Was war das mal für ein schönes Wort, die Milliarde. Ja, es war das Wort für alles, was nicht mehr zählbar, nicht vorstellbar war. Als wir kleine Jungs in kurzen Hosen waren und Apollo 11 auf dem Mond landete, da saßen wir auf dem Spielplatz und stellten uns vor, wie weit die Raketen denn noch fliegen würden. Zum Mars sind es vielleicht eine Million Kilometer, zum Ende des Alls! Nee, das sind eine Milliarde Kilometer, das schafft keiner, wetten? Ach Gott, und zum Mond waren es 384.401 Kilometer, 384 Mal Hamburg-Italien mit dem Auto, das war lang, aber vorstellbar, ein Jahr lang Autofahren eben.
Auch später in den Mathematikstunden war die Milliarde gedanklich und optisch schwer zu erobern - jeder Taschenrechner kann nur bis 100 Millionen, die Milliarde passt bis heute gar nicht in das Display und blieb deshalb immer eine Märchenzahl, eine 1 mit neun Nullen oder Tausendmillion. Wir kleinen Jungs mit vielleicht damals fünf Mark Taschengeld in der Woche waren ziemlich sicher, dass unsere Künste der Mathematik die Milliarde nie erreichen würden, wozu auch, was auf der Welt sollte man eine Milliarde Mal zählen müssen? Später mal unser Geld? Hahaha!
Gefühlt meistgelesenste Zahl der vergangenen Monate
Tja, und nun das. Bei der Schweizer Großbank UBS verzockte ein 31-jähriger Investement-Broker mit ein paar Mausklicks zwei Milliarden Dollar. Europa und die EZB haben den klammen Griechen Hilfen von insgesamt 110 Milliarden Euro zugesagt. Und auch sonst ist die Milliarde die gefühlt meistgelesenste Zahl der vergangenen Monate. Bankenkrise? Unter einer Milliarde waren da wenige. Die Elbphilharmonie in Hamburg wird wahrscheinlich 500 Millionen Euro kosten, so gesehen ein Schnäppchen oder?
Meine Tochter lernt in der zweiten Klasse Rechnen, also 47 und 126 sind wie viel? Oder 69 weniger 12, solche Sachen. Aber sie sagt, wenn sie etwas völlig Unglaubliches beschreiben will, "der König ist milliardenreich". Das Wort hat sie aufgeschnappt, weil sie es überall hört. Mir graut jetzt vor den Hausaufgaben in ein paar Jahren, wenn die Milliarde sicher zum kleinen Einmaleins gehört. Hoffentlich haben sie bis dahin die Taschenrechner umgebaut. In fünf Litern Menschenblut schwimmen 50 bis 100 Milliarden weiße Blutkörperchen, könnte ich zur Erklärung beisteuern. Aber schon die Aufgabe wie viele Menschen eine Milliarde Haare haben, wenn auf einem durchschnittlichen Kopf magere 150.000 wachsen, muss man mit der Hand rechnen. Kann das noch einer? Ja, 6,6 Millionen Menschen haben zusammen eine Milliarde Haare.
Fantastisch, märchenhaft, unzählbar
Und so muss man Abschied nehmen von diesen Synonym des Fantastischen, des Märchenhaften und Unzählbaren. Wenn es so weiter geht, ist die Milliarde bald der neue Tausender, so schleudern wir damit herum. In Geld ist die Milliarde erstmals 1871 aufgetaucht, als Frankreich drei Milliarden Franc Kriegsentschädigungen an Deutschland zahlen musste, die Finanzkassen waren völlig überfordert, weil es soviel Geld in ganz Deutschland vorher gar nicht gab.
Und erfunden hat die Milliarde ein Mann, der 1484 wahrscheinlich gar nicht daran dachte, dass irgendjemand je soweit zählen würde: Nicolas Chuquet, französischer Mathematiker und Miterfinder der Potenzrechnung, des 10 hoch 2, 10 hoch 3 und so weiter. Ja, und irgendwann saß er vor seinen langen Zahlenkolonnen und musste ihnen Namen nach dem Dezimalsystem geben. "Mille" für tausend ging ja noch, "million" für lateinisch großtausend auch noch, aber 10 hoch 9? Tausend Million? "Milmillon"? Nee, zu verwirrend, Chuquet nannte sie "milliare", anfangs noch ohne d.
Folgenschwere Eitelkeit
Aber dann kam es, auch Mathematiker können sich streiten, und als im 17. Jahrhundert das Zahlensystem von Sechser- auf Dreiergruppen, also immer nach drei Stellen ein Punkt, reformiert werden sollte, meinten einige Gelehrte, die Milliarde soll besser Billionen heißen, was aber die Mehrheit ablehnte, nur die junge USA und Brasilien nicht, und deshalb heißt die Milliarde dort bis heute Billion. Eine folgenschwere Eitelkeit, die vor einem Jahr angeblich in New York zu einem Kurssturz führte, als ein Aktienhändler auf seiner Tastatur die eng benachbarten Buchstaben "b" und "m" verwechselte und statt für einige Millionen versehentlich für einige Millarden Werte verkaufte.
Sowas ist vorher deshalb nie passiert, weil die Milliarde eben unvorstellbar war, auch wenn John D. Rockefeller in den USA der erste Milliardär der Geldgeschichte war. Bye, bye Milliarde, du warst schöner als du ein Geist, ein Traum, das Weltall, der Kontostand von Bill Gates oder irgendeine Neuverschuldung warst. Begrüßen wir schon mal die Dezilliarde, das ist eine 1 mit 63 Nullen. Da kann der Mensch echt nicht mit, wir haben nur 100 Milliarden Körperzellen.