Finanzen "Der Trend geht zum Zweit- und Drittkonto"

Zeichnung der Beratung in einer Bankfiliale
"Bei wichtigen Finanzfragen möchte immer noch ein großer Teil der Kunden ein Gespräch Auge in Auge führen"
© Getty Images
Unternehmensberaterin Ursula Weigl hat die Zukunft der Bankfiliale erforscht. Es wird alles digitaler, aber für manche Zwecke ist der Besuch vor Ort immer noch unverzichtbar.

Frau Weigl, wann waren Sie zuletzt in einer Bankfiliale?
Privat ist es mindestens zehn Jahre her. Ich war nicht einmal in der Bankfiliale, als ich meine Baufinanzierung abgeschlossen habe.

Früher waren in einer Einkaufsstraße die Filialen von Sparkasse, Volksbank, Deutscher Bank und Commerzbank oft nur einen Steinwurf voneinander entfernt. Warum ist das nicht mehr so?
In vielen mittleren und größeren Städten gibt es noch die Straßen, wo sich die Bankfilialen ballen. Aber vor allem im ländlichen Raum haben viele Banken ihr Filialnetz reduziert, und man findet oft nur eine Sparkasse oder Volks- und Raiffeisenbank. Warum das so ist? Ganz nüchtern betrachtet: Eine Filiale verursacht Kosten und muss sich rechnen. Und immer mehr Kunden erledigen ihre Bankgeschäfte digital.

Früher wählte man oft die Bank, die in der Nähe und gut erreichbar war.
Das ist oft immer noch so. Viele Kunden sind von Kindesbeinen an bei der Bank, die am nächsten vor ihrer Haustür liegt. Aber es ist ein Mythos, dass in den Filialen hauptsächlich beraten wird. In der Realität geht es oft um einfache Serviceleistungen oder Auskünfte, mit denen Banken kaum Geld verdienen. Es ist eine Herausforderung: Der Service vor Ort ist für die Kundenzufriedenheit wichtig, aber aus Banksicht teuer.

Wozu braucht es noch Filialen?
Bei wichtigen Finanzfragen möchte immer noch ein großer Teil der Kunden ein Gespräch Auge in Auge führen. Wenn es darum geht, einmal im Leben den Immobilienkauf zu finanzieren oder wichtige Entscheidungen in der Vermögensanlage oder Altersvorsorge zu treffen. Manchen Kunden reicht inzwischen aber auch ein Videotelefonat von Mensch zu Mensch. Das machen sich einige Direktbanken zunutze.

Gibt es noch andere Gründe?
Filialen sind wichtig für die Gewinnung neuer Kunden. Wenn wir auf Europa schauen, wird noch immer die Hälfte aller neuen Konten in der Filiale eröffnet.

Profilbild Ursula Weigl
Ursula Weigl ist bei McKinsey auf die Finanzbranche spezialisiert

Rein digitale Banken haben oft günstigere Konditionen, aber welche Bedürfnisse können sie nicht so gut erfüllen?
Zwei ganz unterschiedliche Dinge: zum einen einfache Vorgänge, die aber selten vorkommen, etwa die Änderung des Familiennamens oder das Einlösen eines Schecks. Zum anderen das individuelle Gespräch, das die persönlichen Ziele im Leben berücksichtigt. Die Standardisierung der Beratung bietet Banken viele Vorteile, stößt hier und da aber noch an Grenzen.

Lebensentscheidungen lassen sich nicht im Ankreuzverfahren treffen.
Das Interesse an Finanzthemen nimmt erfreulicherweise zu, insbesondere bei Frauen und jüngeren Menschen. Da suchen sich viele heute Informationen selbst zusammen und treffen Anlageentscheidungen eigenständig. Aber etwa die Risikobereitschaft und Erfahrung mit Finanzprodukten in einem qualifizierten Beratungsgespräch noch mal abzuklopfen, ist vielen Kunden nach wie vor wichtig und bei zentralen Entscheidungen sicher sinnvoll.

Damit ich nicht in Panik gerate, wenn mein zusammengeklicktes ETF-Depot bei einem Börsencrash abschmiert …
Genau. Aber das kann Ihnen natürlich grundsätzlich auch mit in einer Filiale gekauften Investmentfonds passieren. Wichtig ist, sich über Risiken, aber auch Chancen bewusst zu sein. Und Abschlusskosten sowie andere Produktkosten müssen natürlich auch in der Anlageentscheidung berücksichtigt werden.

Sie schreiben in einer Studie, dass aus Sicht der Banken nicht die richtigen Kunden in die Filialen kämen. Müssen also Ältere oder Menschen mit niedrigem Einkommen oder Vermögen in Zukunft damit rechnen, dass da Schilder hängen: Ihr müsst draußen bleiben!
Sicher nicht. Ältere Menschen sind nach wie vor die profitabelste und gewinnbringendste Kundengruppe. Der überwiegende Anteil der Erträge wird mit Menschen 55 plus verdient. Da erreicht die Phase der Vermögensbildung ihren Höhepunkt. Es stehen zudem wichtige Lebensentscheidungen an wie die Planung der Geldentnahme oder das Schenken und Vererben.

Wie oft braucht ein deutscher Kunde im Jahr seine Bank?
Im Schnitt 134-mal! Die Zahl der Interaktionen nimmt zu, diese erfolgen zu drei Vierteln aber digital. Die Leute checken oft ihren Kontostand oder das Depot.

Jedes zweite Girokonto wird laut Ihrer Studie inzwischen bei einer Direktbank oder rein digitalen Bank eröffnet. 84 Prozent des Geldes aber liegen immer noch bei traditionellen Instituten. Warum?
Die häufig jüngeren Kunden bei Digitalbanken haben tendenziell noch nicht so viel gespart. Außerdem geht der Trend nicht unbedingt zum Bankenwechsel, sondern zum Zweit- oder Drittkonto. 18 Prozent der Deutschen haben inzwischen sogar vier oder mehr Konten. Wir beobachten einen Wandel der Hausbankbeziehung und eine Fragmentierung. Das Gehaltskonto bleibt da, wo es ist, aber man hat eine oder mehrere zusätzliche Banken für die Vermögensanlage oder Baufinanzierung.

Oft gibt es keine Telefonnummer mehr, geschweige denn einen persönlichen Ansprechpartner. Habe ich heute nur noch als Superreicher die Chancen, immer mit demselben Menschen zu sprechen?
Der Trend im klassischen Privatkundengeschäft geht zur Betreuung durch Pools oder Teams. Das muss aber nicht unbedingt nachteilig sein. Die Kunden wollen schnell jemanden erreichen und nicht in Warteschleifen hängen.

Ein überraschendes Ergebnis Ihrer Untersuchung ist, dass die Kunden inzwischen mit den digitalen Angeboten zufriedener sind als mit den Filialen.
Die Qualität des Kontaktes muss stimmen. Viele schätzen die Interaktion vor Ort, aber manche Angelegenheiten lassen sich inzwischen genauso oder sogar leichter digital erledigen. Ein Teil sagt auch: Für was bin ich denn in die Filiale gekommen? Für ein Gespräch, dessen Inhalt ich im Internet schneller hätte nachlesen können. 

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