Die ganze Welt im Zehn-Minuten-Takt, mehr ist für die Kanzlerin an diesem Montag nicht drin. Wenn überhaupt. Dass Politiker mitunter den Eindruck erwecken, sie regierten etwas weltfremd durch die Lande, dann könnte es auch damit zu haben, dass man ihnen die Welt in kleinen Häppchen serviert. In sehr kleinen.
Angela Merkel kennt diese homöopathischen Dosen. Vielleicht lassen Kanzler-Amtsgeschäfte größere Mengen an Informationsaufnahme nicht zu. Vielleicht hat sich Frau Merkel schon daran gewöhnt, und könnte gar nicht mehr vertragen. An diesem Vormittag auf der Hannover Messe jedenfalls besteht kaum die Gefahr einer Übersättigung. Gerade einmal eine Stunde ist für ihren Messerundgang geplant. Rundlauf wäre die treffende Bezeichnung. Nicht viel für die "größte Technologieplattform der gesamten industriellen Welt", wie die Betreiber ihre Industrieschau nennen.
Erdogan und Merkel auf 225.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche
In Halle 26, dort wo sich das diesjährige Messepartnerland Türkei präsentiert, wippen Scharen von Journalisten beruflich auf Zehenspitzen, die türkischen Standbetreiber aus Neugier, mussten einige von ihnen doch erst die lange Reise nach Hannover unternehmen, um einmal ihren Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan live und in Echt zu sehen. Erdogan und Merkel, 225.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche, 6400 Aussteller, anderthalb Stunden Zeit. So kann eine Arbeitswoche auch beginnen. 9 Uhr, aus staatsmännischem Mund warme Worte zu famosen Wirtschaftsaussichten und deutsch-türkischer Zusammenarbeit. Dann schnell rüber zum Stand von Ford-Otosan, ganz kurzes Abnicken der dort präsentierten Lkw aus binationaler Präsentation.
Wenige Minuten später, 9.32 Uhr, alle Mann rüber zu Halle 23. Unter roter Seide zeichnet sich ein Traktor ab. Natürlich nicht irgendein Traktor. Aus den Lautsprechern dramatisiert eine Stimme mit der Verve eines Boxringsprechers die nun bevorstehende Enthüllung. Dazu schwillt das berühmte Thema von "Rocky" an, dem Boxfilm. Zupfen an der Seide und dann: ein Traktor! Der erste aus rein türkischer Produktion, wie die Stimme stolz verkündet. Raunen und Johlen, als Kanzlerin Merkel und ihr Kollege Erdogan, etwas unelegant, die Fahrerkabine des Gefährts erklimmen und freudig in die Kameras winken. Die Kanzlerin bedankt sich artig mit drei Sätzen und verbleibt mit einem "Ich wünsche Ihnen viel Erfolg". Es werden die längsten Ausführungen ihrer Besichtungstour sein.
Kontrastprogramm zum Südländerstolz
Zehn Minuten später, 9.42, das Kontrastprogramm zum temperamentvollen Südländerstolz: Es schwäbelt Siegfried Dais, stellvertretender Vorsitzender der Geschäftsführer der Bosch AG. Auf dem Stand der Tochtergesellschaft Rexroth Bosch Group, Fachgebiet Automation, prägt er das Motto des Tages. "Unser Geschäft ist antreiben, steuern und bewegen", sagt Dais. Angetrieben und gesteuert vom unerbittlichen Protokoll und bewegt von der Zeit, ringt sich die Kanzlerin noch zwei Fragen ab, wünscht eine gute Zusammenarbeit und "viel Erfolg". Ein Rexroth-Bosch-Mitarbeiter macht hinterher ein langes Gesicht: Sie hätte schon etwas mehr Interesse zeigen können, sagt er bedröppelt.
9.52 Uhr, Halle 21, am Stand vom Kugellagerhersteller Schaeffler: Die beiden Regierungschefs nebst schweigendem Gefolge, als da wären Frau Erdogan, Merkels Minister Sigmar Gabriel und Anette Schavan sowie Hausherr weil niedersächsischer Ministerpräsident Christian Wulff, nehmen die nächste Präsentation ab: "Was man alles mit CO2 machen kann". Zu vielmehr als zu diesen einen Satz und zwei Handgriffen kommt der Schaeffler-Mann in Gegenwart des hohen Besuchs nicht. Frau Merkel sagt gar nichts mehr außer: "Ich wünsche Ihnen viel Erfolg."
Drei Besichtungen in nur zehn Minuten
Draußen neben dem "Expo-Dach", unter dem der "RoboCup" stattfindet, hat die Firma Würz Energy ein Blockheizkraftwerk aufgebaut, es wird mit Palmöl betrieben. Die Besichtigung dauert drei Minuten, Merkel wünscht viel Erfolg und der Tross bewegt sich flugs Richtung Halle 9, wo schon die Repräsentanten von IFM (Sensorik), Phoenix Contact (Funkübertragungen) und Siemens auf die Staatsgäste warten. Zum Glück liegen die Stände dicht beieinander, so dass sich gleich drei Besichtungen innerhalb von nur zehn Minuten absolvieren lassen.
Immerhin freut sich bei Siemens niemand geringerer als Konzernchef Klaus Kleinfeld darauf, der Kanzlerin persönlich einen neuen energiesparenden Maschinenmotor zu erklären. Um 10.26 Uhr halten Angela Merkel und Recep Tayyip Erdogan noch eine Miniansprache, in der sie davon berichten, wie sehr sich doch die Digitalisierung mit sie Mechanik verzahnt, wie interessant das alles sei und wie eng die Verbindungen zwischen der Türkei und Deutschland seien. Viel Erfolg.