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Ernährungsministerin Schleichwerbung? Nein, schlimmer. Warum das Nestlé-Video von Julia Klöckner so unmöglich ist

Ernährungsministerin Julia Klöckner und Nestlés Deutschlandchef Marc-Aurel Boersch
Ernährungsministerin Julia Klöckner und Nestlés Deutschlandchef Marc-Aurel Boersch
© BMEL via Twitter
Schlimmer als Schleichwerbung: Bundesernährungsministerin Julia Klöckner lobt ausgerechnet den Nestlé-Chef in einem gemeinsamen Video-Clip für seine Fortschritte in Sachen gesunde Lebensmittel. Der Vorgang ist nicht nur peinlich, sondern zudem perfide.

Die CDU hat schon wieder Ärger mit einem Videoclip im Internet und diesmal ist nicht Rezo Schuld, sondern Julia Klöckner. Die Unions-Frau ist Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft und hat es geschafft, in einem nur 59 Sekunden langen Video zu demonstrieren, wie ungeeignet sie für diesen Job ist. Respekt! Rezo hatte für seine CDU-Abrechnung 55 Minuten gebraucht.

Für alle, die es noch nicht gesehen haben: Am Montag veröffentlichte Klöckner über den offiziellen Twitter-Account ihres Ministeriums einen Clip, der sie gemeinsam mit dem Nestlé- Deutschlandchef Marc-Aurel Boersch, zeigt. Darin lobt sie ausgerechnet einen der umstrittensten Lebensmittelkonzerne der Welt für seine Bemühungen, seine industriellen Fertigprodukte zumindest etwas weniger ungesund zu machen. 

59 Sekunden Kuscheln mit dem Nestlé-Chef

Der dümmliche Wortlaut der Ministerin: "Essen und Trinken ist wichtig, aber die Frage ist: Ist es mit unserer Umwelt gut vereinbar und ist es vor allen Dingen gut für die Gesundheit? Und deshalb freue ich mich, dass wir uns heute über die Philosophie von Nestlé unterhalten haben. Ich habe heute viel Neues erfahren und freue mich, dass wir Unterstützung haben für unsere Innovations- und Reduktionsstrategie. Weniger Zucker, weniger Salz, weniger Fett in den Produkten, die die Bürger gerne mögen."

Der Nestlé-Mann darf darauf in feinster Werbemanier erwidern, man unterstütze die Ministerin sehr gerne. "Wir machen das ja auch schon seit ein paar Jahren und werden auch in der Zukunft Salz, Zucker und Fette reduzieren. Jetzt haben wir in den letzten Jahren cirka zehn Prozent reduzieren können. In der Zukunft kommen sicherlich nochmal fünf Prozent dazu. Sind wir damit zufrieden? Nein. Ich glaube, es muss schneller gehen. Das heißt auch unsere Innovationen müssen einen Beitrag liefern." Kurz bevor das Video abbricht, wirft Klöckner dem Nestlé-Manager noch ein "Das wird gefördert" zu. Ende.    

Ein Shitstorm, der berechtigt ist

Das Video sorgte im Netz für einen veritablen Shitstorm. Auch zahlreiche Politiker wie SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach, die ehemalige Ernährungsministerin Renate Künast und deren Grünen-Parteifreundin Katrin Göring-Eckardt kritisieren Klöckner mit deutlichen Worten. Und das zu Recht. Denn das Video ist nicht nur peinlich, sondern geradezu perfide, und das aus drei Gründen. 

Erstens sollte ein Mitglied der Bundesregierung sich ganz allgemein nicht vor den PR-Karren eines multinationalen Konzerns spannen lassen, dem es allein darum geht, seine Profite zu maximieren. Am treffendsten drückt den Vorwurf der Schleichwerbung ausgerechnet der neue CDU-Intimfeind Rezo aus. Der Youtuber twittert: "Fun Fact: Hätte ich exakt diesen Tweet mit genau so einem Video gepostet, hätte ich es als #Werbung kennzeichnen müssen." 

Zweitens wäre da die Tatsache, dass Klöckner hier nicht mit irgendeinem regionalen Bauern kuschelt, sondern mit einem global operierenden und höchst umstrittenen Lebensmittelkonzern. Wer die Kritik an Nestlé nicht kennt, braucht nur Begriffe wie Palmöl, Trinkwasser oder Babynahrung zu googeln und ist stundenlang mit Lesen beschäftigt. Und so wenig wie Nestlé für Umweltschutz und Sozialstandards steht, so wenig steht seine industrielle Massenware für gesunde Ernährung. Und so einem Konzern sagt Julia Klöckner, wie toll sie es findet, dass vormals sehr ungesunde Produkte nun zehn Prozent weniger ungesund sind.

Die Lobbypolitik der Julia Klöckner

Was drittens zum entscheidenden Kritikpunkt führt: der Art und Weise, wie Julia Klöckner ihren Regierungsposten, den sie seit März 2018 innehat, grundsätzlich interpretiert. In Wahrheit ist Klöckner nämlich nicht die Ernährungsministerin, die sie in der Visitenkarte stehen hat, sondern eine verbraucherfeindliche Ernährungsindustrieministerin. Politische Gegner und Verbraucherschutzorganisationen werfen Klöckner schon lange eine reine Lobbypolitik zu Gunsten großer Konzerne und zu Lasten der Verbraucher vor. Besonders gut zu beobachten ist dies genau bei dem Thema, um das sich das Nestlé-Video dreht: der Reduzierung von Fett, Salz und Zucker in Fertigprodukten aus dem Supermarkt.  

Befördert von einem wachsenden Gesundheitsbewusstsein der Bevölkerung gibt es derzeit eine heiße Diskussion darüber, wie man Lebensmittelkonzerne dazu bringen kann, ihre Produkte gesünder zu machen. Verbraucherschutzorganisationen wie Foodwatch fordern verbindliche Vorgaben für die Unternehmen und eine klare Kennzeichnung wie den Nutri-Score, ein Ampelsystem, das Verbrauchern im Supermarkt eine schnelle Übersicht geben könnte, wie gesund ein Produkt ist. Bislang hat Klöckner aber jedes Bekenntnis zu einer verbindlichen Regelung vermieden und setzt alleine auf die Eigeninitiativen der Industrie. Erst wenn diese nicht funktionieren, müssten gesetzliche Regelungen her, betonte sie auch am Mittwoch wieder.

Die Empörung über das Nestlé-Video kann Klöckner nicht verstehen. Kritiker bezeichnete sie als "Hatespeaker". Es sei doch ganz normal, mit großen Unternehmen zu sprechen. Tatsächlich muss man wohl davon ausgehen, dass Klöckners vorrangiges Ziel nicht war, Werbung für Nestlé zu machen, sondern für sich selbst. Der Clip sollte suggerieren, dass die Klöckner'sche Strategie, Konzerne wie Nestlé mal machen zu lassen, dazu führt, dass sich was tut. Das ging kräftig nach hinten los. 

Anm. d. Red.: In einer früheren Fassung des Artikels hieß es, Julia Klöckner sei Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Das ist nicht korrekt. Klöckner leitet das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft. Von 2009 bis 2011 war sie Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Der Verbraucherschutz ist seit 2013 am Justiz-Ministerium angedockt. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.

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