Ein Computerspiel, das im Mittelalter spielt? Da könnte man sich einiges einfallen lassen. Etwa die Spielfiguren mit heißem Pech zu übergießen, sie in Kerker zu stecken, an der Beulenpest sterben zu lassen und als Hexen zu verbrennen. Man könnte auch Barbaren gegeneinander kämpfen lassen, Kreuzzüge ausrufen, die Inquisition ausschicken und Ketzer foltern.
Oder man macht es wie "Anno". Bei dem Spiel gibt es Häuschen mit Fachwerk, stolze Kathedralen, prachtvolle Gewänder und blühende Obstgärten. Händler bringen kostbare Waren aus fernen Ländern, fröhliche Bauern ernten Weizen und Hanf, Ritter messen sich vergnügt auf Turnieren. Und der orientalische Großwesir Al Zahir ist nicht etwa ein Feind, den es zu besiegen gilt, sondern einer, von dem man lernen kann, weil er uns kulturell überlegen ist.
Seit vor elf Jahren der erste Teil "Anno 1602" erschien, ist keine deutsche PC-Spieleserie erfolgreicher gewesen. Millionen "Annoholics" stechen seither mit ihren Bildschirm-Schiffen in See, bauen virtuelle Wirtshäuser oder Kirchen und sorgen dafür, dass immer genügend Weizen wächst. Sie haben Fanseiten im Internet gebaut, Clubs gegründet, eigene Modifikationen programmiert und sich sogar Kurzgeschichten ausgedacht, die in der Anno-Welt spielen, und die man im Internet nachlesen kann. Manche nehmen sogar Urlaub, wenn eine neue Version erscheint - was nun, nach fast drei Jahren, wieder soweit ist. Am 25. Juni erscheint "Anno 1404". Unwahrscheinlich, dass die Fans davon enttäuscht sein werden. Denn Anno ist Videospielen zum Wohlfühlen: ein Bisschen "Sim City", ein Bisschen "Die Siedler von Catan", ein Bisschen Modelleisenbahn, ein Bisschen "Der Name der Rose".
(Spiel-)Prinzipientreu
Am Spielprinzip der neuen Version hat sich wenig geändert. Los geht es mit einer einsamen Hütte auf einem verlassenen Eiland. Es müssen Rohstoffe erschlossen und eingekauft werden, um die Siedlung Schritt für Schritt auszubauen und schließlich eine große Stadt zu schaffen. Ob man bei dieser Aufgabe von Piraten, Konkurrenten oder Naturkatastrophen belästigt werden will, kann jeder beim Start des Spiels festlegen. Wer will, kann auch Armeen aufstellen und Schiffe versenken, aber das braucht man eigentlich nicht. Es sind die farbenfrohen und liebevoll gestalteten Details, die den Reiz des neuen Anno ausmachen.
Lebhafter denn je geht es in den Städten zu: Elegante Flaneure, Priester, Bauarbeiter, Händler, Träger und spielende Kinder bevölkern die Straßen. Auf dem Land sieht man Schweine, die sich im Dreck suhlen, in den Mostereien zerstampfen Frauen das Obst mit den Füßen. Über Mandelhainen kreisen exotische Vögel, an der Oase rasten Kamele, bevor sie Waren aus der Karawanserei abtransportieren. 34 verschiedene Tierarten bevölkern die Inseln, die jetzt viel natürlichere Formen haben als früher. Oder das Wasser, auf das Entwickler Christopher Schmitz besonders stolz ist. Er spricht von "3D-Wasser", weil es so real wirkt.
"Anno 1404"
PC-Version ist ab dem 25.6.09 im Handel. Ebenfalls erhältlich sind spezielle Versionen für die Spielkonsolen Nintendo Wii und DS.
Wasser "made in Germany"
Wasser, das übrigens "made in Germany" ist. Zwar gehört die Spieleserie inzwischen dem französischen Konzern Ubisoft, doch hergestellt wird es in Mainz, wo es seinen Ursprung hat. Drei Jahre lang haben dort Zeichner, Autoren und Programmierer an der neuen Anno-Inselwelt gearbeitet. Über die Höhe des Budgets will Schmitz nicht reden. Nur soviel: "Unser Budget dürfte das der meisten deutschen Kino-Produktionen in den Schatten stellen." Im Büro dominieren Brillen, Bärte und lange Haare. In den Regalen stehen Bücher wie "Alltag im Mittelalter" oder "Die Erde von Oben", an den Wänden hängen Skizzen von Wappen, Polygonmodelle von Häusern und Burgen. In einem Raum arbeiten 15 Spieletester, die den ganzen Tag nichts anderes machen als zu spielen - der Traumberuf von so manchem Teenager. Direkt gegenüber platziert sind die Bugfixer, deren Aufgabe es ist, die von den Spieletestern gefundenen Fehler, im Fachjargon "Bugs" genannt, aus dem Programmcode zu entfernen. Auch die Synchronisation wird hier gemacht, denn Anno ist nicht nur in Deutschland ein Hit, sondern weltweit. 14 unterschiedliche Sprachversionen wird es geben. Zunächst gibt es Übersetzungen ins Englische, Französische, Italienische und Spanische. Weitere folgen später.
Frage an den Entwickler
Aber sagen Sie mal, Herr Schmitz, ist die Welt, die Sie da erschaffen, nicht zu schön um wahr zu sein? Wäre ein Bisschen Lepra und ein Bisschen Inquisition nicht vielleicht sogar realistischer als nur heile Welt? Denn dass das Mittelalter nicht nur aus Fachwerkhäusern und fürstlichem Prunk bestand, und dass die Beziehungen zwischen Okzident und Orient in weiten Teilen nicht vom Handel, sondern vom gegenseitigen Abschlachten geprägt war, ist doch nicht abzustreiten?
Anno ist "historisch unkorrekt", sagt Schmitz. "Im Spiel muss nicht alles so sein, wie es wirklich war, es muss so sein, wie man erwartet, dass es gewesen sein könnte." Zwar orientiere sich Anno an historischen Gegebenheiten, doch wer mehr über das Mittelalter erfahren möchte, soll sich "lieber ein Buch kaufen". Für die Programmierer habe es vor allem eine Prämisse gegeben: "Der Spieler soll Freude haben."