Angst: Kaum ein anderes Wort vermag die Deutschen so in seinen Bann zu ziehen. Das wissen Politiker. Das wissen die Medien. Und weil beide die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit benötigen, kommt es immer wieder zu einer Symbiose der Angstmacher. So auch die letzten Tage.
Ja, die Zeiten sind unsicher. Das Endspiel um den Euro ist in vollem Gange. Und alles kann ganz schrecklich werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass Griechenland den Euro verlassen muss oder austreten will, ist höher denn je. Die Gefahr eines Dominoeffekts, der andere - wie Portugal oder Spanien - mitreißt, ist hoch. Was dann aus Wachstum und Beschäftigung auch in Deutschland wird, ist völlig offen. Viele fürchten, nicht zu Unrecht, dass es in Europa zu einer schweren Wirtschaftskrise kommt, deren Folgen dramatischer werden als alles, was die Nachkriegsgeneration am eigenen Leib bislang erfahren musste.
Auch ein Rettungsszenario verbreitet Ängste. Wenn die Europäische Zentralbank (EZB) weiterhin Geld ohne Substanz druckt, droht der Euro zu einer Währung zu werden, die niemand mehr wirklich haben will. Inflation und Abwertung sind dann die Folgen. Kaufkraft- und Vermögensverluste treffen Kleinverdiener und Rentner genauso wie Sparer oder Hartz IV-Empfänger. währungsreformgeplagte Deutsche fürchten verständlicherweise wenig mehr als eine Entwicklung, bei welcher der Euro zu Monopoly-Geld degeneriert.
Grandioses Angsttheater
Mit diesen Schreckensszenarien als Kulisse lässt sich ein grandioses Angsttheater inszenieren. Kleine Politiker von großen Parteien oder vermeintlich große Politiker kleiner Parteien profitieren davon. Auf der Bühne der Ängste finden sie jene Themen, die ihnen eine sonst verwehrte Aufmerksamkeit garantieren. Meist geht es gegen das "Ausland" oder "Ausländer". Die nationale Karte sticht immer. Diffuse Argumente schüren eine in jeder Gesellschaft vorhandene Furcht vor dem Fremden, Unbekannten und Unsicheren. Überfremdungsängste oder – wie jetzt in der Eurokrise – die Sorge, nationale Rechte und Kompetenzen ans Ausland zu verlieren und von außen zu einer Solidarhaftung gezwungen zu werden, die man nicht will, sind leicht zu erzeugen.
Unterstützt werden die Panikmacher dieser Tage durch prominente Stimmen aus der Finanzwelt. Seit Ausbruch der Krise prognostizieren bekannte Marktbeobachter im Monatsrhythmus zum x-ten Male immer wieder aufs Neue den unmittelbar bevorstehenden Crash. Darf man Bankanalysten wirklich trauen, ein unabhängiges Urteil zu fällen? Muss nicht für einzelne Banker die Versuchung groß sein, Zerfallsszenarien ins Rampenlicht zu bringen, um im Hintergrund auf die zu erwartenden Reaktionen verängstigter Sparer, Kleinanleger und Vermögensbesitzer zu spekulieren? Viele Finanzinstitute verdienen ihre Provisionen aus Umsätzen, nicht Beständen. Sie brauchen Bewegung im Markt, nicht Ruhe. Für sie gibt es nichts Besseres als hektisch agierende Kunden, die durch Umschichtung versuchen, ihr Vermögen ins Trockene zu bringen.
Verdächtig(er) wird es, wenn ein weltbekannter Finanzinvestor, der vor einiger Zeit mit Wetten auf Wechselkursentwicklungen richtig reich wurde, dem Euro noch eine Restlebenszeit von drei Monaten voraussagt. Könnte es nicht sein, dass der Angstmacher Ängste schürt, weil er genau damit viel Geld verdient? Finanzmärkte treiben nicht nur die Politik vor sich her. Sie verleiten auch die Bevölkerung zu Reaktionen, von denen insbesondere die Stimmungsmacher profitieren.
Die Eurorettung kann gelingen
Wer Angst sät, wird Angst ernten. Wer immer wieder von Neuem dem Spektakel auf der großen Angstbühne beiwohnt, glaubt am Ende, dass das Theater die Wirklichkeit widerspiegelt. Dann steigt in der Tat die Gefahr, dass sich Voraussagen erfüllen und früher oder später wahr wird, was vorher lediglich ein Schauspiel war. Wenn Vorstände ständig mit Weltuntergangsszenarien konfrontiert werden, dann müssen sie Notfallpläne durchspielen. Alles andere wäre grob fahrlässig. Somit ist es nicht verwunderlich, dass nun auch Manager den Optimismus verlieren, in Deutschland die Stimmung in den Keller geht und sich die Erwartungen eintrüben.
Für einen um sich greifenden Pessimismus gibt es zweifelsfrei stichhaltige Gründe. Aber genauso eindeutig finden sich gute Argumente für mehr Optimismus. Auch wenn es der Stimmung in Deutschland widerspricht: die Eurorettung kann gelingen. In vielerlei Hinsicht steht Europa besser da, als insbesondere in Deutschland vermutet wird. Wohl eher später als früher dürfte Südeuropa aus der Krise auftauchen und wieder zu mehr Wachstum und weniger Arbeitslosigkeit zurückfinden. Dafür gibt es erste, wenn zugegebenermaßen auch noch schwache Anzeichen. Sie werden hierzulande so lange missachtet, wie den Angstmachern die große mediale Bühne gehört. Es wäre an der Zeit, den Spielplan zu ändern. Ein Wiederauferstehungsdrama gehört ins Programm! Und dafür braucht es Akteure auf allen Ebenen von Politik, Gesellschaft und Wirtschaft, die einen Kampf nicht verloren geben, der zu gewinnen ist.