Noch ist es nicht zu spät für Alitalia. Der neu gewählte Aufsichtsratschef Aristide Police hat dem maroden Konzern noch vier Tage Zeit gegeben. Bis dahin werden an der Mailänder Börse keine Alitalia-Aktien gehandelt. Am nächsten Dienstag will Police dann der Regierung mitteilen, ob die staatlich kontrollierte Fluglinie noch eine Chance zum Überleben hat. Wertvolle Zeit für das Management und Noch-Premier Romano Prodi. Sie werden alles daran setzen, den Air France Chef Jean-Cyrill Spinetta wieder an den Verhandlungstisch zurückholen.
Überzogene Gewerkschaftsforderungen
Die wochenlangen Gespräche über eine Übernahme der fliegenden Geldvernichtungsmaschine durch die französisch-niederländische Air France-KLM waren erst am Mittwochabend am Widerstand der Gewerkschaften gescheitert. Doch die überzogenen Forderungen der sich gegenseitig hochschaukelnden acht Gewerkschaften fanden selbst bei den Mitarbeitern keinen Rückhalt mehr. Nach dem Sanierungsplan sollten 2100 Mitarbeiter entlassen und die Alitalia Flüge von der Drehscheibe Milano Malpensa nach und nach reduziert werden. Für die 18.000 Beschäftigten wäre das, wie inzwischen auch die Gewerkschaften einsahen, das geringere Übel gewesen. Denn Alitalia steht kurz vor der Pleite - und das bereits zum fünften Mal.
Seit Jahren sucht die italienische Regierung vergebens nach einem Käufer für die schwer angeschlagene Flotte. Jeder Flugtag bringt der Airline eine Million Euro Verlust ein. In den vergangenen 15 Jahren sind bei dem Unternehmen 15 Milliarden Euro versickert. Um den Sinkflug aufzuhalten, schießt jeder italienische Steuerzahler jährlich 270 Euro zu. Doch allein im vergangenen Monat sind die Buchungen für internationale Flüge um 40 Prozent zurückgegangen. Somit scheint ungewiss, ob Alitalia die Gehälter im Juni noch an ihre Mitarbeiter auszahlen kann.
Drei Piloten pro Flug
Cesare Romiti, einer der mächtigsten Manager Italiens und Ex-Alitalia-Chef, macht das Missmanagement für das Desaster verantwortlich. Die Führungsgruppe sei nicht erlesen und unabhängig genug. Politik und Gewerkschaften, meinen Kritiker, hätten die National-Flotte für ihre Zwecke ausgeschlachtet. Für das Magazin Panorama ist Alitalia gleichbedeutend mit einem "Konzentrat der schlimmsten italienischen Laster". Mit zum Teil absurden Folgen. Wie das Wochenblatt berichtete, wurden erst vor wenigen Tagen, als die Verhandlungen über die bevorstehenden Entlassungen hochkochten, 401 Mitarbeiter mit Zeitverträgen aus dem Bodendienst übernommen. Dabei macht selbst ein Gewerkschaftsführer wie Luigi Angeletti aus dem Personalüberschuss keinen Hehl: "Alitalia könnte mit der Zahl seiner Piloten dreimal so viele Maschinen fliegen lassen. Mit seinem Verwaltungspersonal könnte sie zehn Unternehmen versorgen und der Call Center kostet zwei- bis dreimal soviel wie normal."
Legenden ranken sich um die Verschwendungssucht bei Alitalia. So sollen sich die Stewardessen von Chauffeuren abholen und bringen lassen. Als das Unternehmen versuchte, die Zahl der Flugbegleiter auf einigen Strecken von vier auf drei zu reduzieren, ließen die Betroffenen sich aus Protest krankschreiben. 200 Flüge mussten ausfallen, Alitalia lenkte schließlich ein. Nicht weniger verantwortungslos gingen die Politiker mit dem halbstaatlichen Konzern um. So ließ sich der frühere christdemokratische Transportminister Carlo Bernini eigens für seine Heimflüge aus der Hauptstadt eine Linie Rom-Treviso einrichten. Und fand bald Nachahmer. Der Berlusconi treue Ex-Innenminister Claudio Scajola setzte die Route Rom-Albenga durch und der Staatssekretär im Verkehrsministerium Mario Tassone die Linie Roma-Crotone.
Sponsoring für Politiker-Clubs
Aber Alitalia verschleuderte sein Geld auch direkt an Politiker. In den Genuss kam der Kickerverein Palermo Calcio, der vom Christdemokraten Sergio D'Antoni unterstützt wird. Gesponsert wurde ebenso der Baskettballclub Nuova Viola aus Reggio Calabria, der unter der Schirmherrschaft des Linksdemokraten Marco Minniti steht. Vom Geldsegen profitierten weiter verschiedene Firmen: Zu den Günstlingen zählt der Ex-Ministerpräsidenten-Sohn Giuseppe De Mita und ein anderer Firmeninhaber, Alessandro Maspes, Sohn eines früheren Aufsichtsratsmitglieds von Alitalia. Auch das Restyling des Bordmagazins "Ulisse" ließ sich der Konzern einiges kosten und holte dazu Stella Locci mit einem hochdotierten Vertrag. Locci machte schon bald von sich reden, indem sie kuriose neue Anzeigenkunden anwarb, etwa die Hersteller von Hundeparfüm "Yves Saint Bastard" und "Canel No. 5".
Auch beim 60-jährigen Firmenjubiläum, das vor wenigen Monaten mit großem Spektakel in Rom begangen wurde, wollte es sich die längst dahinsiechende Airline an nichts fehlen lassen. Parallel dazu stieg in New York aus demselben Anlass ein rauschendes Fest wie aus Tausend und einer Nacht. Das Motto des Abends: "Gold und Diamanten".