Ursula von der Leyen räumt schon zum zweiten Mal den Anti-Preis für Datenkraken und Schnüffler ab. Ebenfalls "ausgezeichnet": der Moscheenverband DITIB, die Digital-Lobby Bitkom und zwei große Universitäten in München. DITIB droht nun den Initiatoren mit einer Klage.
Eigentlich hat Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen genug schlechte Presse wegen der Affäre um braune Kameraden in der Bundeswehr. Nun wird der CDU-Politikerin auch noch der Negativpreis "Big-Brother-Award" der Bürgerrechtsorganisation Digitalcourage verliehen. In der Jury sitzen außerdem Vertreter der Internationalen Liga für Menschenrechte, des Chaos Computer Club, der Deutschen Vereinigung für Datenschutz und der Frankfurt University of Applied Sciences. Der Preis wird in sechs Kategorien verliehen. Nur wenige Preisträger nehmen die unbequeme Auszeichnung persönlich während einer Gala in Bielefeld entgegen.
Die Auszeichnung in der Kategorie "Behörden" erhält die Ministerin zusammen mit der Bundeswehr "für die massive digitale Aufrüstung der Bundeswehr mit dem neuen 'Kommando Cyber- und Informationsraum' (KdoCIR)". Als "Schlachtfeld der Zukunft" werde das Internet zum potentiellen Kriegsgebiet erklärt. In der Begründung warnt die Jury des seit 2000 verliehenen Preises: "auch Cyberangriffe, die nur auf militärische Ziele gerichtet sind, können rasch zum Flächenbrand führen, sobald sie sich auf kritische zivile Infrastrukturen ausbreiten, diese lahmlegen oder gar zerstören." Das Verteidigungsministerium reagierte auf eine Bitte des stern um eine Stellungnahme nicht.
Bereits 2009 hatte die damalige Familienministerin von der Leyen einen Big-Brother-Preis bekommen, weil sie sich für die Sperrung von Webseiten eingesetzt hatte. Kritiker verpassten ihr damals den Spitznamen "Zensursula".
Big-Brother-Award für DITIB - Moscheenverband droht mit Klage
In eine aktuelle politische Debatte funkt auch der Negativ-Preis für die türkisch-islamische Union DITIB wegen der Spionage-Affäre in deutschen Moscheen hinein. Hier prangert die Jury an, "dass bei der DITIB tätige Imame für türkische Behörden und für den Geheimdienst MIT ihre Mitglieder und Besucher ausspioniert und sie so der Verfolgung durch türkisch-staatliche Stellen ausgeliefert haben sollen."
In einem Schreiben an Digitalcourage, das er dem stern zur Verfügung stellte, entgegnet DITIB-Generalsekretär Bekir Alboga: "Die vordergründigen Vorwürfe (...) und die daraus resultierende Nominierung fußen auf Tatsachenverdrehung, Falschbehauptung und unzulässigen Verallgemeinerungen." Der DITIB sei "als Organisation nicht in die "Spitzel-Affäre" eingebunden" gewesen. Ermittelt werde "nicht gegen die DITIB oder den DITIB-Verband, sondern gegen einige wenige Personen." Dem Verein Digitalcourage droht der Verband mit einer Klage wegen übler Nachrede.
US-hörig? Bitkom-Verband in der Kritik
Den Schutz der Daten und der Privatsphäre der Internetnutzer sieht die Big-Brother-Jury auch durch die weiteren Preisträger gefährdet. Der IT-Branchenverband Bitkom wird als "Tarnorganisation großer US-Konzerne" angeprangert, die sich den Preis für "unkritisches Promoten von Big Data" und "penetrante Lobbyarbeit gegen Datenschutz" verdient habe. Minister der großen Koalition wie Sigmar Gabriel, Alexander Dobrindt und selbst die Kanzlerin Angela Merkel würden die Argumente von Bitkom häufig wiederholen: "Datensouveränität" statt "Datenschutz" und "Datenreichtum" statt "Datensparsamkeit".
Big Data ist ein Euphemismus", sagt Jurymitglied Rena Tangens. Weiter heißt es in der Vorabversion der Laudatio: "Denn eigentlich geht es um die Enteignung von Menschen - um die Enteignung von ihren Daten, von ihren Motiven, von ihren Wünschen, Plänen und Träumen und um die Enteignung von ihren eigenen Entscheidungen."
