Mit dem "Amazon Prime Day" steigt am 16. Juli wieder das Highlight vieler Onlineshopper. 36 Stunden soll das Schnäppchen-Dauerfeuer des Onlineriesen in diesem Jahr dauern. Im vergangenen Jahr erwirtschaftete der Onlineriese an einem Tag weltweit rund eine Milliarde Dollar Umsatz - da kommen eine Menge Pakete zusammen. Auch bei DHL, Amazons wichtigstem Paketzusteller in Deutschland, hat man sich auf den Prime Day vorbereitet.
Bei derartigen Sonderaktionen "stimmen wir uns selbstverständlich im Vorfeld sehr genau mit unseren Kunden ab und planen die Kapazitäten in unserem Netzwerk entsprechend", erklärt ein DHL-Sprecher. "Ziel ist es, unsere Qualität in der Zustellung auch bei erhöhten Sendungsmengen gleichbleibend hoch zu halten und negative Auswirkungen auf die Lieferzeiten zu vermeiden."
Natürlich will DHL an der Shopping-Orgie auch ordentlich mitverdienen. Denn DHL ist nicht nur der wichtigste Logistikpartner für Amazon. Der Versandriese ist umgekehrt auch der wichtigste Kunde für die Paketsparte der Post. Es erscheint wie die perfekte Symbiose: Amazon verdient am Verkauf von immer mehr Waren, DHL an der Auslieferung von immer mehr Paketen.
Amazon spielt seine Marktmacht aus
Doch in jüngster Zeit wird die Abhängigkeit von Amazon für die Post zunehmend zum Problem. Denn Amazon ist nicht nur zum mit Abstand wichtigsten Großkunden aufgestiegen, der mit seiner Marktmacht spielen und Preise drücken kann. Der Onlineriese wird auch zunehmend selbst zum Konkurrenten, baut eigene Lieferketten auf und experimentiert sogar schon mit eigenen Packstationen.
Wie abhängig die Paketsparte der Post von Amazon ist, zeigte kürzlich ein internes Vorstandspapier, das dem "Handelsblatt" zugespielt wurde. Daraus geht hervor, dass DHL im Jahr 2017 insgesamt 253 Millionen Amazon-Pakete ausgefahren hat. Das entspricht 17,6 Prozent der gesamten DHL-Paketmenge - weit mehr als bislang öffentlich kommuniziert. Das Problem dabei: Amazon sucht zunehmend nach Wegen, seine Pakete günstiger an den Kunden zu bringen als per DHL-Bote.
Zum Beispiel mit anderen Paketdiensten. Denn obwohl DHL dem Großkunden Amazon schon günstigere Konditionen bietet, liegen die Preise offenbar immer noch über denen konkurrierender Dienste wie Hermes. Und diese beauftragt Amazon dann eben mehr. So wuchs laut der internen Post-Papiere im ersten Quartal 2017 das Paketvolumen von Amazon insgesamt um 30 Prozent gegenüber Vorjahr, die Amazon-Aufträge für DHL aber nur um 17 Prozent. Die Aufträge für Hermes sollen im gleichen Zeitraum um 45 Prozent zugelegt haben.
Die Post zieht die Notbremse
Nach außen hin wurden diese Probleme lange Zeit verschwiegen. Noch auf der Hauptversammlung im April erklärte Post-Chef Frank Appel, alle Geschäfte liefen planmäßig. Wenige Wochen später, am 8. Juni, musste er eine Gewinnwarnung herausgeben. Die Post- und Paketsparte werde 2018 statt der angepeilten 1,5 Milliarden Euro nur 1,1 Milliarden Gewinn machen. Zudem sei ein 500 Millionen Euro teures Sanierungsprogramm nötig. Die Post-Aktie brach daraufhin um acht Prozent ein, kurz darauf musste der langjährige Chef der Paketsparte Jürgen Gerdes gehen. Konzernchef Frank Appel übernimmt seine Aufgaben höchstselbst.
Um im Paketgeschäft in die Erfolgsspur zurückzukommen, muss Appel kämpfen, denn einfacher wird es künftig sicher nicht. Die größte Bedrohung für die schönen Gewinne in der Paketsparte könnte langfristig durch Amazon selbst kommen. Um weniger abhängig von DHL und anderen Paketdiensten zu werden, baut der Onlinehändler in den Ballungsräumen seit einiger Zeit eigene Lieferketten auf. Im Raum Frankfurt, in Köln/Bonn oder in München fährt Amazon bereits einen Teil der Pakete selbst aus, insbesondere die Abendlieferungen für Prime-Kunden. Obwohl die Lieferwagen teilweise mit dem Logo von Amazon fahren, sind die Fahrer nicht bei Amazon direkt angestellt, sondern bei regionalen Zustellunternehmen.
Amazon experimentiert mit Packstationen
Offiziell sieht man das bei der Post gelassen. "Amazon verlässt sich nachhaltig auf unsere Infrastruktur und unser umfassendes Paketnetz in Deutschland", sagt ein DHL-Sprecher zum stern. "Auch in Städten, in denen Amazon eine eigene Zustellung ausführt, stellen wir nach wie vor einen nicht unerheblichen Teil der Pakete zu." Und außerdem habe man das Wachstum von Amazon im deutschen Markt durch massiven Ausbau der Infrastruktur überhaupt erst möglich gemacht.
Doch intern macht man sich so seine Gedanken. Das Geheimpapier, aus dem das "Handelsblatt" zitierte, enthält eine interne Prognose laut der Amazon im Jahr 2022 rund 154 Millionen Pakete im Jahr selbst ausfahren könnte. Für DHL blieben in diesem Szenario 360 Millionen Pakete übrig. Auch mit Packstationen experimentiert Amazon bereits seit 2016. Einige Hundert der "Amazon Locker" genannten DHL-Konkurrenten stehen bereits an Shell-Tankstellen und Edeka-Supermärkten.
Dass Amazon es ernst meint mit dem Aufbau eigener Logistik-Kapazitäten, sieht man im Heimatland USA, wo die großen Entwicklungen immer zuerst zu sehen sind. Auch dort will sich der Onlineriese unabhängiger von Zustelldiensten wie UPS und Fedex machen. Zu diesem Zweck hat sich Amazon neben einer eigenen Lkw-Flotte auch gleich eine eigene Flugzeugflotte aufgebaut. Unter dem Namen "Amazon Air" fliegen aktuell 32 Frachtflugzeuge des Onlineriesen Waren durch die USA. Man darf gespannt sein, was sich die logistische Effizienzmaschine Amazon noch alles für Deutschland ausdenkt.
