Geldanlage in unsicheren Zeiten "Nachhaltige Fonds sind vor allem ein Frauenthema"

Geldanlage in schweren Zeiten Thomas Kehl und Arno Krieger von Finanzfluss
Thomas Kehl und Arno Krieger hatten vor sieben Jahren die Idee zu Finanzfluss und trafen auf einen Nerv bei jungen Menschen, die ihr Geld anlegen wollen - oder in heutigen Zeiten: aktiv anlegen müssen, um überhaupt Rendite zu erzielen. 
© Finanzfluss
Thomas Kehl zeigt in Online-Seminaren und Podcasts wie Geldanlage für Einsteiger funktioniert. Mit dem Krieg in der Ukraine und den Sanktionen kamen die Fragen, wie man sein Geld rettet. Rein ins Nachhaltige oder lieber ein in die Rüstung.

Geldanlage ist heute eine mühsame Angelegenheit. Wer Rendite möchte, muss sich kümmern, sich auskennen. Laufend. Es ist das Mantra von Thomas Kehl und Arno Krieger. Und ihr Geschäft. Vor sieben Jahren starteten die beiden ihren YouTube-Kanal Finanzfluss. Jede Woche zwei Folgen rund um die Geldanlage für die jüngere Zielgruppe. Die beiden trafen einen Nerv. Mittlerweile sitzt Finanzfluss im trendigen Teil von Berlin-Mitte und hat über 900.000 Follower über diverse Kanäle von YouTube, Twitter, Discord und Instagram. Auf Twitch gibt es jeden Donnerstag ein Live-Event und auf dem Campus das Bezahlprogramm für Kleingruppen, die persönlich an die Hand genommen werden wollen. Finanzfluss ist unabhängig. Produkte werden nicht verkauft, das Team will Menschen befähigen, über ihre Geldanlage selbst zu entscheiden. Vor allem an der Börse. Wir haben mit Thomas Kehl über die nachhaltige Geldanlage in Zeiten von Krieg und Sanktionen gesprochen. 

Stern: Krieg, Sanktionen, Inflation. Kann man jetzt noch in ESG-Fonds gehen, wenn einem die Rendite lieb ist?

Thomas Kehl: Na ja, ESG ist für viele keine Renditefrage, sondern eher eine moralische oder ethische Entscheidung. Außerdem gibt es noch keine klare wissenschaftliche Antwort darauf, ob ESG nun mehr Rendite erwirtschaftet als normale Fonds.

Warum sollte ESG denn nicht renditestark sein?

Die ESG-Befürworter betonen das geringere Risiko. Firmen im ESG-Fonds müssen ja strenge Richtlinien auch hinsichtlich der Unternehmensführung erfüllen. Teure Skandale wie Wirecard und andere wären da schon mal außen vor. Die Skeptiker sehen durch den ESG-Boom eher die "normalen" Fonds im Vorteil. Wenn das große Kapital nicht mehr in "schmutzige" Branchen wie etwa Tabak investiert wird, dann werden zwangsläufig die Kapitalkosten für diese Firmen steigen – was dann auf der Anlegerseite zu höheren Renditen führt. Also, die Branchen, die von ESG außenvor gelassen werden, werden attraktiver.

Ethisch, Sozial und Unternehmensführung – klingt nach Kriterien, die von der Sichtweise abhängen.

Stimmt. Es gibt derzeit noch keine klaren Regeln. Nehmen wir mal Waffen. Der bisher kleinste gemeinsame Nenner bei allen ESG war: keine Waffen. Niemand braucht Bomben. Doch durch den Krieg in der Ukraine, die angegriffen um ihre Freiheit kämpft, kann das ethisch plötzlich ganz anders aussehen. Plötzlich beginnt man in der öffentlichen Wahrnehmung Waffen als Teil der Verteidigung der Freiheit als gar nicht mehr so schlecht einzuschätzen.

Gibt die EU nicht mit der Taxonomie diese Richtlinien vor?

Die EU will künftig mit der Taxonome für einheitliche Standards sorgen. Dennoch bleibt das Rating oft Auslegungssache. Plötzlich sind nach der EU-Taxonomie Gas und Atomenergie wieder nachhaltig klassifizier worden und damit ESG konform. Die Deutschen gingen dagegen vergeblich auf die Barrikaden, doch andere EU-Länder folgen der deutschen Sichtweise nicht.

Wie könnt es eine Lösung geben?

Ich glaube, die ESG-Rating-Branche wird nicht drumherum kommen, sich mehr zu fraktionieren und die Produktpalette breiter werden zu lassen, so dass sich jeder eben sein Produkt daraus zusammenstellen kann.

Es gibt heute bereits rund 6000 ESG-Fonds. Wer braucht da noch mehr?

Es gibt so viele, weil ESG eben kein geschütztes Lable ist. Jeder kann es nach seinem Gusto aufbauen. In einem MSCI-ESG-World kann alles Mögliche drin sein. Die EU versucht gerade das mit der Taxonomie zu regeln.

