Dieter Wedel ... kam 1942 in Frankfurt/M. als Sohn eines Ingenieurs und einer Pianistin zur Welt und wuchs in Bad Nauheim auf. Nach dem Abitur studierte er an der FU Berlin Theaterwissenschaften, Publizistik und Geschichte, promovierte über Expresionismus im Drama. Heute ist Dr. Dieter Wedel der erfolgreichste deutsche Fernsehregisseur. Seit 1970 dreht er Fernsehspiele, die Figuren zu "Der große Bellheim" (1992) und "Der Schattenmann" (1996) hat er erfunden, die Drehbücher selbst geschrieben. Schließlich 1998: "Der König von St. Pauli" und 2001: "Die Affäre Semmeling". Wedel ist mehrfach ausgezeichnet. Er hat sechs Kinder, das jüngste, Sohn Benjamin, mit Freundin Dominique Voland. Seine zweite Lebensgefährtin Uschi Wolters leitet die Hamburger Filmfirma. Er lebt auf Mallorca und in Hamburg. Obschon wegen seiner Wutanfälle gelegentlich gefürchtet, gilt Dieter Wedel als begnadeter Geschichtenerzähler.
8.50 Uhr:
Er betritt den Frühstücksraum im Seehotel Bader in Bobenheim-Roxheim fast unbemerkt. Dabei sieht er nicht unauffällig aus, der Mann in Weiß. Das Hemd zwei Knöpfe offen, vor den Augen die dunkle Sonnenbrille mit Gläsern in großer Tropfenform, goldgerahmt. Ein bisschen Playboy-Stil der 60er Jahre. Enten durchpflügen hörbar das stille Wasser des Altrheins gegenüber. Weil Mario Adorf bei den diesjährigen Freiluftfestspielen "Die Nibelungen" in Worms nicht wieder den Hagen spielen mochte, muss Wedel aus dem Filmteil des Bühnenspektakels Szenen nachdrehen. Der Hagen 2003 heißt Manfred Zapatka. Die Filmszenen, auf riesige Leinwände projiziert, ergänzen das Spiel auf der Freilichtbühne. Vier Tage schon bewohnt Dieter Wedel in dem idyllischen Hotel am Altrhein ein Doppelzimmer. Neben ihm, immer an seiner Seite: Dominique Voland, 28 Jahre alt, Gefährtin und Mutter des gemeinsamen Sohnes Benjamin. Am Büfett gabelt Wedel zwei Scheiben gekochten Schinken auf seinen Teller, wählt Margarine statt Butter, bestellt ein Spiegelei. "Ich bin kein Frühaufsteher, nee", sagt er und lacht keckernd, "beim Drehen ist sowieso die beste Zeit der Nachmittag." Für einen Moment nimmt er die Brille ab. Ein Fuchsgesicht, mit Augen so blau wie Gletscherbonbons. "Ich hab empfindliche Augen", sagt er. Dominique wedelt die Brotkrümel von seiner Hemdbrust.
9.45 Uhr:
Chauffeur Stefan hat auf dem Parkplatz den schwarzen BMW 7er Modell der Wormser Festspielleitung vorgefahren und die rechte Hintertür für Wedel geöffnet. Niemand dreht sich nach ihm um. "Auf Mallorca", erzählt er beim Einsteigen, "da hat mal einer, als er mich sah, zum Fenster rausgerufen: ‚Ach, der Dietl, nee, nee, der andere, nu sach schon.‘" Er lacht arglos dahin. Dieter Wedel taugt weder zur Diva noch zum Narziss. Er schiebt sich auf den Sitz und gähnt. Dabei war er gestern vor Mitternacht schon im Bett, sonst schläft er oft erst gegen zwei Uhr ein. Meist beim Fernsehen, obwohl ihm das Programm selten gefällt. "Alle großen deutschen Schauspielerinnen enden doch heute als Kommissarinnen." Das empört ihn. Er liest viel. Die Hitlerbiografie von Joachim Fest zum Beispiel für sein nächstes Filmprojekt über die letzten Tage im Führerbunker. Während der Fahrt liegt seine linke Hand auf Dominiques Knie. Er nennt die junge Frau Domi, Domilein oder Spatz, sie ruft ihn Dieterle. Für Paare nicht ungewöhnlich, zu Hause untereinander. Domi und Dieterle trennen nicht zwischen öffentlich und privat. Man wird Zeuge ihrer Intimität, ungefragt.
