Früher, als man noch auf Partys ging oder zufällig mit wildfremden Menschen ins Gespräch kam, haben Sie vielleicht auch mal einen überzeugten Hanf-Freund getroffen. Keinen Kiffer – sondern einen, der sich richtig auskennt. Meine Hanf-Bekanntschaft hieß Norbert. Er war Erdkundelehrer, wir saßen nebeneinander im Zug.
Nachdem ich seine naturweiße Umhängetasche fälschlicherweise als "schönen Jutebeutel“ bezeichnet hatte, ging es auch schon los: "Hanf! Eine der ältesten Nutzpflanzen der Welt. Völlig unterschätzt!“ Christoph Kolumbus, so ließ er mich wissen, entdeckte Amerika dank seiner Segel aus Hanf. Der robuste Tiefwurzler sei ein wahres Wundergewächs.

Tag der Erde
Jedes Jahr am 22. April findet weltweit der "Tag der Erde" statt, der die Wertschätzung für die Umwelt fördern und zum Nachdenken über den eigenen Konsum anregen soll. Die Medien der Bertelsmann Content Alliance nehmen den Aktionstag zum Anlass, um unter dem Motto "Packen wir's an" über Themen rund um den Klimawandel und den Zustand unseres Planeten zu berichten.
Genügsam, nahezu überall anbaubar und außer für Bekleidungsstoffe auch noch zum Dämmen oder als Tierfutter geeignet. Schuld an seinem Niedergang: die Baumwoll-Lobby und der US-amerikanische Marihuana-Tax-Act von 1937, der zur Kriminalisierung der Pflanze führte und die Baumwolle aufwertete. Hanf-Freunde zeichnen sich auch durch einen gewissen missionarischen Geist aus.
Nutzhanf ist seit Mitte der 90er Jahre legal
Seit Mitte der 1990er Jahre ist der Anbau von Nutzhanf auch in Deutschland wieder legal. Vor allem Modelabels, die kritische Kunden ansprechen wollen, preisen Hanftextilien als umweltschonende Alternative zur Baumwolle an. Das liegt auch am schlechten Ruf des konventionellen Baumwollanbaus, bei dem reichlich Chemie zum Einsatz kommt: Rund 25 Prozent aller weltweit versprühten Insektizide sowie elf Prozent aller Pestizide landen laut dem Naturschutzbund Nabu auf Baumwollfeldern.
Gift für die Natur und für die Menschen, die sie ernten. Dass der Baumwollanbau extrem viel Wasser verbrauche, ist jedoch ein hartnäckiges Vorurteil. Die Produktion eines Kilos entkörnter – also von Samen befreiter – Baumwolle verbraucht neuen Berechnungen des internationalen Baumwollsekretariats zufolge weltweit durchschnittlich 1.200 Liter Wasser. Weniger als Reis (2.300 Liter) oder Weizen (1.400 Liter). Außerdem wächst Baumwolle häufig dort, wo es ohnehin viel regnet – rund 55 Prozent des Anbaus kommen daher ohne künstliche Bewässerung aus.
Ein Kilo Hanffasern braucht demgegenüber nur etwa 300 bis 500 Liter Wasser. Die Pflanze gedeiht in beinahe jedem Klima und benötigt außerdem für denselben Ertrag nur halb so viel Fläche wie Baumwolle. Ihre größte Qualität ist, dass sie sich gegen Schädlinge selbst schützt und die Böden regenerieren kann.
Ein Nischenprodukt in der Bekleidungsindustrie
Trotzdem ist Hanf in der Bekleidungsindustrie noch ein Nischenprodukt. Stefanie Giesel, Mitinhaberin des auf Hanftextilien spezialisierten "Hanfhauses Reutlingen“, erklärt das Problem: Es fehlt an effizienten Techniken, um Hanffasern zu Garn zu verarbeiten. Die Strukturen wurden nach dem Anbauverbot nie wieder richtig aufgebaut, sodass Hanf heute in einem besonderen Verfahren für Baumwollspinnanlagen kompatibel gemacht werden muss – was sich negativ auf die Ökobilanz auswirkt. Anders ist das beispielsweise in China, wo die Hanf-Tradition nie unterbrochen war: Die Produkte des "Hanfhauses“ kommen von dort, zertifiziert nach dem "Global Organic Textile Standard“ für biologisch erzeugte Naturfasern.
Baumwolle versus Hanf: Beides sind Naturfasern, und eine Pflanze ist nicht böser als die andere. Was sie unterscheidet, ist ihre Kommerzialisierung. Es gibt keine "Fast Fashion“, keine Wegwerfmode aus Hanf. Die Kleidung ist reißfester als Baumwolle und hält daher länger. Hosen und T-Shirts sind in Giesels Laden die Bestseller. Zeitlose und chemiefreie Produkte, die man lange benutzt.
Laut Bundesumweltamt wird bisher nur ein Prozent der gesamten Baumwollproduktion nach überprüfbaren und abgestimmten Linien des ökologischen Landbaus angebaut. Beim Nischenprodukt Hanf ist das zumindest für die in Deutschland erhältlichen Produkte anders. Darum ist unser Ergebnis an dieser Stelle: eins zu null für den Hanf.