Airline-Pleiten sind eigentlich Horrormeldungen. "Tausende Urlauber hängen in der Türkei fest", hieß es bei der Insolvenz des Reiseveranstalters GTI Travel und der dazugehörigen Fluglinie Sky Airlines vor Jahren. Krisenstäbe werden gebildet, die den Rücktransport der gestrandeten Urlauber organisieren müssen.
Noch dramatischer war die legendäre Pleite der renommierten Swissair im September 2001. Mit einem Schlag blieben alle Flugzeuge am Boden. Nicht nur die Passagiere hingen fest, auch die Crews. Diese mussten ihren Rückflug in die Schweiz selbst organisieren und die Kosten mit der persönlichen Kreditkarte begleichen.
Derartig unschöne Szenarien sollen bei der Air-Berlin-Insolvenz unbedingt vermieden werden. Denn das Drama um Air Berlin ist nicht nur Wirtschaftsthema, sondern im höchsten Maße auch ein Politikum: Würden die Maschinen von Air Berlin nur wenige Wochen vor der Bundestagswahl an die Kette gelegt werden, wäre das nicht nur ein Supergau für das Management, sondern auch ein Versagen der Politik. Man denke sich nur die Schlagzeilen in der Boulevard-Presse: "Dobrindt und Merkel lassen deutsche Urlauber auf Malle im Stich."
Lufthansa als Retter
Zwar schlug am Dienstag die Nachricht der Insolvenz der zweitgrößten deutschen Fluglinie wie eine Bombe ein, doch lösten die Eilmeldungen keinerlei Panik aus. Denn der Staat springt mit einem Hilfspaket von 150 Millionen Euro ein. Der Flugbetrieb bleibt für die nächsten drei Monate gewährleistet.
Man muss keine Betriebswirtschaftslehre studiert haben, um zu wissen, dass Air Berlin nicht überleben kann. An der Sanierung haben sich fünf Manager in nur sechs Jahren erfolglos versucht, darunter auch Hartmut Mehdorn. Im Februar übernahm allerdings Thomas Winkelmann den Steuerknüppel in der Zentrale am Saatwinkler Damm in Berlin. Die überraschende Personalie ließ aufhorchen: Ein bewährter Manager der Lufthansa, der den Billigableger Germanwings groß gemacht hat, kann nicht ohne Zustimmung des Hauptaktionärs Etihad den Chefsessel von Air Berlin übernehmen.
Gleichzeitig haben sich die Golf- und Kranich-Airline in den vergangenen Monaten angenähert. Plötzlich vereinbaren ehemalige Konkurrenten mehrere Code-Share-Abkommen, machen gemeinsame Sache statt gegeneinander zu fliegen. Spielball der beiden: die Air Berlin: Die Araber möchten den Verlustbringer loswerden, Lufthansa ist auf die Strecken von Air Berlin scharf, um den ausländischen Billigfliegern keinen weiteren Raum zur Expansion in Deutschland zu geben.
Denn die Konsolidierung der Luftfahrt ist in vollem Gange. Auf der Kippe stehen Alitalia und Air Berlin. In Ländern wie Großbritannien, Spanien und Italien haben Rynair und Easyjet bereits einen viel höheren Marktanteil als in Deutschland. Noch beherrschen Lufthansa und Air Berlin die meisten Routen, besonders innerdeutsch.

Air-Berlin-Insolvenz: Von langer Hand vorbereitet
In einem geschickten Schachzug Winkelmanns, der als enger Vertrauter von Lufthansa-Chef Carsten Spohr gilt, wurden bereits drei Dutzend Air-Berlin-Jets umgespritzt, die mit ihren Besatzungen für Eurowings fliegen. Aus der Schrumpfkur von Air Berlin ist längst eine Aufteilung geworden. Lufthansa sichert sich als Hauptgewinner dabei die Filetstücke. Dann gibt es noch das Langstreckennetz von Air Berlin, das Winkelmann gerade von Berlin-Tegel zugunsten von Düsseldorf verschiebt. Alle Maschinen vom Typ Airbus A330-200 passen genau zur Interkontinentalflotte von Eurowings.
Die Insolvenz kam zwar plötzlich, weil das neue Management von Etihad in Abu Dhabi am vergangenen Freitag ankündigte, entgegen der Versprechungen kein Geld mehr in Air Berlin zu investieren. Aber die Anmeldung zur Insolvenz sah wie nach einem Drehbuch höchst professionell geplant aus - inklusive der Beruhigungspillen für Reisende.
Am Dienstag folgten auf die Insolvenz-Meldung die Statements von höheren Stellen, die wie abgesprochen wirken. "Menschen, die im Urlaub sind und mit Air Berlin zurückfliegen wollen, müssen sich also keine Sorgen machen, dass sie nicht mehr nach Hause kommen", sagte ein Vize-Senatssprecher in der Hauptstadt. Kurze Zeit später meldete sich der Geschäftsführer der Flughafengesellschaft, Engelbert Lütke Daldrup zur Wort, der in diesem Sommer eigentlich den Eröffnungstermin für BER-Flughafen nennen wollte. "Wir haben ein großes Interesse daran, dass der Flugbetrieb so stabil wie möglich fortgesetzt und zügig eine langfristige Lösung erreicht wird." Also alles gut?
Nein, denn die Flugbegleiter- und Piloten-Gewerkschaften warnen vor einer Zerschlagung der Airline, weil Mitarbeiter auf der Strecke bleiben werden. Neben ihnen gehören auch Flugreisende zu den Verlierern, weil die Ticketpreise durch den Wegfall der Konkurrenz bekanntlich steigen können.
Fest steht, dass Teile von Air Berlin veräußert werden. Verhandlungen mit potentiellen Käufern seien weit fortgeschritten. Der Ferienflieger Niki soll unter ein neues Dach schlüpfen. Ob es die Tui werden wird oder der Reiseveranstalter Thomas Cook mit seinem Ferienflieger Condor? Letztere haben ein "aktive Beteiligung an der Zukunft von Air Berlin" signalisiert.
Rhetorische Kämpfe
Am lautesten protestieren Ryanair-Manager, die in diesem Jahr in Deutschland zum Angriff geblasen haben und deren Jets sogar von Frankfurt, der Basis der Lufthansa, aus starten. "Diese künstlich erzeugte Insolvenz ist offensichtlich aufgesetzt worden, damit Lufthansa eine schuldenfreie Air Berlin übernehmen kann und dies widerspricht sämtlichen Wettbewerbsregeln von Deutschland und der EU", schimpft der Billigflieger. Für Ryanair sei die Insolvenz in Eigenverantwortung ein Komplott zwischen der Bundesregierung, Lufthansa und Air Berlin.
Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Ryanair könnte auch für Air Berlin bieten, wie die Iren es für die angeschlagene Alitalia lautstark verkündet haben.
Geld vom Staat hat Ryanair selbst jahrelang gerne genommen. So manche Flugverbindung hatte der Billigflieger von abgelegenen Airports nur aufgenommen, weil er Marketing-Gelder aus der öffentlichen Hand kassierte. Auch bei den gerade erst in Frankfurt gestarteten Flügen profitiert Ryanair von stark rabattierten Flughafengebühren - sehr zum Leidwesen des Platzhirsches Lufthansa.
Auch dürfte Ryanair-Boss Michael O'Leary nicht vergessen haben, dass seine Airline wegen der Sonderkonditionen am Flughafen Lübeck von Air Berlin verklagt wurde. Der Prozess zog sich über viele Jahre hin. Doch im Februar 2017 kam der Bundesgerichtshof zu dem Schluss, dass die Beihilfen rechtens waren.
