Sie haben bereits alles: Einfluss, Reichtum, Anerkennung. Trotzdem wollen sie mehr. Sie investieren Milliarden in riskante Papiere, sie wollen Unternehmen schlucken, die viel größer sind als ihr eigenes, sie setzen alles aufs Spiel.
Warum tun sie das nur? Warum zocken Topmanager?
Lob für riskantes Verhalten
"Viele Leute in solchen Positionen sind Anerkennungsjunkies", sagt Personalpsychologe Rüdiger Hossiep, der seit 25 Jahren als Coach und Trainer für Führungskräfte arbeitet. Sie träfen riskante Entscheidungen, weil sie sich dafür die meiste Anerkennung erhoffen. Risikobereitschaft sei in den vergangenen Jahren zu sehr öffentlich gefeiert worden, sagt der Berliner Wirtschaftspsychologe und Coach Thomas Binder. "Da standen sie schnell als Held da." An seiner Forschungsstelle an der Uni Bochum erarbeitet Psychologe Hossiep Test-Fragebögen, mit denen sich Eigenschaften von Fach- und Führungskräften ermitteln lassen, etwa Belastbarkeit, Leistungsmotivation oder Durchsetzungsfähigkeit. "Wer so weit oben ist, ist in der Vergangenheit für seine Entscheidungen immer bestätigt worden", sagt er.
Ähnlich ergehe es etwa einem Berufspendler, der versucht, auf seiner Strecke jeden Tag ein wenig schneller zu werden - so lange, bis etwas passiert: "Wer für Entscheidungen belohnt wird, traut sich immer mehr zu und geht immer weitere, immer größere Risiken ein. Und das Ausbleiben einer Bestrafung wirkt wie eine Belohnung."
Boni für Zocker
Auch die derzeitigen Gehaltssysteme mit Bonuszahlungen lockten "Zocker-Mentalitäten" an. "Heute hängt Erfolg viel mehr von Zahlen ab. Sie steigen nur auf, wenn sie Zahlen liefern. Langfristiges Denken wird nicht belohnt", sagt Hossiep. "Ein Zocker will immer ganz vorne sein und dem System ein Schnippchen schlagen. Diese Eigenschaft fördert den Karriereaufstieg."
Heute noch häufiger als früher säßen stark machtorientierte Menschen in den Führungspositionen. "Früher gab es zum Beispiel Germanisten im Vorstand, die nie geplant hatten, so hoch zu kommen", sagt Hossiep. "Heute sitzen da vermehrt Leute, die das schon immer angestrebt haben, die viel Macht und Geld haben wollten." Leute mit großem Ego.
Das gefährliche Manager-Ego
Und je größer das Ego, desto größer die Risikobereitschaft. Das fanden Forscher der Pennsylvania State University heraus. Sie analysierten zwölf Jahre lang die Eigenschaften von 111 Vorstandschefs aus der US-Computerbranche und verglichen die Ergebnisse mit dem Kurs des Unternehmens. Heraus kam der so genannte Narzissmus-Index.
Als Narzissmus-Indizien galten etwa die Größe der Porträts in den Geschäftsberichten, wie oft sie in Interviews "ich", "mein" und "mich" sagten, statt "wir", sowie der Abstand ihrer Gehälter zu den Zweitbestbezahlten der Firma. Das Ergebnis: Manager mit ausgeprägtem Ego fädeln umso lieber riskante und spektakuläre Deals ein.
Je größer der Narzissmus, desto stärker konzentrierten sich die Chefs auf das Wachstum und den Produktwandel des Unternehmens - aber weniger auf Kosten oder die Verbesserung der Qualität, denn dabei handelt es sich um Ergebnisse, die in der Öffentlichkeit weniger gut sichtbar sind. Die Leistungsbilanzen von Unternehmen, die von egomanischen Chefs geführt werden, unterliegen laut der Studie deshalb stärkeren Schwankungen.
Realitätsverlust durch mangelnde Kritik
Ein Problem sei vor allem, dass diese Egos niemand im Zaum hält, sagt Wirtschaftspsychologe Binder. "Die hohe Selbstsicherheit, die ja auch etwas Gutes ist, schlägt oft darin um, dass sie sich selbst nicht mehr hinterfragen." Dabei gehöre es doch zu einem gesunden Selbstbewusstsein, reflektieren und Kritik ertragen zu können. Selbstregulation sei dem Menschen nicht angeboren, sagt Binder. "Das lernt man nicht an der Uni, nicht mit Lehrbüchern, das lernt man, wenn man sich mit schwierigen Situationen auseinander setzt." Gerade Manager, in deren Biografien es immer nur steil bergauf ging - ohne jeden Widerspruch - erleben aber kaum Momente, in denen sie inne halten, reflektieren und Selbstkontrolle lernen. "Jeder lernt Selbstkontrolle, die Frage ist nur, wie gut." Das gleiche gelte für das Denken in längeren Zeithorizonten - eine Fähigkeit, die Zockern fehlt.
Nicht nur mangelnde Selbstkritik, auch fehlendes Feedback verstärke die Risikobereitschaft, sagt Psychologe Hossiep. Niemand traue sich, den Chefs die Meinung zu sagen: "Jede Info wird aufbereitet. Wenn sie oben ankommt, ist sie positiv", sagt er. "Unternehmen richten sich ein System ein, damit oben nur Lob ankommt." Viele Manager lesen nicht mehr selbst Zeitung, sondern nur die Pressezusammenfassungen, die ihre Mitarbeiter für sie vorbereiten, negative Berichte würden häufig aussortiert.
"Aus Unternehmen wurden die kritischen Köpfe an vielen Stellen ausgebürstet", sagt Hossiep. "Dabei gehen die meisten Sachen ja mit Ansage schief, jeder hätte sagen können, dass das nicht funktionieren kann. Aber keiner hat sich getraut." Dass in vielen Unternehmen das Feedbackklima fehlt, sei auch einer der Auslöser der Krise. "Nach drei bis vier Jahren im Vorstand stellt sich bei den allermeisten ein gewisser Realitätsverlust ein."
Unter Stress sind Männer aggressiver
Risikofreude liegt übrigens zum Teil auch an den Chromosomen: Männer, die unter Stress stehen, sind wesentlich risikofreudiger als Frauen in der gleichen Situation. "Wahrscheinlich hat es evolutionäre Gründe, warum Männer in Stresssituationen aggressiver reagieren als Frauen und mehr Risiken eingehen", sagt Nichole Lighthall von der University of Southern California. Männer reagierten so übertrieben risikofreudig, als würde es um den Gewinn von Territorien und wichtigen Ressourcen gehen.
Für ihre Studie nutzte die Wissenschaftlerin ein Ballon-Spiel: Die Probanden mussten Luftballons aufpumpen. Für jeden Pumpstoß durften sie fünf Cent berechnen - platzte der Ballon jedoch, weil sie zu viel gepumpt hatten, war der Gewinn zunichte. Während des Spiels hielten die Probanden eine Hand in eiskaltes Wasser, was den Körper stresst und den Cortisol-Spiegel nach oben treibt. Es stellte sich heraus, dass Frauen die Ballons wesentlich vorsichtiger aufbliesen. Sie gaben durchschnittlich nur 32 Pumpstöße ab, Männer dagegen 48.
"Männer scheinen eher riskante finanzielle Situationen einzugehen als Frauen", sagt die Wissenschaftlerin.