10.10 Uhr:
Drehort ist heute eine Kiesgrube neben Monsheim bei Worms. Eine Senke der Ödnis, den Boden der Grube bedeckt weißer Staub, fein wie Mehl. Von weitem schlurft der neue Hagen, Manfred Zapatka, schwer in schwarzer Montur durchs Gelände herbei. Wedel fädelt sich ein auf dem Platz ohne Herrscherallüren, eher wie ein Gast. Begrüßt die Mitarbeiter mit Handschlag und Distanz zugleich. Hier ein kleiner Plausch mit der Requisiteurin, dort ein paar Worte mit dem Mann fürs Videodesign. Zwischen 30 und 40 Menschen sind am Set versammelt. Im grünen Zelt mit den Monitoren nimmt er Platz. Tauscht den Regiesessel gegen einen weißen Plastikstuhl. Mustert dann die Szenen, die gleich mit Manfred Zapatka zu drehen sind. "Bitte nicht rascheln", flüstert einer der Umstehenden ängstlich, "wenn er sich was ansieht, ist er sehr geräuschempfindlich."Wedel ist für seinen Jähzorn berühmt. "Ich trampele dann auch vor Wut, was ein bissel wie ein Rumpelstilzchen aussieht", gesteht er. "Aber wenn man eine solche Wut nicht kontrollieren könnte, dann wäre man unfähig, so einen Apparat zu leiten."
11.20 Uhr:
Giselher, den André Eisermann spielt, kann in Jeans in die Szene, man wird ihn nicht sehen, nur sprechen und summen hören. Hagen steht am Beifahrersitz eines Mercedes-Cabrios aus den 20er Jahren. Davor schieben Helfer den sitzenden Kameramann auf einer Schiene lautlos hin und her. "Wie heißt der Mann?", erkundigt sich Wedel bei den Umstehenden. "Paul?" – "Nee, Klaus", sagt Aufnahmeleiter Uwe Urbas. Lässt Vor- und Zunamen auf einem Blatt notieren, damit der Chef ihn nicht mehr vergisst. Als der Kameramann einmal hinter Wedel die Zeltplane hochzieht und den Regisseur anspricht, antwortet der lange und freundlich, doch ohne sich umzudrehen. Herrschaft durch Körpersprache. "Ruhe bitte für die Probe", ruft Urbas. "Wartet, wir sollten jetzt die Rüstung anlegen", lautet Hagens Satz. Er wird ihn noch mindestens 30-mal wiederholen müssen.
13.00 Uhr:
Es geht voran. "Jawoll, sehr gut", ruft Wedel aus dem Zelt hinaus. Die Einstellung ist gelungen, die nächste klemmt noch: "Manfred, nicht mit dem Blick mitgehen", ruft Wedel. "Ja, ja", antwortet Zapatka. Auf der Szene selbst bleibt Wedel abseits stehen wie ein Zaungast. Die Arme am Oberkörper eng anliegend, nach unten von sich gestreckt wie Fremdkörper. Manchmal ballt er auch die Fäuste, steckt dann nur die Daumen in die Hosentaschen. Als Junge haben ihn Kinderlähmung und Tuberkulose lang ans Bett gefesselt, das prägt ein Körpergefühl fürs Leben. Er hat fleischige Hände, wie Pranken.
14.20 Uhr:
Was auf dem Monitor wie Gras aussieht, sind in Wirklichkeit ein paar zurechtgebundene trockene Halme im Topf. "Das Gras gibt dem Raum mehr Tiefe", sagt Wedel. Im Cateringzelt steht, in Edelstahlwannen, das Essen bereit. Tortellini mit Tomatensauce, Fleisch in brauner Tunke, Salat. Wedel isst Fleisch, aber es schmeckt ihm nicht. Er isst gerne gut. "Ein ganzer Drehtag für so wenige Einstellungen", sagt er, "das ist normalerweise undenkbar. Aber das Einpassen nachgedrehter Szenen ist kniffelig". Was er nicht ausstehen kann, sind Schauspieler, die nicht vorbereitet sind: "Diese Gesichts- und Stimmverleiher, die gleich auf die Uhr gucken, weil sie abends noch ein Hörspiel haben."
15.40 Uhr:
"Noch eine Winzigkeit", sagt Wedel draußen, nahe der Kamera, sanft zu Manfred Zapatka, "nimm die Mütze einen Hauch später ab, damit sich die Bewegung mit dem Text nicht überschneidet." Er hat Respekt vor den Schauspielern, spielt sich selbst nicht auf. Später erzählt er von einer Szene aus dem "Schattenmann" mit Mario Adorf und Heiner Lauterbach. Lauterbach soll Adorf Feuer geben, aber die Hand des einen zittert so wie die des anderen. Wedel spricht es an, darauf Adorf: "Herr Wedel, Sie haben uns jetzt 80 Regieanweisungen gegeben für eine Minute. Und wir versuchen, das alles zu realisieren. Da kann ich nicht auch noch auf das Zittern meiner Hand achten." Beeindruckt hat ihn das: "Viele Leute denken immer, die machen das mit links, aber da sieht man, unter was für einem Druck die stehen." Erstaunt wie ein großes Kind stellt er das fest. "Manfred, das war ein bisschen verrutscht, zu überbetont", sagt er zu Zapatka. Der lächelt geduldig: "Gut."
