Dass Prognosen schwierig sind, weil sie die Zukunft betreffen, ist ein häufig zitiertes Bonmot der Wirtschaftsforscher. Die Voraussagen für das Wachstum Deutschlands 2006 lagen genau so häufig daneben wie in den Vorjahren. Im Gegensatz zu früher hat die große Mehrheit der Experten die deutsche Konjunktur allerdings unter- statt überschätzt. Selbst Optimisten waren verblüfft, dass die Wirtschaft mit rund 2,5 Prozent so stark zugelegt hat wie seit dem Boomjahr 2000 nicht mehr. Das Statistische Bundesamt gibt die genaue Zahl an diesem Donnerstag (11. Januar) bekannt - und wird damit die Frage nach der Unzuverlässigkeit von Prognosen aufwerfen.
"Das Bild wird unklar"
"Wetterprognosen haben analytisch exakt dasselbe Problem wie eine ökonomische Prognose - nur dass sie schon über eine Woche hinweg äußerst ungenau werden", pflegt Hans-Werner Sinn, Präsident des renommierten Münchner ifo Instituts für Wirtschaftsforschung, zu sagen. "Wir machen Prognosen über ein Jahr hinweg." Es gebe Wetterlagen, in denen sich die Windrichtungen sehr schnell ändern könne, was nicht vorherzusehen sei. "Je weiter wir schauen und je turbulenter die Zeiten sind, desto unklarer wird das Bild."
In einer neuen Studie hat das Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) nachgewiesen, dass Volkswirte für das jeweils kommende Jahr - also 13 bis 24 Monate im Voraus - verheerend schlechte Prognosen abgeben. "Die einfache Kinderregel: 'Nimm das Durchschnittswachstum der vergangenen drei Jahre' ist für diese Frist treffsicherer als alle erfassten Studien von Volkswirten", sagt der Verfasser der Untersuchung Steffen Osterloh. Von 1995 bis 2005 hätten Wirtschaftsforschungsinstitute und Großbanken im Schnitt das Wachstum um 1,16 Prozentpunkte zu hoch angesetzt.
Keine politische Verzerrung
Gründe für die zu hoch fliegenden Prognosen sei, dass viele Experten die Verlangsamung des Wachstums seit Mitte der 90er Jahre nicht realisiert hätten. Zudem habe niemand große Schocks wie das Platzen der New-Economy-Blase und die Terroranschläge des 11. Septembers vorhersehen können. Der viel gescholtene Sachverständigenrat ("Wirtschaftsweise"), der die Bundesregierung berät, liege zwar besonders häufig daneben. "Der Vorwurf der politischen Verzerrung ist aber nicht zu halten, weil der Fehler bei Banken und Forschungsinstituten genau so hoch ist", sagt Osterloh.
Es könnte auch einfach am Zeitpunkt liegen. "Der Sachverständigenrat gibt seine Prognosen bereits im November ab - zu diesem frühen Zeitpunkt fehlen viele Daten, die die Banken und Institute Ende Dezember haben und mit einberechnen", sagt Volkswirt Holger Schmieding von der Bank of America. "Wir haben die Stärke des Aufschwungs unterschätzt", hat der Chef des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Bert Rürup, kürzlich selbstkritisch zugegeben. Vor etwas mehr als einem Jahr hatte der Rat für 2006 gerade mal einen Zuwachs von 1,0 Prozent prognostiziert.
Sehr oft zu pessimistisch
Den deutschen Aufschwung hat vor einem Jahr in dieser Stärke fast keiner der Auguren gesehen. Die Experten waren einfach zu pessimistisch. Sie unterschätzten die Dynamik der Exporte, die starken Investitionen, den Schwung der Fußball-WM und den anziehenden Konsum im Vorfeld der Mehrwertsteuererhöhung zum 1. Januar 2007. Zudem hat das Statistische Bundesamt seine Schätzungen zum Bruttoinlandsprodukt zwischenzeitlich mehrfach deutlich nach oben revidiert. "Dadurch wurde die statistische Ausgangsbasis besser, als man zwischenzeitlich ahnen konnte", sagt Volkswirt Ralph Solveen von der Commerzbank.
Auch für 2007 schwanken die Experten zwischen Optimismus und Skepsis. Am wenigsten trauen Commerzbank und Deutsche Bank der Wirtschaft mit einem Plus von 1,0 Prozent zu. Am meisten erwartet das Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) mit 2,3 Prozent Plus. Die Bundesregierung liegt mit 1,4 Prozent in der Mitte. Bundeswirtschaftsminister Michael Glos hat jedoch schon angekündigt, dass im Januar mit einer Anhebung zu rechnen sei. Die Vorhersagen klaffen so weit auseinander, weil die Experten die Bremswirkung der höheren Mehrwertsteuer ganz unterschiedlich stark ansetzen. Umstritten ist auch, wie stark ein möglicher Abschwung der Weltwirtschaft ausfällt und wie sich die im Frühjahr anstehende Lohnrunde der IG Metall auswirkt.