr. Angela Rintoul, Forschungsstipendiatin am Australian Gambling Research Center, verglich für eine Studie zwei Regionen außerhalb von Melbourne – eine wohlhabende Gegend und eine arme. In der ärmeren Region standen doppelt so viele Pokie-Maschinen und die Pro-Kopf-Verluste waren sogar drei Mal s hoch. "Die Menschen, die es sich am wenigsten leisten können, so große Summen zu verlieren, verlieren immer am meisten", sagte Dr. Rintoul der "New York Times".
Die Spielindustrie nutzt alle Tricks, um möglichst viel Geld aus den Spielern herauszuholen. Guten Kunden können sich sogar ihre Lieblingsmaschine reservieren lassen. Für Spieler gibt es kostenlose Drinks, angeheuerte Models sorgen für die richtige Atmosphäre.
Der Bundesabgeordnete Andrew Wilkie kämpft seit Jahren gegen die Automaten-Flut. Er erklärte: "Wir wissen, dass Pokermaschinen viele soziale Missstände wie Kriminalität, häusliche Gewalt, Selbstmord und Kinderarmut verursachen oder zumindest verstärken."
Eine Macht wie die NRA in den USA
Die Schäden des Glückspiels überwiegen den Nutzen der Industrie bei Weitem. Dennoch hat in Australien ein verhängnisvoller Kreislauf eingesetzt: Ausgerechnet die Maschinen, die ganze Bevölkerungsgruppen verarmen lassen, sorgen bei den klammen Kommunen auch für sprudelnden Einnahmen. Die Kämmerer sind längst ebenso so süchtig nach dem Glücksspiel wie die Spieler. "Der Staat ist wie ein Dracula, der eine Blutbank leitet", sagte Pfarrer Tim Costello der "New York Times". Politischer Widerstand sei sehr schwierig, so der Anti-Glücksspiel-Aktivist. Laut Costello hat die Branche in Australien ebenso viel Macht wie die Waffenlobby in den USA. Einmal losgelassen ist es kaum möglich, die Glücksspiel-Branche wieder einzudämmen. Denn längst würden Gelder aus den Automaten entscheiden, wer regionale Wahlen in Australien gewinnt.