Da Bitkom die ausführliche Begründung für den Negativpreis vorab nicht vorlag, konnte Bitkom-Sprecher Andreas Streim gegenüber dem stern nicht auf konkrete Vorwürfe reagieren. Der Verband trete seit jeher dafür ein, "den Schutz persönlicher Daten einerseits und die Verwendung von Daten andererseits ins Gleichgewicht zu bringen". Bestehende Gesetze hält der Bitkom-Sprecher allerdings für zu streng: "Anpassungsbedarf sehen wir dort, wo mit Argumenten des Datenschutzes individuell oder gesellschaftlich sinnvolle Lösungen verhindert werden." Dem Vorwurf der US-Hörigkeit hält der Bitkom-Sprecher entgegen: "Von unseren 1.700 Mitgliedsunternehmen haben fast 80 Prozent ihre Wurzeln und ihren Hauptsitz in Deutschland und weitere 10 Prozent kommen aus Europa."
Postboten auf Schritt und Tritt überwacht
In der Kategorie "Arbeitswelt" prangert die Big-Brother-Jury das GPS-basierte Überwachungsgerät "PLT Personal Tracker" an: "Dieses Gerät zeigt Arbeitgebern in Echtzeit, wo sich Zeitungsausträger oder Briefträgerinnen befinden und wie schnell sie sich bewegen. Diese Totalkontrolle ist menschenunwürdig und sinnlos." Die Auszeichnung erfolge "stellvertretend für alle Anbieter dieser Art von Überwachungstechnik, die ohne Rücksicht auf die Rechte von Beschäftigten eingesetzt wird." Johannes Willmund von der kritisierten Firma PLT räumt ein, ihr Gerät "könnte theoretisch auch dazu genutzt werden, Mitarbeiter unter Druck zu setzen oder anderweitig zu gängeln". Stattdessen käme "der PLT Personal-Tracker dann zum Einsatz, wenn neue Zustellgebiete zugeschnitten und neue Touren geplant werden".
Gläserne Studenten in München
Die Technische Universität München (TUM) und die Ludwig Maximilians Universität München (LMU) haben sich den Negativ-Preis wegen ihrer Zusammenarbeit mit einem US-Unternehmen eingehandelt. Auf Video aufgezeichnete Vorlesungen der Unis lassen sich über den Online-Anbieter "Coursera" abrufen. Studenten müssen sich registrieren, wenn sie einen Schein erwerben wollen. Das US-Unternehmen gelange so an wertvolle Daten: "Die Tatsache, an welchem Kurs jemand teilnimmt und wie gut und schnell er oder sie die Prüfung dazu ablegt, sind äußerst interessante Informationen", sagt Frank Rosengart, der für den Chaos Computer Club in der Jury sitzt. Da die Daten der Studierenden in den USA gespeichert und verarbeitet würden, "dürften sie auch dem Zugriff durch US-Behörden ausgesetzt sein."
Laut einem Sprecher weist die TUM darauf hin, "dass es sich bei den Plattformen um privatwirtschaftliche Unternehmen mit eigenen AGBs und Datennschutzrichtlinien handelt." NutzerInnen könnten sich unter Pseudonym anmelden. Und auch wenn ein Online-Kurs als Wahlveranstaltung belegt werde, "wird die Prüfung persönlich an der TUM, nicht über die Plattformen abgelegt. Die LMU wollte auf Anfrage keine Stellungnahme abgeben.
Preisdiskriminierung im Online-Shop
Den Trend zu intransparenten Preisen in Online-Shops greift der Preis in der Kategorie "Verbraucherschutz" auf. Die Firma Prudsys AG wird negativ ausgezeichnet, "weil sie Software anbietet, die Preisdiskriminierung erlaubt". In der Begründung heißt es: "Diese Software legt einen Preis fest, je nachdem, was sie über den jeweiligen Kunden herausfinden kann." Die Folge: "Zwei Menschen müssen unterschiedliche Preise für die gleiche Ware bezahlen." Die Firma reagiert mit einer politischen Forderung: "Damit Softwarelösungen wie prudsys Realtime Decisioning Engine den größtmöglichen gesellschaftlichen Nutzen erzielen, bedarf es eines gesetzlichen Rahmens, der den Einsatz künstlicher Intelligenz leitet."
Digitalcourage-Aktivist padeluun gibt praktische Tipps, wie man die Abzocke durch Preisdiskriminierung vermeiden kann: "Wenn Sie eine Reise buchen wollen, nehmen Sie lieber einen Windows-Rechner, statt eines Macs. Sonst wird's gleich teurer. Sie wollen vom Handy buchen? Ganz schlechte Idee - das wird meist richtig teuer, aber wenn, dann besser nicht vom iPhone aus, sondern lieber mit einem Smartphone mit dem Betriebssystem Android."