Au-pair Oma Lindes Krautwickel

"I love you" war alles, was sie konnte. Dietlinde Risse, 64, wusste, dass sie damit nicht weit kommen würde. So buchte sie in Cottbus einen Englischkurs und ging als Au-pair nach Amerika. Und das soll erst der Anfang sein.

Die kleine Anastasia, vier Jahre, hat die Spuckerei. Die Nacht war hart, die Waschmaschine läuft ohne Unterlass, und Dietlinde Risse ist reichlich "busy", wie man hier sagt. Das ist ihr Job. Au-pair-Mädchen müssen so was machen. "Armes kleines Ding", sagt Dietlinde aus Cottbus. Sie sitzt im Wohnzimmer eines hellen Hauses in Plainsboro, New Jersey, eine gute Autostunde südwestlich von New York City, und erzählt von ihrem Traum, der 1998 begann.

Alternative zur Arbeitslosigkeit

Nachdem sie "ausgemustert wurde, so muss man das nennen", bei der Lausitzer Braunkohle AG. Sie war da 57, zu alt für einen neuen Job, zu jung, um nichts zu tun. Da kam ihr diese Idee. Warum nicht Au-pair? Die Welt sehen, neue Sprachen lernen, nachholen, was zu DDR-Zeiten nicht möglich war. Nun ist Dietlinde Risse, 64 Jahre, kurzes Rothaar, eine Au-pair-Oma und gehört damit einer seltenen Spezies an; sie hat noch von einer anderen Deutschen gehört, "in Kalifornien", aber das war's auch schon. Dietlinde Risse fragte nach bei diversen Vermittlungsagenturen, und die bedeuteten ihr: kein Platz für Omas. Obschon sie doch alle Qualifikationen mitbrachte - unabhängig, weil geschieden, tatendurstig, selbst eine Tochter großgezogen, ergo "mehr Erfahrung als die jungen Mädchen".

Sie gab nicht auf. Erzählte im Freundeskreis davon und auch einer aus Russland stammenden Bekannten, die das wiederum verbreitete, und irgendwann kam die Botschaft von Oma Risse auf Umwegen auch an in Übersee bei einer russischen Einwandererfamilie in Plainsboro, New Jersey. Wo sie nun lebt für drei Monate, Kost und Logis frei. Beaufsichtigt die zwei Kinder Nik, 16, und little Anastasia, "das arme Ding", kocht, wäscht. Und lernt Englisch.

Ohne Fremdsprachenkenntnis geht nix

Vor zehn Jahren reiste sie einmal mit der Tochter nach Kanada, um dort eine "gute Kumpeline" zu besuchen. Der einzige Satz, den sie damals beherrschte, war "I love you". Was zwar ein prima Anfang ist für jede Konversation, aber doch zu gewissen Missverständnissen führen kann. Sie belegte daraufhin Englischkurse in Cottbus und hat ihren kleinen Überlebenshelfer, den "Oxford-Duden unique phrasefinder", stets dabei. Inzwischen spricht Dietlinde Risse leidlich gut mit gelegentlichen Fehlerchen - cabbage (Kohl) und garbage (Müll) hören sich zwar ähnlich an, schmecken aber unterschiedlich. Und einmal verwirrte sie einen Gast der Familie. Im Salat sei auch "Ei", was der für "eye", Auge, hielt und ihn stark verwundert über kulinarische Vorlieben in Germany zurückließ. Aber sonst?

Die Familie liebt die Oma aus Deutschland, die Socken strickt und Krautwickel zubereitet und Pfannkuchen, wie gute Omas das eben machen. Und Dietlinde Risse liebt die offene Art der Amerikaner, "so unglaublich hilfsbereit und herzlich". Würde glatt wiederkommen und hat sogar schon über Geschäfte nachgedacht. Nicht wahr, die Gurken in den USA schmecken so furchtbar, und wenn sie könnte, würde sie glatt "Spreewälder" anbauen. Oder eine Konditorei eröffnen, Kuchen können die Amis auch nicht. Es gäbe so viel zu tun.

Omas fürs Ausland

Nach dem Ablauf ihres Visums kehrte Oma Risse nach Cottbus zurück - mit einer Idee im Gepäck. "Man müsste das richtig aufziehen." Wer sagt denn, dass nur sie diesen Traum hat auf die alten Tage? Vielleicht träumen Millionen anderer Omas auch vom Ausland und haben obendrein einen Wissensvorsprung auf die Jugend. Träume kennen keine Altersgrenzen. Eine echte Marktnische wäre das. Sie will sich jetzt mal erkundigen, im Internet recherchieren und nachfragen bei, Gott ja, "wie heißt travel-agency noch mal auf Deutsch?". Reisebüro, "genau". Dietlinde Risse klingt so, als wäre sie erst ganz am Anfang einer langen Reise. Gute Omas werden schließlich immer und überall gebraucht. "Neuseeland", sagt sie, "Neuseeland wäre schön als Nächstes."

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Michael Streck

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