Bahnstreik Stress ja, Chaos nein

Eine Reportage von Sebastian Wieschowski, München
Die Lokführer streiken, und alle Züge stehen still. Alle Züge? Nicht ganz. Viele Fernzüge sind am Freitagmorgen gefahren, sie wurden auch von Nahverkehrspendlern genutzt. Am Münchner Hauptbahnhof hat das zu einem kuriosen Fahrgastverhalten von Oktoberfestwütigen geführt.

Wer "a Maß" auf der Wiesn stemmen will, muss hart sein und früh aufstehen. Fünf Uhr morgens gilt jedoch nicht als normale Aufbruchszeit für Oktoberfest-Besucher. Trotzdem warten hunderte Wiesn-Besucher, die sonst gemütlich am frühen Mittag in Richtung der Theresienwiese losplätschern, in Lederhosen schon in der Dunkelheit auf ihre Bahn. Bahnsteige von Provinzhaltestellen wie Pleinfeld, Gaimersheim oder Petershausen, an denen an gewöhnlichen Werktagen um 5 Uhr nur wenige Pendler stehen, sind an diesem Morgen überfüllt. Weil die Bahn im Sinne ihrer Kunden eine regelrechte Tarif-Anarchie ausgerufen hat - Nahverkehrstickets sind auch im ICE gültig - wechselt man von der langsamen Bimmelbahn in den komfortablen ICE.

Die am Morgen sonst eher menschenleeren Schnellzüge sind deshalb hoffnungslos überfüllt. Die Massen haben nur ein Ziel: vor acht Uhr in München anzukommen. Wo sonst eine freundliche Stimme "Ihre nächsten Reisemöglichkeiten" ankündigt und auf Anschluss-ICEs, Regionalbahnen oder Eurocitys verweist, wird heute schroff die Liste der Problemverbindungen heruntergebetet: fällt aus, wird bestreikt, ersatzlos gestrichen. Den Grund für die Verzögerung - "wegen eines Streiks" - wiederholt die Durchsage immer wieder wortkarg.

Fast alle Regionalzüge bleiben stehen

Es ist nicht irgendein Streik, sondern der Ernstfall schlechthin, der seit Wochen erwartet wird: 1092 Fernverkehrszüge hat die Bahn in ihrem Sonderfahrplan gelistet, 368 davon fallen aus. Betroffen sind vor allem Intercity-Verbindungen und Nahverkehrszüge. Etliche Züge fahren zudem eine verkürzte Strecke. Betroffen sind vor allem Pendler, die aus der Millionenstadt an der Isar ins Umland pendeln wollen - fast alle Regionalzüge bleiben zwischen acht und elf Uhr in München stehen.

Während Berufspendler mit Ziel innerhalb von München die Verzögerungen mit Fassung tragen, sind vor allem Oktoberfestbesucher gereizt: ursprünglich sollte München mit Blick auf die Wiesn verschont bleiben, doch alle Sonderzüge zum Oktoberfest wurden gestrichen. Auch der S-Bahn-Takt wurde ausgedünnt: wo die Züge sonst minutenweise vorbei rauschen, verkehrt nur alle 40 bis 60 Minuten ein Zug. Lediglich die U-Bahnen, die vom Münchner Verkehrsverbund unterhalten werden, fahren planmäßig und verhindern einen Kollaps des stadtweiten Nahverkehrs.

ICEs bleiben stehen oder kommen nicht

Von dem Streikverbot für Fernverkehrsverbindungen ist in München dagegen nichts angekommen. Der Fernverkehr sei trotzdem betroffen, weil der Notfahrplan mindestens 24 Stunden im Voraus in Kraft gesetzt werden musste, teilt die Bahn mit. Deshalb bleibt der ICE nach Oberhausen stehen, der Intercity nach Frankfurt kommt gar nicht erst.

Weil einige Passagiere vom Hintergrund der Ausfälle und Verspätungen nichts mitbekommen haben, werden die Durchsagen in der Münchner Bahnhofshalle etwas deutlicher: "Wegen eines Streiks der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer ist der Zugverkehr heute deutlich eingeschränkt", ist über Lautsprecher ungefähr alle zehn Sekunden zu hören, wobei der Name der Lokführergewerkschaft wie ein Schimpfwort klingt, welches man nicht gern über die Lippen bringt. Lange Schlangen an den Informationspunkten sind trotzdem nicht zu sehen, obwohl zahlreiche Fernsehstationen seit dem frühen Morgen ihre Kameras auf die Serviceschalter richten. "Wir haben ein paar ratlose Reisende, aber insgesamt haben sich die Leute wohl gut auf die Verzögerungen eingestellt. Die Lage ist seit dem Morgen entspannt", sagt eine Servicepoint-Mitarbeiterin.

Hausverbote für Lokführer

Auch im Großraum Nürnberg sorgt der Streik für Stress bei Berufspendlern: der S-Bahn- und Regionalverkehr ist weitgehend lahm gelegt, auch Fernverkehrszüge sind betroffen. Ein Blick auf die Bahnsteige zeigt: Ungefähr jeder zweite Zug bleibt stehen. Betroffen sind vor allem Pendler, die aus dem Nürnberger Umland in die Stadt fahren. Ein ähnliches Bild in Hamburg: hier verkehren die S-Bahnen nur nach einem Notfallplan. Streikende Lokführer mit Plakaten sind in München und Nürnberg nicht zu sehen. Anders in Frankfurt: Am Hauptbahnhof habe die Bahn nach Angaben der GDL streikende Lokführer bedrängt, Hausverbote ausgesprochen sowie mit dem Einsatz der Polizei gedroht.