Köln, Belgisches Viertel: Das Quartier nahe der Kölner Innenstadt ist mega-angesagt. Hier gibt es schicke Boutiquen, Galerien, Szenecafés, Bars und beliebte Restaurants. Vom Hipster bis zum Öko tummeln sich hier alle, die das pulsierende Großstadtleben lieben. Die Mieten sind hoch.
Philipp Kraft (37) kam vor fünf Jahren durch einen Jobwechsel von Frankfurt am Main nach Köln und suchte vergeblich nach einer neuen Bleibe. Bis ihn ein Freund auf die Möglichkeit der Berufstätigen-WG aufmerksam machte. "Daraufhin habe ich im Internet recherchiert und Fotos von meiner jetzigen WG gesehen. Ich war sofort begeistert. Einige Wochen später konnte ich bereits einziehen", sagt der Marketingmanager. Seitdem lebt er mit zwei Mitbewohnern, beide IT-Berater, in einer zweistöckigen Vierzimmerwohnung von 150 qm – mit Dachterrasse und zwei Bädern. Die sehr große und topmoderne Wohnküche mit zweitürigem Kühlschrank und großem Flachbildschirm ist das Zentrum der WG. Mitten im Belgischen Viertel. Gesamtmiete: knapp 3000 Euro, 950 Euro pro Person.
Putzfrau statt Putzplan
Die Berufstätigen-WG unterscheidet sich von einer Studenten-WG vor allem durch das höhere Alter der Bewohner und die häufig exklusivere Ausstattung der Wohnung. "Allein könnte ich mir solchen Luxus nicht leisten", erklärt Philipp. Zudem sorgt eine gemeinsam bezahlte Reinigungskraft regelmäßig in allen Räumen für Ordnung und Sauberkeit. Damit sind schon mal viele der üblichen WG-Querelen ausgeschaltet.
In Sarah Krenz’ Berufstätigen-WG in Hamburg-St. Pauli wird selbst geputzt. Am Kühlschrank in der kleinen Küche findet jeder sein gezeichnetes Konterfei. Auf wen der Kühlschrank-Magnet zeigt, schwingt den Putzlappen. Aber nur in Küche und Bad. Sein Zimmer hält jeder der Bewohner selbst in Schuss. Das klappt bislang problemlos.
Die studierte Germanistin unterrichtet Deutsch als Fremdsprache und teilt sich die Dreizimmer-Erdgeschosswohnung von 60 qm mit Grafik-Designerin Nina (26) und Student und Krankenpfleger Max (39).
Sarah hat viel WG-Erfahrung und lebte sogar schon in einer 6er-Wohngemeinschaft in Zürich. "Dort hatten wir ein ganzes Haus", sagt sie. Die 33-Jährige liebt die Gemeinschaft und kann sich gar nicht vorstellen, nicht in einer WG zu leben.
Seit zwei Jahren wohnt sie zusammen mit Nina und Max auf St. Pauli. In ihrer WG ist Nachhaltigkeit angesagt. Es gibt kein Auto, sondern ein WG-Fahrrad, und geht in der Küche was kaputt, wird es aus Tauschboxen vom Straßenrand oder mit Geschirr vom Flohmarkt ersetzt. Jeder zahlt 300 Euro Miete. Ein Gemeinschaftsraum oder eine Terrasse existieren nicht. Sarahs Zimmer ist mit 13 qm das kleinste, liegt aber ruhig nach hinten raus, mit Blick in den Garten. Ihr Hochbett sorgt für mehr Bewegungsfreiheit. Im Verhältnis gesehen wohnt Sarah teurer als Philipp und zahlt mehr Miete pro Quadratmeter. Allein könnte auch sie sich eine Wohnung nicht leisten.
In manchen Städten ist sogar die WG ein Luxus
München hat noch teurere Mieten als Hamburg oder Köln: Dort kostet ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft so viel wie anderswo eine ganze Wohnung, über 600 Euro. Früher waren Wohngemeinschaften etwas für mittellose Studenten. Heute steht die WG bei alleinstehenden Berufstätigen hoch im Kurs, da Singlewohnungen rar und oft unbezahlbar sind. Außerdem kann man sich gemeinsam mehr Luxus leisten. Aktuell sind gut 36 Prozent der WG-Angebote im Internet als Berufstätigen-WG gekennzeichnet. Wer ein Zimmer in einer "Erwachsenen-WG" anbietet ist im Schnitt 29 Jahre alt.
Die Anzahl der WGs hat sich in den vergangenen Jahren auf hohem Niveau gehalten und sogar leicht erhöht, weiß der Vermittlungsdienstleister "WG-Gesucht.de". Den Datenerhebungen des Portals zufolge sind etwa 15 Prozent davon reine Frauen-WGs. Lediglich drei Prozent der Männer wollen lieber unter sich bleiben. Stuttgart ist die Stadt mit den meisten Berufstätigen-WGs und führt seit Jahren die Statistik an. Dann folgen München, Hamburg, Frankfurt am Main und Berlin.
