Vor dem Anwesen parkt ein Familien-Minivan. Mit Kuchen in der Hand klingelt eine Frau an der Tür. Ein Gruß für die neuen Nachbarn, auch Babysitten könne sie mal. Doch beim Treffen an der Haustür wird klar: Die Familienkutsche täuscht - die Neuen von nebenan sind ein schwules Paar. Werbung mit Homosexuellen wie der TV- Spot des Autoherstellers Volkswagen ist seit den öffentlichen Outings Prominenter, seit Homo-Ehe und dem Andrang Tausender zu Christopher-Street-Day-Paraden öfter zu sehen. Nicht nur aus Sicht der homosexuellen Szene verhelfen Schwule den Unternehmen zu einem weltoffenen Image, konkret ansprechen mag sie die Werbung allerdings noch immer kaum.
Vor allem das Firmenimage im Visier
Etwa acht Prozent der Männer in Deutschland - zwischen zweieinhalb und drei Millionen - sind Schätzungen zufolge schwul, bei den Frauen wird davon ausgegangen, dass drei bis fünf Prozent lesbisch sind. Wiederholt haben Studien ergeben, dass homosexuelle Männer sich stärker für Reisen, Mode und Körperpflege interessieren als ihre heterosexuellen Geschlechtsgenossen.
Die Kölner Marketingberatung Gofelix, auf Schwule als trendorientierte Zielgruppe spezialisiert, betont die Vorliebe homosexueller Männer für extrovertierte und spaßorientierte Freizeitbeschäftigungen. Da sie in der Regel keine Familien haben und nach letzten Studien durchschnittlich über bessere Bildung, Jobs und über mehr Geld verfügen, seien sie allgemein wesentlich konsumfreudiger als heterosexuelle Männer.
Lesben definieren sich anders
Das Potenzial wird nach Ansicht von Gofelix-Geschäftsführer Holger Linde nicht ausgeschöpft: "Gut gemachte spezifische Werbung für schwule Männer gibt es hier in Deutschland fast gar nicht". Dabei könne die ausgeprägte sexuelle Orientierung ruhig auch in der Werbung eingesetzt werden, allerdings nicht mit den althergebrachten Klischees. Anders bei lesbischen Frauen: Sie identifizieren sich nach Ansicht Lindes weniger als schwule Männer über ihre Sexualität und seien daher nicht so leicht über ein entsprechend ausgerichtetes Marketing anzusprechen.
Ein anderes Problem sei, dass manches spezielles Schwulen-Produkt zu lieblos aufgemacht sei: Kreditkarten oder Privatrenten für Homosexuelle müssten einen konkreten Mehrwert bieten - sie allein "rosa" zu nennen, reiche nicht aus.
Allerdings fürchten besonders Unternehmen für Mode und Kosmetik, sich mit Spots für Homosexuelle als schwul zu positionieren. "Nur über meine Leiche, heißt es immer wieder in den Vorständen", meint Linde. Diese Erfahrung hat auch Micha Schulze, Geschäftsführer des mittlerweile eingestellten schwul-lesbischen Magazins "Queer" aus Köln gemacht. "Unsere Verkäufer haben sich die Zähne ausgebissen", sagt er über gescheiterte Versuche, Anzeigenkunden zu gewinnen. Grund seien "die verkrusteten Strukturen" in den Firmen. Durch Werbespots mit Schwulen wollten sich Unternehmen zwar ein liberales Image geben, aber nicht Homosexuelle konkret ansprechen.
Viele Unternehmen fürchten die Nähe
"Wir zielen mit unserer Werbung nicht speziell auf Homosexuelle als Zielgruppe ab", heißt es bei Volkswagen. Die Kampagne für den Minivan ist nach Angaben von Holger Thurm aus der VW-Produktkommunikation "ein Spiel mit Überraschungssituationen": An Stelle von Familien kurvten Rockbands, Jungs auf dem Weg zum Campingtrip oder eben ein schwules Paar mit dem Wagen durch die Gegend.
Nach Ansicht von Volker Nickel vom Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft (ZAW) erlangt Werbung dadurch Aufmerksamkeit, indem sie versuche, das wirkliche Leben möglichst aktuell abzubilden. Schwule in TV-Spots zeigten die zunehmende Akzeptanz von Homosexualität in der Gesellschaft. Obwohl noch immer viele Unternehmen Angst hätten, mit Homosexualität in der Werbung konservative Käufergruppen zu verprellen, sei man heute schon viel weiter als noch vor einigen Jahren. Eine Werbung wie die von VW sei früher nicht möglich gewesen. "Da hätte man noch gesagt, das ist ein Schwulenauto, damit will ich nichts zu tun haben." (dpa)