Eurokrise EZB senkt Leitzins erstmals unter ein Prozent

Das Geld im Euroraum ist so billig wie nie - zumindest für Banken: Erstmals seit Einführung des Euro 1999 fällt der Leitzins unter ein Prozent. Ein historischer Wert in der Geschichte der Währungsunion.

Im Kampf gegen Schuldenkrise und Konjunkturflaute hat sich die EZB zu einer historischen Zinssenkung durchgerungen. Der Rat der Europäischen Zentralbank kappte am Donnerstag den Leitzins für die Währungsunion erstmals auf 0,75 Prozent und unterschritt damit die bis dato - zumindest in Deutschland - als Tabu geltende Grenze von einem Prozent. Die Entscheidung fiel einstimmig - damit erteilte auch Bundesbankchef Jens Weidmann der Null vor dem Komma seinen Segen.

Wie die Notenbank in Frankfurt weiter mitteilte, sinkt darüber hinaus der Zinssatz, den Banken von der EZB gutgeschrieben bekommen, wenn sie bei ihr Liquidität parken, zum ersten Mal auf 0 von zuvor 0,25 Prozent. Es lohnt sich damit für die Banker nicht mehr, überschüssige Liquidität bei der EZB zu parken. Für kurzfristigen Kredit von der Notenbank müssen die Geldhäuser künftig nur noch 1,5 Prozent berappen. Bislang waren es 1,75 Prozent.

Draghi: Zinsentscheid fiel einstimmig

EZB-Präsident Mario Draghi begründete die an den Börsen weithin erwartete Zinssenkung mit der schwachen konjunkturellen Verfassung zahlreicher Länder in der Euro-Zone. Zugleich sei die Teuerung in den Mitgliedsländern in jüngster Zeit auf dem Rückmarsch und dürfte spätestens 2013 die von der EZB angepeilte Marke von knapp zwei Prozent unterschreiten. "Das Wirtschaftswachstum bleibt weiterhin schwach und die erhöhte Unsicherheit belastet das Vertrauen." Entsprechend sei die Entscheidung im EZB-Rat "einstimmig in jeder Hinsicht" gefallen, sagte der Italiener, der seit seinem Amtsantritt im vergangenen November die Zinsen damit bereits dreimal gesenkt und gut eine Billion Euro in den Finanzsektor gepumpt hat.

An den Finanzmärkten reagierten die Anleger enttäuscht: Unmittelbar nach Bekanntwerden des Votums der Währungshüter fiel der Euro um gut einen halben Cent unter die Marke von 1,25 Dollar. Noch während der Pressekonferenz mit Draghi im Frankfurter Euro-Tower gab der Kurs der Gemeinschaftswährung dann nochmals um rund einen Cent auf Werte um 1,24 Dollar nach. Am Frankfurter Aktienmarkt drehte der Dax ins Minus.

Ifo: Zinssenkung subventioniert Banken

Analysten und Ökonomen versuchten die Ernüchterung an den Märkten mit der begrenzten Wirkung der Zinssenkung und dem negativen Konjunkturausblick Draghis zu erklären. Der frühere Bundesbanker und heutige Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands öffentlicher Banken (VÖB), Hans Reckers, sparte denn auch nicht mit Kritik: "Die Leitzinsentscheidung verschafft den EU-Krisenstaaten zwar Luft, um überfällige Reformen umzusetzen und die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Volkswirtschaften zu verbessern. Diese Atempause hat aber nur kurzfristige Wirkungen und ist zudem teuer erkauft."

Kai Carstensen vom Münchener ifo-Institut nannte die seiner Ansicht nach wahren Adressaten der Maßnahme: "Aus meiner Sicht ist die Zinssenkung am ehesten als zusätzlicher Schritt bei der Subventionierung von schwächelnden Banken zu verstehen." Weitere Schritte, auf die einige Bankvolkswirte und auch Börsianer spekuliert hatten, stellte Draghi nicht in Aussicht. Denkbar wären etwa zusätzliche Liquiditätsspritzen, nachdem die Wirkung der beiden eine Billion Euro schweren Geldsalven im Winter zuletzt nachzulassen schien. Das sieht offenbar auch Draghi selbst so: "Nun sind einige Monate vergangen und wir sehen, dass die Kreditvergabe schwach ist und schwach bleibt."

Vorlage aus London und Peking

Kurz vor der EZB hatte die Bank von England in London ihren geldpolitischen Kurs gelockert. Die Notenbanker um Gouverneur Mervyn King tasteten zwar den rekordniedrigen Leitzins von 0,5 Prozent nicht an, dafür starteten sie nach nur zwei Monaten Pause abermals die Notenpresse. King & Co. wollen in den nächsten Monaten für zusätzliche 50 Milliarden Pfund Staatsanleihen kaufen und mit dem dafür frisch gedruckten Geld der Realwirtschaft und den Banken unter die Arme greifen. Auch in Peking lockerten die Notenbanker ihre Geldpolitik am Donnerstag unerwartet weiter, um den Wirtschaftsboom am Laufen zu halten. Bei den praktisch zeitgleichen Lockerungen handele es sich jedoch nicht um eine koordinierte Aktion der Notenbanken, erklärte Draghi.

Reuters
Andreas Framke, Reuters