Berufstätigen-WG als Lebenskonzept
Wer heute in Berlin eine Wohnung sucht, zahlt im Schnitt für eine 60 bis 80 qm große Wohnung fast doppelt so viel wie vor zehn Jahren. Hier haben sich die Preise bei Neuvermietungen um 82 Prozent erhöht. In ganz Deutschland um 34 Prozent. Elf Prozent der Haushalte erhalten Geld zur Unterstützung. Kein Wunder, dass sich in vielen Großstädten immer mehr Fremde zu Zweckgemeinschaften zusammenschließen. Dass sich daraus durchaus auch Freunde fürs Leben gewinnen lassen, sieht man an Philipp und Sarah.
Philipp ist passionierter Hobbykoch und brutzelt gern etwas für seine Mitbewohner Malte (30) und Jörg (37). Dann geht’s bei gutem Wetter hinaus auf die 40 qm große Dachterrasse, auf der Kübel mit Apfel- und Olivenbäumen sowie eine Hängematte zum Verweilen einladen. "Die Aussicht hier oben ist so toll, das sich mein Glück am Anfang kaum fassen konnte", erinnert sich Philipp Kraft. Beim Feierabendwein wird zu dritt das Neueste vom Tag ausgetauscht. Die Jungs haben gerne Gäste, viele der Nachbarn gehören "schon zum Inventar".
Berufstätigen-WGs rechnen selten auf
Dem Marketingmanager fiel es damals leicht, sich in seiner neuen Heimat einzuleben. Denn seine Mitbewohner kannten sich in Köln bestens aus. Was für ihn als Notlösung begann, stellte sich als optimale Lebensform heraus. Philipp ist nicht gern allein. Der geteilte Wohnraum bietet ihm Nestwärme und eine Ersatzfamilie. Inzwischen hat die Besetzung zweimal gewechselt, und nun ist Philipp "Dienstältester". Die Männer verstehen sich prächtig, schauen oft zusammen Fußball.
"Wir sind in einem Alter, in dem man nicht mehr jeden Cent umdrehen muss. Jeder bestellt mal einen Kasten Bier für die Allgemeinheit oder kauft etwas ein. Das gleicht sich immer wieder aus", hat Philipp festgestellt. "Bei uns hat auch nicht jeder sein Fach im Kühlschrank. Alles wird locker gehandhabt. Wir leben hier schon miteinander."
Ähnlich halten es auch die drei Hamburger. "Wir rechnen nicht einzeln ab“, sagt auch Sarah. "Wenn ich sehe, dass das Klopapier ausgeht, hole ich neues. Sobald einer von uns das Gefühl hat, mehr zu bezahlen, wird das besprochen. Streit gab’s deshalb noch nie." Sie haben eine What’s-App-Gruppe, in der sich abgestimmt wird. Kochen tun die Hamburger selten zusammen. Dazu sind ihre Lebensrhythmen zu unterschiedlich. Sie gehen aber häufig zusammen aus. Klar, wenn man mitten auf St. Pauli wohnt. Außerdem sind sie musikalisch. In Sarahs Zimmer hängen zwei Gitarren an der Wand. "Max und ich haben mit Freunden gerade eine Punkband gegründet", verkündet sie stolz. Auch das wird sie noch enger zusammenschweißen.
Eigenständig, aber nicht allein
Was ist mit der Privatsphäre? Wie anstrengend ist es, wenn frühmorgens der Erste mit Geschirr klappert und weit nach Mitternacht der Letzte in die Wohnung poltert? Muss man immer ansprechbar sein? "Wer für sich sein möchte, macht die Zimmertür zu", antwortet Philipp. "Klar ist die Privatsphäre ein stückweit eingeschränkt und man muss sich auf die Marotten der anderen einstellen. Aber bei uns klappt das ganz gut. Im Moment hat nur Malte eine feste Freundin. Die wohnt in einer 4er-Mädels-WG und kommt gern mal vorbei. Durch die Größe unserer Wohnung ist das kein Problem."
Wenn in Sarahs Hamburger WG alle Besuch haben, wird’s eng. "Neuralgischer Punkt ist immer das Bad", gesteht sie. "Aber dass wir in der Wohnung zu sechst sind, kommt zum Glück nur selten vor." Sarah muss zweimal in der Woche früh aufstehen und sagt das vorher an. "Damit keiner spätabends die Waschmaschine anstellt", erklärt sie.
Respekt , Rücksichtnahme, Großzügigkeit und Toleranz sind in beiden WGs sehr wichtig. Daran halten sich alle. Malte kennt auch Wohngemeinschaften, in denen es nicht so gut läuft. Daher ist er froh über Philipp und Jörg. "Die Berufstätigen-WG ist definitiv ein Modell, das Zukunft hat", sagt Philipp Kraft.
Wie lange sie noch zusammenleben werden, ist unklar. Schließlich passiert in diesem Alter sehr viel. Die Zeit zwischen Ende zwanzig und Ende dreißig ist geprägt vom Aufstieg im Beruf, der Suche nach dem richtigen Lebenspartner und dem eigenen Lebensentwurf. Da ist es schön, wenn man nicht allein ist und sich ein wenig Komfort und Heimeligkeit leisten kann.