Gerd Pfisterer ist sauer. Er ist einer von hunderten Menschen, die sich schon gegen 13.30 Uhr vor dem Nokia Werk in Bochum versammeln. Dabei arbeitet Pfisterer gar nicht bei Nokia, sondern ist Betriebsrats-Vorsitzender beim Unternehmen "Hoesch Spundwand und Profil". Er zeigt aber trotzdem bei Nokia Flagge. Einmal noch tief Luft geholt, dann legt der 60-Jährige schon los. "Die Politiker werden hier auch nichts mehr reißen. Die haben doch nichts zu sagen." Sein Kollege Dirk Spangeberg stimmt ihm zu: "Das wird hier auch schief gehen, wie in Kamp-Lintfort." Damit spielt der 39-Jährige auf die Schließung des Handy-Werkes von BenQ-Siemens vor einem guten Jahr an. Dort kämpfte die Belegschaft auch um die Arbeitsplätze. Und verlor.
Am Dienstag war die Nachricht über das Aus wie ein kalter Wintersturm über die 2300 Mitarbeiter in Bochum gekommen, 1000 davon arbeiten als Leih-Arbeiterinnen meist sehr kurzfristig und fast auf Zuruf im Werk. Weitere 2000 Menschen in Zulieferer-Betreiben. Nichts hatte man in der Ruhrgebiets-Stadt geahnt. "Die Produktionskosten in Deutschland sind zu hoch", begründete Nokia-Aufsichtsrats-Vorsitzender Veli Sundbäck die Entscheidung. "Die Kosten müssten gesenkt werden, die Flexibilität gesteigert werden." Worte, die die Belegschaft angesichts der Milliardengewinne, die der Konzern in jedem Quartal einfährt, noch mehr auf die Palme gebracht hat.
"Gemeinsam sind wir stark"
Die Handy-Produktionsstätte in Bochum soll nach Rumänien verlagert werden, wo die Löhne deutlich niedriger sind. Nach Medienberichten will Nokia die Massenproduktion dort bereits in der ersten Februarwoche hochfahren. Bis zu 3500 Mitarbeiter sollen demnach dort bald arbeiten. Das finnische Unternehmen hat sich dazu bislang nicht geäußert.
Es ist gegen 14.20 Uhr, als sich der Platz vor dem Werkstor langsam mit Menschen füllt. Rote IG-Metall Fahnen werden geschwenkt. Es gilt die Maxime: "Gemeinsam sind wir stark." Und so stehen die Nokia-Mitarbeiter nicht alleine im kalten Januar-Regen. Die Gewerkschaft der Polizei, die IG Metall, Abgesandte vom Opel-Betriebsrat, Bündnis 90/ Die Grünen, alle haben eigene Fraktionen geschickt,. Auch wenn ihre auf einer schön roten Fahne hoch gehaltene Forderung wie blanker Hohn klingen muss: "30 Stunden Woche bei vollem Lohnausgleich." Viele Menschen haben Tränen in den Augen, wischen sich diese verschämt aus den Augenwinkeln, oder weinen leise vor sich hin, auch wenn sie dabei von etlichen TV-Teams gefilmt werden.
Alles wartet auf den Ministerpräsidenten
Die Menge wartet auf den kurzfristig angekündigten Besuch des CDU-Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers. Gegen 14.30 Uhr soll er kommen, will kurz vor den Mitarbeitern sprechen, um danach eine Stunde mit dem Betriebsrat über die drohende Schließung zu diskutieren. Doch bis es soweit ist, wendet sich die Betriebsratsvorsitzende Gisela Achenbach kämpferisch per Mikrophon an die Menschen: "Wir haben das hier alles mit unseren Händen aufgebaut. 1989 gab es hier gar nichts. Dann arbeiteten hier erst 70 Menschen, heute sind es 2300." Ihre kraftvolle Rede wird immer wieder vom Applaus der Belegschaft unterbrochen. Dann sagt sie laut und deutlich, was sie von der bevorstehenden Schließung hält: "Das ist doch zum Kotzen." Denn noch im Dezember habe man "20 Sonder-Schichten in der Produktion gefahren" und nun das plötzliche Aus.
Eine der Betroffenen Nokia-Mitarbeiterinnen ist Selbinaz Sahin, 28. Sie arbeitet seit zehn Jahren im Werk. "Das kam von heute auf morgen und ist schon bitter." Mehr will sie nicht sagen, zu geschockt ist sie angesichts der Entscheidung des Mutterkonzerns. Gegen 15.15 Uhr steigt Ministerpräsident Jürgen Rüttgers im dunklen Woll-Mantel und weißen Hemd mit Schwung vom linken Vordersitz der Regierungskarosse aus. Durch die Menschenmenge geht es dann weiter in Richtung Eingang. Mehrere Hundert sind es, die wie wild klatschen oder pfeifen. Rüttgers Bodyguards schieben die Menschen immer wieder zur Seite. Es dauert etliche Minuten, bis der Tross vor dem Werkstor ankommt.
Mechanische Reaktionen im Publikum
Jetzt will Rüttgers reden, doch es gibt kein Mikrophon, Minuten vergehen. Dann endlich donnert Rüttgers Stimme über den Platz: "Ich bin heute mit dem Arbeitsminister Laumann hierher gekommen, um mit dem Betriebsrat über das, was hier in den letzten Stunden in Bochum passiert ist, zu reden. Ich habe kein Verständnis für das Verhalten der Geschäftsleitung von Nokia."
Köpfe nicken mechanisch, schrille Pfiffe ertönen. "Glauben die den, dass die Menschen in Rumänien besser sind, als die Mitarbeiter hier in Bochum?" Dann ergänzt Rüttgers: "Ich erwarte, dass man das nicht mit den stammelnden Erklärungen belässt." Weiter will der Ministerpräsident geklärt wissen, ob "Subventionen nach Rumänien geflossen sind". Immerhin soll das finnische Unternehmen Nokia vom Land NRW in den Jahren 1995 bis 1999 an die 60 Millionen Euro Subventionen erhalten haben, aufgestockt noch durch 28 Millionen Euro vom Bund.
Wenige Meter entfernt steht Gerd Pfisterer. Er hat die Rede aus nächster Nähe mitverfolgt und sagt daraufhin angesprochen: "Heute sagt er das, wegen der Presse. Und morgen ist das doch schon wieder vergessen!" Dann geht er langsam zu seinen Kollegen zurück und zündet sich nachdenklich eine Zigarette an. Die Hoffnung auf die Politik hat er längst aufgegeben.