12.37 Uhr:
Hagen und Giselher stellen sich beim Mercedes auf. "Achtung", "Ton ab", "Ton läuft", "Kamera ab", "Kamera läuft". "Bitte!", bellt Wedel, es ist die Aufforderung zu beginnen. Der Befehl klingt gewaltig, fast wie ein Geschoss. Er betont auf der zweiten Silbe: "Biddee." Sein ganzer Körper scheint es herauszuschleudern. Keiner würde es wagen, diesen Moment zu stören. "Wartet, wir sollten jetzt die Rüstung anlegen", sagt Hagen. "Danke", ruft Wedel, das Signal zum Abbruch. Irgendetwas am Anschluss hat nicht gestimmt. Wiederholung. "Das Nachdrehen von Szenen ist wie Handarbeiten", sagt Wedel, "furchtbar, so eine Flickarbeit, das ist wie etwas reparieren statt neu erfinden."
16.30 Uhr:
Wedels Anweisungen sind wie feine Federstriche. Nur kurz nimmt er die Einstellungen auf dem Monitor in den Blick, schiebt dabei den Unterkiefer nach vorn. "Ja, gut so." Oder: "Nein, der Anschluss stimmt nicht. Kann ich das noch ein bisschen totaler haben?" Wie durch ein Wunder sind dann doch die meisten Einstellungen abgedreht, das heißt fertig. Wedel lächelt. Doch er lächelt nicht gern auf Kommando.
17.40 Uhr:
Wedel steht jetzt fast nur noch draußen auf der Szene. "Ich kann auf dem Monitor nicht die Augen der Schauspieler sehen. Und sie nicht meine. Aber gerade das wollen sie." Szene 14, die zweite Einstellung. Ton ab, Kamera ab, "Biddee". Dann ruft eine Stimme aus dem Monitorzelt: "Lichtwechsel. Wir warten auf die Sonne." Keiner wagt zu sprechen. Ein paar Minuten später geht’s weiter. "Das hier", sagt Dieter Wedel, "ist doch auch wie das Spielen mit der elektrischen Eisenbahn." Mit ihm in der Meisterrolle, in der man das Spiel bestimmen kann.
18.15 Uhr:
Drehschluss. Requisite und Catering packen ein. James McDowell, der künstlerische Betriebsdirektor, kommt mit einer Flasche "gutem französischem Rotwein". Wedel wollte eigentlich gehen. Kameramann Modrow setzt sich mit an den Tisch im Cateringzelt. "Hab früher immer von Günter Strack eine Kiste Wein bekommen, so viele Flaschen, wie ich alt wurde", erzählt Wedel. Der französische Wein entpuppt sich als Cuvée CS aus Rheinhessen. "Komm, einen Schluck trinken Sie jetzt auch", ruft Wedel einem Schauspieler zu: "Ein guter Wein hat auch etwas mit Kultur zu tun." Sein Handy klingelt, es ist Uschi, die andere Frau in seinem Leben. "Uschi hat sich Sorgen gemacht", sagt er hinterher, "sie hat ein Telefonklingeln zu spät gehört und dachte, es sei was passiert." Stefan fährt den Wagen vor. Zurück ins Hotel. Erst mal "kühl baden".
21.00 Uhr:
Die Hotelterrasse ist voll besetzt. Gäste grüßen ihn. Für Herrn Dr. Wedel findet der Kellner jenseits des Schilds "Geschlossene Gesellschaft" noch einen Tisch: "Ist doch auch ruhiger hier." Wedel trägt jetzt ein Seidenhemd in Hellbeige zum dunklen Seidenanzug, die Ärmel ein wenig zu lang. Über dem Altrhein neigt sich der Tag dem Ende zu. "Schauen Sie sich dieses Licht an", schwärmt er, Dominique nickt. Der Hotelchef macht kurz seine Aufwartung. Im Fernsehen wird wohl wieder nichts Tolles laufen. "Die Fernsehleute können sich zwar fragen: Was kam schon immer gut an?", sagt Dieter Wedel, "aber vielleicht gibt es auch neue Formen, von denen die Zuschauer noch gar nicht wissen, dass sie ihnen gefallen würden. Wir kommen nicht drum herum, uns wieder was einfallen zu lassen."