Hört sich komplex an. Würden Sie da dem Privatanleger den Einstig in ESG überhaupt empfehlen?

Es ist eben deutlicher komplexer in ESG zu investieren als in normale Fonds. Wer wirklich wissen will, in was genau er investiert, muss schon sehr genau hinschauen. Wer diesen Aufwand scheut, kann natürlich ein beliebiges Produkt mit ESG oder SRI im Namen kaufen.

Gibt es nicht zumindest grobe Indikatoren für ESG, für alle, die nicht ins Detail gehen möchten.

Es gibt verschiedenen Härtegrade von ESG. Je strenger die Anforderungen, desto weniger Firmen sind im Fonds. Nehmen wir zum Beispiel den MSCI-World-Index mit rund 1300 Firmen. Rating -Agenturen filtern diese Liste nun nach ESG-Kriterien. ESG-Screened ist die gröbste Filterung, dann folgen ESG-Leaders, ESG-Enhanced und bis zur strengsten Auswahl SRI "Socially Responsible Investing" also dem "Sozial verantwortliches Investieren". Legt man jeweils den Mutter-Index und die Filterung nebeneinander, bekommt man ein gutes Gefühl dafür, wie viele und vor allem welche Firmen, es noch in ein ESG-Rating geschafft haben. Je weniger Aktien im ESG-Index, desto schärfer waren die Ausschlusskriterien.

Nach was wird denn gefiltert?

Die softeste Filterung ist der Ausschluss bestimmter Branchen: Alkohol, Tabak, Waffen, Pornografie und Rüstung.  Und natürlich Firmen, die gegen UN-Richtlinien verstoßen haben. Das ist der kleinste gemeinsame Nenner bei ESG. Und danach werden zusätzliche Filterungen gesetzt. Zum Beispiel Carbon, also Industrie mit hohem CO2 Ausstoß. Da gibt es ESG-Fonds die sagen, wir schließen Carbon nicht aus, nehmen aber von den dreckigsten nur die saubersten. Also von den Erdölfirmen kommen nur die rein, die den höchsten Anteil an erneuerbaren Energien im Mix drin haben. Als Anleger kann man damit sozusagen die die vorbildlichen unternehmen innerhalb einer dreckigen Branche belohnen.

Komplex bei der Auswahl, unsicher bei der Rendite. Geht der ESG-Boom dem Ende entgegen?

Nein, ich würde eher sagen, er wird zur Normalität. Bereits vor dem Krieg in der Ukraine konnten beobachten, wie Fondsanbieter ihre klassischen Fonds um Nachhaltigkeitskriterien ergänzen – ohne dass deswegen der Fonds den Zusatz ESG bekommt. Das gilt auch für Börsenindizes selbst. Als der Dax von 30 auf 40 Firmen wuchs, wurden zugleich ganz leichte Nachhaltigkeitskriterien eingeführt. Der DAX wurde deswegen nicht gleich nicht DAX-ESG umbenannt. Er bleibt der normale Standard Dax.

Finanzfluss betreibt Live-Streaming für private Anleger. Ist ESG da ein Thema?

Offengestanden eher wenig. Ich glaube auch, dass ESG durch einen gesellschaftlichen Druck vorangetrieben wird. Die Fondsanbieter erleben hier eher einen sozialen Druck, solche Fonds anzubieten und nicht einen Pull-Effekt von Seiten der Anleger, die auf ESG bestehen und ansonsten nicht investieren würden. Diejenigen, die wir kennen, investieren in ESG, weil es das Angebot gibt. Ansonsten würden die ihr Geld auch „normal“ anlegen.

Gibt es Belege für diesen sozialen Druck?

Durchaus. Als Russland in die Ukraine einfiel und sich ein Umdenken in der europäischen Sicherheitspolitik abzeichnete, gingen Rüstungsaktien durch die Decke. Wir wurden überflutet mit Anfragen, wie man in Rüstungstitel einsteigen könnte. Bei unserer Recherche stellten wir fest, dass es in Deutschland keinen Defense-ETF zu kaufen gibt. Unter der Hand erzählte uns eines der großen ETF-Häuser, das sie aus Angst vor negativen Schlagzeilen keine militärische ETF ins Portfolio aufgenommen hätten.

Lohnt es sich denn jetzt in Rüstung zu gehen?

Anteile an deutschen Rüstungsfirmen kann man zwar ohne Probleme kaufen. Doch die Informationen über Aufrüstung und das Sondervermögen sind alle am Markt und eingepreist. Die Aktien der Waffenhersteller sind alle um 30 Prozent und mehr nach oben gegangenen. Solche Kurssprünge spiegeln an der Börse eine Erwartungshaltung für die Geschäftsentwicklung wider, schließlich haben ja nicht die Umsätze sofort um 30 Prozent zugelegt. Also, ich wäre da jetzt eher vorsichtig.

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