Angriff auf Gerichtsvollzieher Total normale lebensgefährliche Berufe

  • von Manuela Pfohl
Die tödlichen Schüsse auf einen Gerichtsvollzieher in Karlsruhe sind die Spitze eines Eisbergs. Auch Fahrkartenkontrolleure, Busfahrer, Rettungssanitäter werden zunehmend Opfer von Gewalttätern.

Nein, ein Angsthase ist Walter Gietmann nun wirklich nicht. Seit 33 Jahren macht er seinen Job als Gerichtsvollzieher und überbringt seiner "Kundschaft" schlechte Nachrichten. Er hat schon manches erlebt, wenig hat ihn aus der Ruhe gebracht. Aber jetzt, nachdem ein 53-Jähriger am Mittwoch in Karlsruhe bei einer Zwangsräumung der Wohnung seine Freundin, den Gerichtsvollzieher, einen Mitarbeiter des Schlüsseldienstes und den neuen Wohnungseigentümer erschossen hat, ist Gietmann doch ins Grübeln gekommen. Der 59-Jährige erinnerte sich sofort an einen seiner Fälle von vor drei Wochen.

Eine Wohnungsräumung in Krefeld. Der Vermieter hatte Gietmann gewarnt: Sein Mieter habe eine Schusswaffe und sei sehr aggressiv. Der Gerichtsvollzieher informierte die Polizei und die sagte ihm, er solle sich im Ernstfall melden, dann würden sie ihm Unterstützung schicken. Gietmann erzählt: "Ich bin also mit dem Schlüsseldienst und einem Zeugen zur Wohnung, hab geklingelt und es ist nichts passiert. Alles lief ganz friedlich ab." Wie fast immer in seinem langen Berufsleben. "Wenn man dann allerdings hört, was in Karlsruhe passiert ist, fragt man sich doch, war ich zu unvorsichtig? Hätte mir das auch passieren können?" Und: Hätte ich mich ausreichend schützen können?

Eine Frage, die sich manchem nach dem Drama von Karlsruhe aufdrängte und nicht nur unter Gerichtsvollziehern diskutiert wird. Denn die tödlichen Schüsse von Karlsruhe waren nur die Spitze eines Eisbergs. Es gibt inzwischen viele Jobs mit einem erhöhten Sicherheitsrisiko, die quasi nicht von Berufs wegen mit Gewalt rechnen müssen wie Polizisten oder Sicherheitsangestellte. Auch Mitarbeiter in Arbeitsagenturen, Sozial- und Jugendämtern sowie Gerichten, Finanzbeamte, Politessen, Fahrscheinkontrolleure, Busfahrer oder Schaffner - sie alle müssen auf der Hut sein.

Gewalt hat zugenommen

Dass ihnen gegenüber immer wieder Gewalt nicht nur angedroht, sondern auch angewandt wird, müssen selbst Rettungssanitäter feststellen. "Spiegel Online" zitierte eine aktuelle Studie der Ruhr Universität Bochum, die feststellte, dass von 900 befragten Rettungssanitätern und Feuerwehrleuten 59 Prozent schon aggressiven Angriffen ausgesetzt war. Jeder vierte Retter sei Opfer körperlicher, strafrechtlich relevanter Gewalt geworden. Und daran habe sich auch nichts geändert, nachdem seit 2011 die Angriffe auf Rettungskräfte unter den gleichen Paragrafen fallen wie Attacken auf Vollstreckungsbeamte.

Offensichtlich wird das gewaltbereite Gegenüber nicht von der Drohung mit einer erheblichen Strafe abgeschreckt. "Wenn wir auf die Leute treffen, dann sind die oft so betrunken oder mit Drogen vollgepumpt, dass die gar nicht mehr realisieren, dass sie auf uns losgehen", erzählt eine Ärztin aus Stuttgart.

In Oberhausen, wo ein Gewalttäter einem Busfahrer im April das Jochbein brach, ist die Hälfte aller Fahrzeuge mit Videokameras ausgestattet. "Wir überlegen, diese Busse verstärkt im Nachtverkehr einzusetzen. Am Wochenende sind zudem spezielle Sicherheitskräfte unterwegs", wird eine Sprecherin des kommunalen Unternehmens der "Westdeutschen Allgemeinen Zeitung" zitiert. Zudem werde allen Fahrern regelmäßig Deeskalationstrainings angeboten.

Dramatisch geht es auch in deutschen Amststuben zu. In einer großen Berliner Behörde hat die Frauenvertreterin einen Fragebogen entwickelt und an 6000 Beschäftigte geschickt. Sie wollte wissen, ob sich die Kollegen von ihrer Kundschaft bedroht fühlen. Sehr viele - 1165 Menschen, 987 davon Frauen - haben ihn ausgefüllt. Das Ergebnis: Fast ein Drittel ist schon von Kunden bedroht oder beschimpft worden. Mehr als 93 Prozent halten einen Notfallknopf in den Arbeitsräumen wegen einer möglichen Bedrohung für sinnvoll. Auch 37 Männer geben an, dass sie schon in einer Situation waren, in denen ihnen ein Notfallknopf geholfen hätte.

Es muss nicht immer die Polizei kommen

Inzwischen gibt es eine Debatte darüber, gefährdete Berufsgruppen zu bewaffnen. Walter Gietmann, Bundesvorsitzender des Deutschen Gerichtsvollzieher Bundes lehnt dies ab. Auch aus Sicht der Polizeigewerkschaft GdP sollten zum Beispiel Gerichtsvollzieher trotz des blutigen Geiseldramas von Karlsruhe keine Waffen mit sich führen oder stets von Polizisten begleitet werden. "Man muss nicht immer mit der Polizei kommen. In den wenigsten Fällen nimmt eine Zwangsräumung ein derart blutiges Ende", sagt der baden-württembergische GdP-Landeschef Rüdiger Seidenspinner.

Das sieht auch Gietmann so. In Deutschland gibt es 4600 Gerichtsvollzieher. 2010 hatten sie rund 6.4 Millionen Vollstreckungsaufträge plus rund zwei Millionen Zustellungen auszuführen. Gietmann glaubt nicht, dass die Kollegen mit Schusswaffen bei ihren Einsätzen weiter kämen. Der Gerichtsvollzieherbund fordert stattdessen eine längere und qualifiziertere Ausbildung seiner Kollegen. "Wir müssen besser geschult sein, was Deeskalationsstrategien anlangt." Oft sei schon viel erreicht, wenn man mit den Klienten ins Gespräch komme.

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