"Hall of Shame" Konzerne am Pranger: Diese Unternehmen machen in Russland weiterhin Geschäfte

Ein Markt des Düsseldorfer Metro-Konzerns in Moskau
Ein Markt des Düsseldorfer Metro-Konzerns in Moskau
© ---/ / Picture Alliance
Hunderte westliche Konzerne haben sich seit Kriegsbeginn aus Russland zurückgezogen. Einige aber machen unbeeindruckt weiter. Ein Yale-Professor stellt sie in einer Liste der Schande an den Pranger.

Der Ukraine-Krieg hat zu einem beispiellosen Bruch westlicher Unternehmen mit Russland geführt. Große Ketten wie Ikea, McDonald's oder H&M haben sämtliche Läden geschlossen. BP und Shell stoßen milliardenschwere Beteiligungen am russischen Energiegeschäft ab. Deutsche und andere Autokonzerne schließen ihre Werke (weitere prominente Fälle finden Sie in unserer Fotostrecke).

Mehr als 400 westliche Unternehmen haben sich seit Kriegsbeginn aus Russland zurückgezogen, zeigt eine Liste des Wirtschaftsprofessors Jeffrey Sonnenfeld von der US-Elite-Uni Yale. Sonnenfeld ist Experte für ethische Management-Fragen und leitet ein Institut für Führungsverhalten. Was seiner Liste besondere Brisanz verleiht: Er nennt auch explizit die Firmen, die sich dem breiten Russland-Boykott nicht angeschlossen haben und munter weiter in Putins Reich Geschäfte machen. 

Fünfstufige Shaming-Skala

In US-Medien ist die ständig aktualisierte Liste bereits als "Hall of Shame" (Halle der Schande) zu Berühmtheit gelangt. Denn wer auf Sonnenfelds Russlandpranger landet, muss mit ernsthaften Konsequenzen für die öffentliche Reputation rechnen. Als die Liste erstmals vom Sender CNBC aufgegriffen wurde, hätten viele der dort genannten Firmen Börseneinbrüche zwischen 15 und 30 Prozent erlitten, schreiben Sonnenfeld und sein Yale-Kollege Steven Tian in einem Gastbeitrag für das Magazin "Fortune".

Mittlerweile haben Sonnenfeld und sein Team die Liste von einer simplen Zweistufigkeit ("raus aus Russland" versus "noch drin") zu einer differenzierteren Einstufung weiterentwickelt. Die Unternehmen sind jetzt in eine von fünf Kategorien einsortiert, die zeigen, wie stark die jeweilige Firma ihre Russland-Geschäfte tatsächlich abgebrochen hat. Denn da gibt es gewichtige Unterschiede.  

Klare Kante gegen Putin...

In der ersten Kategorie "Rückzug – klarer Bruch" finden sich rund 170 Unternehmen, die sich umfassend aus Russland zurückgezogen haben. Die Aufstellung reicht von Airbnb bis Swarowski. Aus Deutschland sind etwa Aldi, Daimler, Kühne+Nagel und die Bahn-Logistiksparte DB Schenker in dieser härtesten Boykottstufe vertreten.

In Kategorie zwei sind alle Unternehmen einsortiert, die ihre Geschäfte vorübergehend stillgelegt haben, sich aber die Option für eine Rückkehr offenhalten. Dazu zählt das Yale-Team aktuell 190 Unternehmen, unter anderem Ikea, H&M oder den Luxusgüterkonzern LVMH, deren Hunderte Russland-Filialen aktuell dicht sind. Auch die Sportartikelriesen Adidas, Nike und Puma sowie Deutsche Bank und Commerzbank stehen auf dieser Stufe. Dass die Einstufung teils diskussionswürdig ist, zeigt sich daran, dass McDonald's und Burger King auf der gleichen Stufe stehen, obwohl McDonald's seine (überwiegend selbst betriebenen) Filialen geschlossen hat, während Burger King dies nicht geschafft hat, da sich der russische Franchisenehmer weigert.

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...ein bisschen Boykott...

Wieder andere Unternehmen vollziehen den Balanceakt, Teile ihres Russland-Geschäfts einzustellen, andere aber laufen zu lassen – sie sind in Gruppe drei der Yale-Liste zusammengefasst. Dazu zählt etwa Pepsi, das in Russland keine Softdrinks mehr verkauft, aber immer noch Nahrungsmittel. Auch andere Konzerne fahren ihre Aktivitäten zurück, können oder wollen aber nicht alle sofort einstellen. Versicherer Allianz etwa hat angekündigt, das bestehende Geschäft "maßgeblich in geordneter Weise" zurückzufahren, kann aber eben nicht von heute auf morgen alle Verträge kündigen.

