Der Keuschheitsgürtel hat als Symbol für Triebabfuhrverhinderung eine erstaunliche Kraft entwickelt - obwohl eigentlich niemand genau weiß, seit wann es ihn gibt und wozu er eigentlich gut war. Erhalten sind nur wenige Exemplare, und die stammen nicht einmal aus dem Mittelalter, sondern datieren deutlich jünger. Über den Zweck sagen die einen, dass damit die Gattin des Ritters während seiner Abwesenheit vom Fremdgehen abgehalten werden sollte. Was, angesichts monate-, wenn nicht jahrelanger Feldzüge, unhygienisch bis tödlich gewesen wäre. Andere behaupten, das Gerät sollte Frauen vor Vergewaltigung schützen für den Fall, dass sie feindlichen Kriegern in die Hände fallen. Aktueller Stand der Forschung: Der Keuschheitsgürtel war das, was er auch heute ist: ein Fetischobjekt.
Wenn Letzteres stimmt, hat die Erfindung des New Yorker Start-ups AR Wear relativ wenig mit einem Keuschheitsgürtel gemeinsam, als der sie gerade von sich reden macht: nämlich als "Anti-Vergewaltigungswäsche". In dem Verkaufs- und Investmentvideo heißt es rhetorisch: "Warst du jemals nachts allein unterwegs und wünschtest, du könntest dich sicherer fühlen?" Eine Frage, die vermutlich niemand mit Nein beantworten würde. Vier Minuten lang preisen die Macher die Vorzüge ihrer Hightech-Unterhose an: Reiß- und schnittfest soll sie sein und zudem nur von der Trägerin selbst zu öffnen. Jahrelang wollen die Erfinder an der Kleidung gearbeitet haben, die möglichen Gewalttäter keine Chance lässt.
Was von den Machern sicher gut gemeint ist, entpuppt sich als hoch kontroverses Thema. Ob in Foren oder Blogs, auf Facebook oder Twitter, überall diskutieren Frauen und Männer darüber, ob diese "Anti Rape Underwear" nicht das Täter-Opfer-Verhältnis verdreht. Typische Aussage: "Wir sollten Männer dazu bringen, keine Frauen zu vergewaltigen, anstatt den Frauen zu suggerieren, wenn ihr das nicht tragt, seid ihr selbst schuld."
Panikmache oder sinnvoller Schutz?
Im Magazin "Slate" ätzt Autorin Amanda Hess: "Nichts lässt sich eine Frau in ihrer Haut wohler fühlen, als die ständige Erinnerung daran, dass sie stets ihre Genitalien vor einem möglichen Vergewaltiger schützen muss." In diesem Zusammenhang beklagt sie eine angebliche "Vergewaltigungskultur", die dieses Produkt mehr oder weniger unterschwellig suggeriert. Nicht ganz zu Unrecht, denn im Video heißt es: "Ob beim ersten Date, bei einer durchtanzten Nacht, beim abendlichen Joggen, bei Reisen in andere Länder oder anderen riskanten Situationen bietet unser Produkt Schutz."
Wiederum andere fragen sich, was denn wohl passieren wird, sollte ein Angreifer bei seinem Vergewaltigungsversuch feststellen, dass er nicht weiterkommt. Eine Facebook-Nutzerin malt sich das so aus: "Der Täter reißt im Adrenalinrausch wild am Höschen seines Opfers herum - erfolglos - denkt daraufhin 'Och, menno' und lässt von seinem Objekt der Begierde ab? Nettes Märchen!"
Trotz aller Kritik: Nicht wenige Frauen begrüßen die neue Unterwäsche. Letztlich íst sexueller Missbrauch - egal ob in Europa, in den USA oder Asien, wie die Reihe von Vergewaltigungsfällen in Indien zeigt, tatsächlich trauriger Alltag.