Mit einem Mindestlohn lasse sich Lohndumping in der Branche eindämmen, schreibt der Chef der Lidl-Muttergesellschaft Schwarz Unternehmenstreuhand, Klaus Gehrig, in einem Brief an den Bremer Wirtschaftsprofessor Rudolf Hickel. Das Schreiben wurde von Lidl auch an mehrere Zeitungsredaktionen geschickt und liegt der FTD vor.
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...aus der aktuellen Ausgabe der "Financial Times Deutschland"
Mindestlohn als Mittel gegen Lohndumping
Mit dem überraschenden Vorstoß gibt der zweitgrößte deutsche Discounter der Debatte um die Arbeitsbedingungen im Einzelhandel eine neue Wendung. Sollte sich der Vorschlag eines Branchenmindestlohns durchsetzen, wäre der Handel nach dem Bau, den Gebäudereinigern und der Abfallwirtschaft der bislang größte Wirtschaftszweig mit einer entsprechenden Vereinbarung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. "Wir teilen (...) Ihre Auffassung, dass im Einzelhandel unbedingt Mindestlöhne eingeführt werden müssen", heißt es im Brief des Lidl-Aufsichtsratschefs Gehrig an den Professor. "Damit würde die Möglichkeit und der Missbrauch von Lohndumping, der auch vereinzelt im Handel zu sehen ist, unterbunden." Hickel hatte sich zuvor in einer Fernsehsendung kritisch über Lidl geäußert.
Mehrere andere Handelsunternehmen, der Einzelhandelsverband HDE und die Gewerkschaft Verdi zeigten sich am Dienstag grundsätzlich aufgeschlossen, wollten sich aber nicht festlegen. Ein Sprecher des größten deutschen Handelsunternehmens Metro sagte nur: "Wir sind offen für eine tarifliche Festlegung, aber strikt gegen staatliche Mindestlöhne." Die würden vorliegen, wenn der Staat die Höhe einer Lohnuntergrenze festlegen würde.
Alte Regelung noch aus Wirtschaftswunderzeit
Für den HDE, bei dem die Fäden in der Sache zusammenlaufen, sagte der für Tarifverhandlungen zuständige Geschäftsführer Heribert Jöris: "Entscheidend für die Frage, ob eine Allgemeinverbindlichkeit sinnvoll ist, ist die Höhe der Lohnuntergrenze." Hintergrund des Vorschlags sind die Bemühungen des Einzelhandels um einen neuen Tarifvertrag. Seit Längerem versuchen der HDE und die Gewerkschaft Verdi, einen neuen Branchentarifvertrag zu vereinbaren. Das alte Regelwerk stammt noch aus der Wirtschaftswunderzeit. Auf der Basis eines neuen Vertrags könnten die Tarifparteien beim Bundesarbeitsministerium beantragen, dass dieser für alle Unternehmen der Branche verbindlich wird. Antragsberechtigt sind Arbeitgeber wie Arbeitnehmer. Faktisch müssen sie sich einig sein, dass sie die Lohnuntergrenze gemäß ihrem Tarifvertrag festschreiben wollen.
Bei den Arbeitnehmern reagierte die für den Handel zuständige stellvertretende Verdi-Bundesvorsitzende Margret Mönig-Raane zurückhaltend auf den Vorstoß. "Wenn Lidl die Ankündigung, sich für einen Branchenmindestlohn im Handel starkzumachen, ernst meint, ist das prinzipiell zu begrüßen", sagte Mönig-Raane der FTD. "Andererseits sind wir von einer solchen Regelung noch ein ganzes Stück weit entfernt. Zudem bleibe die zentrale Frage offen, wie hoch ein solcher Mindestlohn sein sollte.
Alles nur PR?
Eine konkrete Zahl wollten am Dienstag weder Arbeitgeber noch Arbeitnehmer zur Diskussion stellen. Bisher werden in tarifgebundenen Unternehmen je nach Bundesland im Minimum zwischen 7 und 8,70 Euro pro Stunde gezahlt. Der Lohn für einen ausgebildeten Verkäufer liegt bei 12 Euro. Der monatliche Bruttodurchschnittslohn für eine ausgebildete Vollzeitkraft beträgt laut Statistischem Bundesamt 2400 Euro.
Immer wieder werden Handelsunternehmen für ihre Arbeitsbedingungen kritisiert. Neben Dumpinglöhnen war Firmen der Branche in der Vergangenheit auch vorgeworfen worden, Mitarbeiter zu bespitzeln und die Gründung von Betriebsräten zu verhindern. So hatte Verdi in den Jahren 2004 und 2006 ein "Schwarzbuch Lidl" herausgegeben. 2009 war bekannt geworden, dass Lidl systematisch Informationen über Krankheiten von Mitarbeitern gesammelt hatte. Mit dem Mindestlohn-Vorstoß versucht der Discounter nun, seinen Ruf zu verbessern.