Bei der größten Ärztedemonstration in der Geschichte der Bundesrepublik sind rund 30.000 Praxis-Ärzte gegen die Einsparungen im Gesundheitswesen auf die Straße gegangen. Viele der bundesweit etwa 100.000 Praxen blieben geschlossen. Zum zweiten Mal seit Jahresbeginn machten die niedergelassenen Mediziner in Berlin ihrem Unmut über die ihnen nach ihren Worten von Schwarz-Rot verordnete "Rationierungs-Medizin" mit einer Demonstration Luft. Gesundheitsministerin Ulla Schmidt forderte die Ärzte zum Einlenken auf.
Die Demonstration markierte den Auftakt zu einer "nationalen Protestwoche", in der von kommender Woche an Protestaktionen und Praxisschließungen geplant sind. Beim ersten nationalen Protesttag Mitte Januar hatten rund 25.000 Mediziner demonstriert.
"Wir sind keine Billigarbeiter"
"Wir wollen nicht länger hoch qualifizierte Leistungen zu Dumpingpreisen erbringen müssen", sagte der Präsident der Bundesärztekammer, Jörg-Dietrich Hoppe. "Wir sind keine Billigarbeiter." Es könne und dürfe nicht sein, dass für die Defizite im Gesundheitssystem ständig die Ärzte verantwortlich gemacht würden.
Ministerin Schmidt sagte dazu: "Wir werden die Probleme nur lösen, wenn man sich an einen Tisch setzt." Die Ärzte sollten gemeinsam mit den Krankenkassen an einem gerechteren Honorarsystem arbeiten und nach Einsparungen suchen. Zusätzliche Mittel könne es nicht geben, das Geld müsse besser verteilt werden.
Kritik an der "Geiz-ist-geil-Mentalität"
Mit dem Protesttag wehrten sich die Ärzte gegen das neue Arzneimittelspargesetz, das zu Einsparungen von 1,3 Milliarden Euro pro Jahr führen soll. Dabei ist den Medizinern besonders die von Union und SPD im Bundestag beschlossene Bonus-Malus-Regelung ein Dorn im Auge: Sie "bestraft" mit Honorarabzug, wer überdurchschnittlich teure Arzneimittel verordnet. Die Kassenärzte kritisieren das als "Geiz-ist-geil-Metalität" zu Lasten der Kranken.
Das Bundesgesundheitsministerium wies den Vorwurf zurück, die Sparpolitik gefährde die Versorgung der Kassenpatienten mit Medikamenten. "Die Versorgung mit Arzneien war und ist sicher - für alle Patienten", hieß es in bundesweiten Zeitungsanzeigen des Ministeriums. Die Mediziner drohten, die Proteste noch bis zur Fußballweltmeisterschaft im Sommer auszuweiten.
24 Euro für einen nächtlichen Hausbesuch
Aus der Union zeigten Vizefraktions-Chef Wolfgang Zöller (CSU) und die gesundheitspolitische Sprecherin Annette Widmann-Mauz (CDU) Verständnis für die Forderungen der Ärzte nach angemessener Honorierung. Die DGB-Vize-Vorsitzende Ursula Engelen-Kefer sagte, der Ärzteprotest sei eine deutliche Aufforderung an die Kassenärztlichen Vereinigungen, die Vergütung und Honorarverteilung transparenter und gerechter zu gestalten.
Nach den Worten des Bundesvorsitzenden des Verbandes der niedergelassenen Ärzte Deutschlands (NAV-Virchow-Bund), Maximilian Zollner, wird Praxisärzten seit Jahren die Vergütung für etwa 30 Prozent der erbrachten Leistung vorenthalten. Für einen in der Nacht durchgeführten Hausbesuch erhalte ein Arzt nur etwa 24 Euro, sagte Zollner dem Fernsehsender N24.
Uni-Streiks gehen weiter
Die Drohung von niedergelassenen Ärzten, ihre Kassenzulassung aus Protest gegen die Sparpolitik der Regierung zurückzugeben, stieß im Gesundheitsministerium auf Unverständnis. Die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) wollen jedoch unter ihren Mitgliedern eine Umfrage starten, um zu klären, ob sie weiterhin das Mandat der Ärzteschaft haben. Ärzteverbände kritisieren, die KVen würden zunehmend von der Politik als "Erfüllungsgehilfe staatlich verordneter Verknappung" gegen die eigenen Mitglieder eingesetzt.
Im Tarifstreit um 30 Prozent höhere Bezahlung für Uni-Klinikärzte setzte die Ärztegewerkschaft Marburger Bund ihre Streikaktionen fort: In Ulm und Jena legten einige hundert Uni-Mediziner ihre Arbeit nieder. In Leipzig traten 250 Beschäftigte der Universitätsklinik in einen Warnstreik. Die abgebrochenen Tarifgespräche sollen in der kommenden Woche wieder aufgenommen werden.