Sie habe ihren Mitarbeitern etwas Anderes bieten wollen als andere Unternehmen, sagte die Geschäftsführerin des Bildungstechnologie-Startups Fiveables, Amanda DoAmaral, dem "Guardian". "Co-Living", also praktisch ein WG-Leben mit ihren Mitarbeitern, erschien ihr dabei die vielversprechendste Idee zu sein. Mittlerweile lebt sie mit dem zweiten Geschäftsführer Tan Ho und drei ihrer Mitarbeiter gemeinsam in einem Haus in Milwaukee – und teilt sich mit ihnen Küche, Bad und Wohnzimmer. Auch Wochenenden, Feiertage und Geburtstage werden seit der Corona-Pandemie gemeinsam verbracht, die Kollegen und ihre Chefs sind häufig rund um die Uhr zusammen.
Gemeinsam gegen die Lockdown-Einsamkeit
Gerade in Zeiten von Lockdown und Pandemie kann so eine Arbeits-WG einige Vorteile mit sich bringen – insbesondere, wenn man für den Job umgezogen ist: "Bevor ich hierher gezogen bin, hatte ich nicht allzu viele Interaktionen mit anderen Menschen, was mich irgendwie einsam gemacht hat. Ich bin ein Menschenfreund. Ich möchte mit anderen Menschen persönlich sprechen", erklärt einer der Mitbewohner den Grund für seinen Einzug in das Haus seiner Chefs. Es habe sich ein tolles Gemeinschaftsgefühl entwickelt. Zudem bietet das Startup seinen WG-Bewohnern weitere Vorteile: Im Haus gibt es einen vollausgestatteten Fitnessraum, Chef Ho liebt es, Drei-Gänge-Menüs für gemeinsame Abendessen zuzubereiten, das erste Jahr ist mietfrei bei vollem Gehalt und sogar der Umzug in das Haus wird vom Unternehmen finanziert.
Doch wie fühlt es sich an und wie verhält man sich, wenn man den eigenen Feierabend unter den Blicken der Chefs verbringt? Jegliche professionelle Distanz wird in einer WG hinfällig, insbesondere wenn der Arbeitgeber nur ein paar Schritte über den Flur entfernt lebt. "Ich wollte sie beeindrucken. Also war ich ein bisschen nervös. Ich wusste nicht wirklich, was ich sagen oder tun sollte", sagt einer der Mitbewohner über seine ersten Tage im neuen Zuhause. Würde einem die nicht abgespülte Pfanne als Faulheit ausgelegt werden? Welchen Einfluss hat das eigene Verhaltenen nach Feierabend, womöglich bereits das Feierabendbier, auf die Beurteilung der Arbeitsleistung?
Sie würden niemanden feuern, nur weil er nach Feierabend etwas Spaß habe, sagt Chefin DoAmaral dem "Guardian". Doch wie auch in der realen Arbeitswelt gäbe es auch in der Arbeits-WG Grenzen: "Wenn es einen Streit zwischen Leuten gäbe und wirklich schreckliche Dinge gesagt würden ... rassistische, sexistische oder homophobe Dinge – wenn einige ihr wahres Gesicht zeigen würden, wäre das wirklich besorgniserregend", sagt sie. "Jemanden zu feuern ist scheiße. Aber wenn man zusammenlebt, muss man sie auch rauswerfen." Es sei schon vorgekommen, dass ein Mitarbeiter wenige Tage nach seinem Einzug bereits wieder seine Koffer packen musste. "Jeder Konflikt, den wir haben, muss normalerweise sehr schnell gelöst werden. Denn wir wollen nicht, dass das unsere Arbeit beeinträchtigt", erklärt Ho.
Nur samstags wird nicht gearbeitet
Mitarbeiter, die ihren Arbeitsplatz praktisch niemals verlassen müssen, sind eine lukrative Angelegenheit für Arbeitgeber. Alle Bewohner bezeichnen sich selbst zudem als Workaholics – nur den Samstag nähmen sie sich vollkommen frei.
Vermutlich fällt es auch schwer, sich einen Tag freizunehmen, wenn alle Mitbewohner inklusive der eigenen Chefs fleißig sind und genau mitbekommen, womit man seine Zeit stattdessen verbringt. Für das Startup selbst läuft es dabei sehr gut: Fiveables verfügt über eine Förderung von 3,2 Millionen Dollar, mehr als 850.000 Studenten nutzen mittlerweile ihre soziale Lernplattform. Ein Leben nach der Arbeits-WG können sie die meisten Mitbewohner erst mal nicht vorstellen: "Es ist beängstigend. Ich denke darüber nach, alleine zu leben. Ich denke, das klingt irgendwie nett – ich könnte einfach in meinem Haus herumlaufen und kochen, wenn ich will.(...) Aber dann wird es andere Zeiten geben, in denen ich einsam sein werde. Hier sind immer Leute da."
Quelle: "The Guardian"