Ist es Chuzpe? Oder Verzweiflung?
Der britische Finanzminister George Osborne hat den Vorschlag gemacht, die Steuern für Unternehmen drastisch zu senken. Von derzeit 20 Prozent auf weniger als 15 Prozent. Damit läge die Besteuerung in Großbritannien deutlich unter dem europäischen Schnitt - und in etwa gleichauf mit Irland, wo 12,5 Prozent verlangt werden. Zum Vergleich: In Deutschland sind 29,8 Prozent fällig.
Osbornes Vorstoß ist sogleich als "Bestechungsversuch" aufgefasst worden - offenkundig will er Firmen, die nach dem Brexit über eine Abwanderung nachdenken, zum Bleiben bewegen. Für zahlreiche Unternehmen ist ein freier Zugang zum EU-Binnenmarkt unerlässlich. Easyjet und Vodafone hatten bereits angekündigt, ihre Firmenzentralen verlegen zu wollen, sollte dieser Zugang entfallen.
Verkappte Drohung aus Berlin
In der EU wurden Sorgen laut, es könnte ein Kampf um die niedrigsten Unternehmenssteuern ausbrechen. Vertreter der irischen und der niederländischen Regierung kündigten bereits an, gegebenenfalls nachzuziehen. In Frankreich erklärte Alain Juppé, der für die Konservatien das Präsidentenamt erobern will, sein Land müsse auf die britischen Vorschläge reagieren. In Deutschland sagte Wolfgang Schäubles Sprecher, sollte Osborne seine Pläne im Kreis der EU-Finanzminister vorstellen, werde es "Diskussionen" geben - eine Formulierung, die als verkappte Drohung zu verstehen ist.
Völlig unklar ist indes, ob und wie Osborne sein Steuerkonzept umsetzen kann. Premier David Cameron, dessen Kabinett er angehört, ist nur noch einige Wochen im Amt - spätestens im September wird er ersetzt. Bis dahin ist die Regierung gelähmt, sie kann keine weitreichenden Entscheidungen mehr treffen. Dass der oder die Nachfolger(in) den Finanzminister weiterbeschäftigen werden, ist eher unwahrscheinlich: Osborne hatte intensiv für einen Verbleib Großbritanniens in der EU geworben.
Großbritannien ist hoch verschuldet
Hinzu kommt, dass Großbritannien hoch verschuldet ist. Die staatliche Kreditbelastung erreicht aktuell 89,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, von einem ausgeglichenen Haushalt ist die Regierung weit entfernt. Finanzielle Spielräume für Steuerentlastungen sind nicht vorhanden, die staatlichen Einnahmen werden eher weiter sinken. Vor der Brexit-Entscheidung hatte Osborne noch mit einem Nothaushalt und Steuererhöhungen gedroht, sollte die Bevölkerung gegen die EU stimmen. Diese Pläne hat er zwischenzeitlich versenkt - wird sie aber vielleicht wieder auskramen müssen, sollte sich die Staatsfinanzen weiter schlecht entwickeln.
Auch innenpolitisch dürfte die Steuersenkung nicht ohne Weiteres durchzusetzen sein. Der Protest gegen Firmen wie Amazon oder Starbucks, die trotz guter Geschäfte keine oder wenig Steuern in Großbritannien zahlen, wächst. Paradoxerweise unterhält das Königreich zugleich selbst Steueroasen - etwa auf den Kanalinseln. Dort sind zum Beispiel die Brüder David und Frederick Barclay gemeldet, deren Mediengruppe für den Brexit geworben hatte. Die Steuern dort sind noch viel niedriger als sie in Großbritannien jemals sein könnten - selbst wenn Osbornes Idee jemals Realität würde.