Ziemlich weit im roten Bereich der Shaming-Skala sind hingegen schon die Unternehmen in der vorletzten Kategorie: Sie legen lediglich neue Investitionen auf Eis, führen bestehende Geschäfte aber fort. Sie "spielen auf Zeit", so drücken es die Yale-Forscher aus. Zu dieser Gruppe halbherziger Unternehmen zählt Sonnenfelds Analyseteam auch die deutschen Industriegrößen BASF, Bayer, Henkel und Siemens. Ein Chemiewerk zu schließen, ist eben doch eine größere Sache als einen Klamottenladen.

So verurteilt BASF in einer Stellungnahme "den von der russischen Regierung angeordneten Angriff auf die Ukraine aufs Schärfste", setzt die lokale Produktion – sofern es die Sanktionen zulassen – aber fort, zum Beispiel für den Nahrungsmittelsektor. Auch Henkel und Bayer wollen weiter Dinge des täglichen Bedarfs liefern. Siemens hat neben dem Neugeschäft alle Lieferungen nach Russland eingestellt, setzt vor Ort aber seine Service- und Wartungsaktivitäten fort. 

...und die "Hall of Shame"

Bleiben schließlich noch drei Dutzend Unternehmen in der letzten Kategorie, der eigentlichen Hall of Shame: Sie weigern sich laut dem Yale-Pranger komplett, aus Russland zu verschwinden oder ihre geschäftlichen Aktivitäten einzuschränken. Am Pranger stehen etwa die Großbanken Credit Suisse, Société Générale und die österreichische Raiffeisenbank, die massiv in Russland investiert sind und nun überlegen müssen, wie sie aus der Nummer rauskommen. Auch die Computerhersteller Acer, Asus und Lenovo sind dabei, da sie sich im Unterschied zu anderen Hard- und Softwaregrößen wie Microsoft und Samsung bislang nicht positioniert haben.

Der vielleicht prominenteste aktuelle Shaming-Fall aus der Industrie ist Renault: Der französische Autohersteller hatte angekündigt, weiter in Russland Autos produzieren und verkaufen zu wollen – im Gegensatz zur automobilen Konkurrenz unter anderem aus Deutschland. Am Mittwochabend verkündete Renault dann doch, sein Werk in Moskau zu schließen – und stieg in der Sonnenfeld-Skala prompt von der letzten in die zweithöchste Kategorie. 

Die Menschen in den von Krieg und Gewalt betroffenen Gebieten in der Ukraine brauchen unsere Hilfe. Die Stiftung stern arbeitet mit Partnerorganisationen vor Ort zusammen, die von uns geprüft wurden. Wir leiten Ihre Spende ohne Abzug weiter. Über diesen Link kommen Sie direkt zu unserem Spendenformular.
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Weiterhin auf der untersten Stufe stehen zwei deutsche Unternehmen: Die Deutsche Telekom beschäftigt nach wie vor 2000 IT-Experten in Russland, obwohl mittlerweile selbst der eigene Betriebsrat die Konzernführung aufgefordert hat, alle Geschäftsbeziehungen zu kappen. Und auch der deutsche Großhandelskonzern Metro hat seine 93 Großmärkte in Russland nach wie vor offen. Keiner der 10.000 Mitarbeiter sei persönlich für den Krieg in der Ukraine verantwortlich, argumentiert das Düsseldorfer Unternehmen.

Manch ein Unternehmen mag sich in der Liste unfair eingestuft fühlen, zumal es für manche leichter ist einen klaren Cut zu machen als für andere. Aber Yale-Professor Sonnenfeld macht auch gar keinen Hehl daraus, dass er die Liste vor allem deshalb führt, um Druck auf Konzernlenker auszuüben, klar Stellung gegen Putins Regime zu beziehen. Die Liste werde in den Vorstandsetagen von Unternehmen, von Regierungsvertretern und Medien rund um die Welt zur Kenntnis genommen, schreibt Sonnenberg. Doch am meisten sei er "von den Tausenden von Nachrichten inspiriert, die wir von Lesern aus der ganzen Welt erhalten haben, insbesondere von denen aus der Ukraine". Er freue sich auch weiterhin über Tipps, Erkenntnisse und Feedback.

Anmerkung: Die aktuelle Entwicklung bei Renault wurde nach Veröffentlichung des Artikels nachträglich ergänzt