Mittwoch, 12. September 2001, 06:29 (MESZ)
der schreckliche tag ist seit ein paar minuten vorbei, aber an schlaf ist noch nicht zu denken.
ich sitze hier mit ein paar freunden zuhause und schaue mir die news im fernsehen an. alle paar minuten tauchen ein paar neue hoffnungsschimmer auf, dass vielleicht doch noch einige ueberlebende geborgen werden, aber auch die zahlen der toten steigt staendig. als ich frueher nachhause wollte, wurde mir der zugang in meine strasse untersagt. ohne den brief, den ich zufaellig in meiner tasche mit mir trug, und der meine adresse auswies, waere ich erst gar nicht nachhause gekommen. denn meine wohnung befindet sich in dem sicherheitsgebiet. vom dach meines gebaeudes bot sich mir ein bild des grauens. eine enorme rauchwolke lag ueber ganz manhattan downtown. die einzigen geraeusche, die zu hoeren waren, kamen von den sirenen der notfall-fahrzeuge. ansonsten war alles still. Zu still. einige freunde von mir waren vorbeigekommen. Gemeinsam schauten wir uns den erschreckend-schoenen sonnenuntergang vor einer unglaulichen kulisse an. wir standen lange dort auf dem dach und hielten uns sprachlos im arm.
07:42
gerade ist vor meinem fenster am broadway eine unglaublich lange kolonne von armee-fahrzeugen, bussen und polizeiwagen vorbeigefahren. in den fahrzeugen saßen tausend armeesoldaten. ein bild wie im krieg. erschreckend und beaengstigend. die suche nach ueberlebenden geht weiter. ansonsten faehrt alle paar minuten ein feuerwehrwagen mit schreiender sirene vorbei. und alles, was wir hier in der wohnung sehen, sind die unheimlichen reflektionen der blaulichter.
14:49
nach einer sehr unruhigen nacht weckten uns die ersten anrufe von zu hause. die ganze nacht ueber klingelte das telefon vereinzelt. verwandte und freunde aus der ganzen welt wollten wissen, ob wir noch am leben sind. hier in der wohnung am broadway sieht es aus wie in einem zeltlager. da wir alle nicht alleine sein wollten, hatten wir die schreckliche nacht hier auf dem sofa und boden gemeinsam verbracht. ein blick auf die strasse ist gespenstisch:...
... wie ausgestorben liegt der broadway in der morgensonne. Es hat etwas von totenstille. kaum ein passant ist zu sehen. ich habe diese sonst staendig belebte strasse noch zu keiner tages- und nachtzeit so ruhig gesehen. der verkehr ist suedlich der 14. strasse lahmgelegt.
ich befinde mich ein block noerdlich der houston street. in der ferne sehen wir noch immer die rauchwolke, die uns die traurige wahrheit der gestrigen ereignisse beweist und die hoffnung darauf zerstoert, dass es vielleicht doch nur ein ganz boeser alptraum war. die fernsehsender haben wenig neuigkeiten. Wenige feuerwehrmaenner und polizisten konnten geborgen werden, ansonsten nicht neues. die menschen new yorks werden gebeten, heute nicht zur arbeit zu gehen, sondern zu hause zu bleiben bei familien und freunden. das geschaeftsleben ist fuer heute sowieso stillgelegt. die boerse geschlossen. unsere stimmung ist noch immer eine mischung aus fassungslosigkeit und trauer. wir werden wohl erst einmal unsere freunde in new york anrufen, die wir gestern noch nicht erreicht hatten. hoffentlich haben alle ueberlebt.
18:57
wir sitzen alle noch immer vor'm fernseher rum, hoffen irgendwelche neuigkeiten zu erfahren, schauen uns zum hundertsten mal den crash an und wissen nicht, was es sonst zu tun gibt. es herrscht totale lethargie. keiner mag was essen oder raus gehen. wir sind alle sehr erschoepft. und warten auf irgend etwas, das nicht geschehen wird. es ist schoen zu merken, wie einwandfrei die aufraeumarbeiten vorangehen, ein kleiner trost zu erfahren, dass noch immer menschen gerettet werden koennen. das krankenhaussystem funktioniert einwandfrei. es haben sich viele freiwillige aerzte und krankenschwestern zur verfuegung gestellt, die die nachtschicht heute frueh abgeloest haben. mittlerweile ist ganz manhattan downtown (suedlich der 14. strasse) fuer die oeffentlichkeit gesperrt. es riecht nach verbranntem plastik. moeglicherweise hat der wind gedreht und weht den graesslichen rauch nun in unsere richtung. draussen ist es etwas 'neblig'.
was wir heute noch machen werden, weiss keiner. wahrscheinlich gar nichts. vielleicht werden wir uns spaeter noch mit freunden treffen. das einzige, was man im moment tun kann: liebe menschen um sich versammeln.