"Neverwinter Nights 2" Vier Freunde sollt ihr sein

Mit "Neverwinter Nights 2" setzt Atari geneigten Zockern bereits das dritte Rollenspiel-Monstrum in diesem Jahr vor. Kein Spiel für Entscheidungsschwache ...

Bevor sich der beziehungsweise die Held(in) in spe in die Schlacht werfen kann, muss selbige(r) erstmal geschaffen werden. Es vergeht einige Zeit, bis aus den gegebenen acht Rassen, zwölf Basis- und 16 Prestigeklassen sowie zig Einstellungsmöglichkeiten (Geschlecht, Statur, Gesicht, Stimme, Haarfarbe, Talente, Attribute, Religionszugehörigkeit, persönlicher Background) das entsprechende Alter Ego erstellt ist. Zumindest das ist klar: "Neverwinter Nights 2" ist kein Spiel für Entscheidungsschwache ...

Ist diese Hürde - notfalls per automatischer Zusammenstellung - aber genommen, findet sich der Neuankömmling in dem kleinen Dörfchen Westhaven wieder. Es ist die Zeit des Erntedankfests, weshalb ausgelassene Party-Stimmung herrscht. Dieses stellt gleichzeitig das Tutorial dar, in dessen Verlauf die Basics des Kampfes, Fallen knackens, Kämpfens und Zauberns vermittelt wird.

Die Heiterkeit währt aber nicht lange: Das verschlafene Nest wird von Zwergen angegriffen. Grund für den Angriff ist ein silberner Splitter, den der verschlossene Ziehvater Daeghun Farlong einst in einem Krieg gefunden hat und in einem nahe gelegenem Dungeon versteckt hat. So beginnt die Reise, die den anfangs schwachbrüstigen Charakter über viele Umwege zu einem mächtigen Überhelden werden lässt. Dafür sorgen letztlich die Prestigeklassen, die durch richtige Skillpunkteverteilung freigeschaltet werden.

Bis es soweit ist, wollen aber viele Schlachten geschlagen, Dialoge geführt und Quests gelöst werden. Dabei spielt "Neverwinter Nights 2" seine ganze Stärken aus. Neben der Hauptaufgabe, dem Geheimnis des Silbersplitters auf den Grund zu gehen, gilt es, viele Sidequests zu absolvieren. Diese versprechen nicht nur Skillpunkte, sondern auch noch unterschiedliche Verläufe - je nach moralischer Gesinnung des Helden. Nur ein Grund, warum man rasch tief in der Rollenspielwelt von "Neverwinter Nights 2" versinkt: Ein anderer: die vielen Dialoge, durch die eine dichte Bindung zu den Partymitgliedern aufgebaut wird.

Jene sind nämlich alles andere als nur kämpfendes Beiwerk. Vielmehr hat jeder einzelne Gefährte seinen eigenen Charakter, der sich je nach Handlung des Protagonisten in Kommentaren äußert. So bricht der ruppige Zwerg Khelgar Eisenfaust gerne mal grundlos eine Tavernenschlägerei vom Zaun, während friedfertige Naturen eher den Dialog vorziehen und andere wiederum dringend eine Psychotherapie benötigten. Besonders zu loben sind dementsprechende Wortgefechte zwischen den Partymitgliedern, die viel Leben in das Spielgeschehen bringen und sie als autarke Persönlichkeiten präsentieren.

In den Unterhaltungen mit allerlei NPCs stehen Multiple-Choice-Antworten zur Auswahl, die friedfertig, rüde, diplomatisch oder bestimmt ausfallen können. Je nach Fertigkeitsstufe und Würfelglück führen die Dialoge zu einem friedlichen Ausgang der Konfrontation oder zu einem blutigen Gemetzel.

Die Kämpfe laufen streng nach Regelwerk ab und werden wie das klassische Brettrollenspiel ausgewürfelt, heftiges Buttonsmashing führt in den rundenbasierten Auseinandersetzungen also zu rein gar nichts. Nacheinander geben die Charaktere ihre Schläge ab oder greifen tief in die Zaubertrickkiste. Eine praktische Hilfe ist die Leertaste: Sie pausiert das Spiel, wodurch den Partymitgliedern verschiedene Ziele und Angriffsmethoden zugeordnet werden können, ohne dass Hektik ausbricht. Nur so bekommt man auch die störrische Kamera in den Griff, die ständig per Hand nachjustiert werden will, um das Geschehen einzufangen.

Apropos: Besonders schön umgesetzt ist er Einsatz der Magie, der meist recht effektreich und mit mächtiger Soundausgabe unterlegt ist. Auch der Rest der Grafik kann sich sehen lassen. Zwar stößt "Neverwinter Nights 2" nicht in Regionen eines "Oblivion" vor, hat aber trotzdem schöne Texturen, Schatten- und Lichteffekte und einen Tag-Nachtwechsel vorzuweisen.

Musikalisch bewegt sich das Spiel auf hohem Niveau, die Stücke sind angenehm zu hören und passen perfekt zur mittelalterlich-anmutenden Fantasy-Welt. Zu loben ist die Sprachausgabe, die viel zur Stimmung im Spiel beiträgt und die Charaktere lebendig und "echt" wirken lässt. Einzig die teils hakelige Maussteuerung bringt Minuspunkte.

Neverwinter Nights 2

Hersteller/Vertrieb

Obsidian Entertainment/Atari

Genre

Rollenspiel

Plattform

PC

Preis

ca. 50 Euro

Altersfreigabe

ab 12 Jahren

Insgesamt ist "Neverwinter Nights 2" genau das richtige Spiel für Rollenspielfans der alten Schule, denen "Gothic 3" zu verbuggt und "Oblivion" zu actionorientiert ist. Aber auch Neulinge sollten einen Blick auf das derzeit beste traditionelle Rollenspiel werfen, das auf alte Tugenden im neuen Gewand setzt. Und wenn das Single-Player-Abenteuer nach rund 40 Stunden seinem Ende entgegen steuert, garantieren der Koop-Multiplayer-Modus und das mächtige Toolset für viele neue Aufgaben an der Schwertküste.

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Jens-Ekkehard Bernerth/Teleschau

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