Arbeiten im Computerbereich: Eine coole Sache. Viele frisch Studierte weinen der Uni noch eine allerletzte Träne nach und wagen sich dann mit frischem Mut an die Aufgabe heran, einen allerersten Job zu finden. Natürlich kommt dafür nur die elektronische Bewerbung per E-Mail in Frage. Eingesessene IT-Firmen bekommen das Grauen: Megabyte-großer Bewerbungs-Spam verstopft inzwischen alle Mail-Fächer.
Mareike freut sich: Kosten gespart
Mareike hat zwei Ausbildungen hinter sich, ein halbes Jahr in Amerika abgesessen und sich dann auch noch durch drei kostenlose Praktika in verschiedenen IT-Betrieben gekämpft. Jetzt ist sie der Meinung, genug Lorbeeren gesammelt zu haben. Ein Job muss her, Kohle muss her, eine bessere Wohnung muss her. Das einzige Problem: Woher eine neue Stelle nehmen und nicht stehlen?
Da kommt ihr Freund Peter auf eine famose Idee: »Du Schatz, in meiner Computer-Zeitung habe ich gerade etwas ganz Tolles gelesen. Gerade im IT-Bereich freuen sich die Personalchefs so richtig doll über eine elektronische Bewerbung per E-Mail. Wer so etwas aufsetzen und abschicken kann, beweist damit bereits sein Vermögen, sich der digitalen Technik zu bedienen. Das sei so etwas wie ein erster Eignungstest. Wer den besteht, kann gar nicht mehr verlieren.«
Mareike ist misstrauisch: »Aber in den Stellenanzeigen stehen doch gar keine E-Mail-Adressen.«
»Nur Schlaffis melden sich auf eine Stellenanzeige«
Peter weiß Bescheid: »Nur Schlaffis melden sich auf eine Stellenanzeige hin. In meiner Zeitung stand auch, dass sich die Personalchefs vor allem über unerwartete Bewerbungen freuen. Dann haben sie gleich schon jemanden zur Hand, noch bevor eine neue Stelle ausgeschrieben wird. Das spart denen eine Menge Geld ein, weil die dann nicht mehr nach neuen Bewerbern suchen müssen. Außerdem zeigt es, wie selbstbewusst und zielstrebig du bist. Packst einfach deine Probleme an und wartest nicht erst auf eine Chance.«
Mareike denkt nach und jubiliert dann: »So mache ich das«. Flugs scannt sie ihre Zeugnisse ein, schreibt eine Bewerbung und verschickt alles per E-Mail: »Schatz, das kostet ja gar nichts. Was ich da alles spare: Umschläge, Passbilder, Zeugniskopien, Porto. Dafür gehen wir heute Abend schick essen.« Mareike surft noch eine Stunde durch das Internet, besucht nach dem Zufallsprinzip IT-Firmen, die sie in Google gefunden hat und schickt einfach jeder eine Bewerbung zu. Dann beginnt das große Warten. Wie viele Zusagen sie wohl erhält? Zehn? Zwanzig? Oder doch nur fünf?
Klaus ärgert sich: Was steckt denn da in der Leitung?
Klaus ist seit fünf Jahren selbstständig und zeichnet Cartoons mit Computer-Gags für Fachmagazine. Er hat einen Angestellten, der halbtags vorbeikommt und sich um die Kolorierung der Comicstrips kümmert. Klaus wartet dringend auf einen neuen Vertragsentwurf und ruft deswegen alle fünf Minuten seine wartende E-Mail-Post ab.
Da kommt plötzlich eine 1,5-Megabyte-Bombe, sicherlich der Vertrag. Obwohl doch eine einzelne Word-Datei sicherlich nur 50 Kilobyte groß sein dürfte, vielleicht 150 mit dem integrierten Verlagslogo.
Was Klaus nach endlosen Augenblicken des Wartens allerdings erhält, ist eine »Initiativbewerbung«. Aha. Klaus öffnet die Mail und findet in ihr den Text »Dies ist eine Bewerbung« vor. Schön. Klaus klickt sich in den Anhang hinein, der ihm da so unvermutet das Postfach verstopft hat, findet aber nur eine einzelne ZIP-Datei vor. Bevor Klaus also Näheres über die geheimnisvolle Bewerbung erfahren kann, muss er das ZIP-Archiv in ein separates Verzeichnis verschieben und dort entpacken. Klaus seufzt: Genau dafür hat er jetzt eigentlich überhaupt keine Zeit. Aber er weiß genau: Schaut er sich die Sache nicht gleich an, geht sie sofort in den Dutzenden Mails unter, die er jeden Tag erhält.
Anschreiben.html - nicht sehr persönlich
Beim Entpacken springt Klaus gleich eine Datei namens Anschreiben.html ins Auge. Er lädt sie per Doppelklick in den Web-Browser. Da bewirbt sich eine Mareike bei ihm, die Informatik studiert hat und sich mit Programmiersprachen und Datenbanken auskennt. Ein persönliches Wort? Denkste. Ein Gehaltswunsch? Fehlanzeige. Stattdessen soll Klaus sich um alles weitere kümmern: »Es würde mich freuen, wenn sie eine geeignete Stelle für mich finden würden.«
Schreibt man »sie« nicht groß in einem Brief? Egal. Klaus überlegt kurz, ob es wohl ein Programm gibt, das diese Bewerbung per Knopfdruck ausspuckt. Dann öffnet er die Anhänge und schaut sich den Lebenslauf und die Zeugnisse an. Die Zeugnisse sind der Hit: Schlecht gescannte JPEG-Bilder, in denen die einzelnen Worte nur mit viel Fantasie lesbar sind.
Klaus denkt kurz nach, ob er in seinem Zeichenbüro eine Datenbank-Programmiererin benötigt und schiebt die ganzen Dateien schnell in den Papierkorb. Was für ein Tag!
Die Moral von der Geschicht'
Bewerbungen per E-Mail sind ganz großer Kappes. Kein Personalchef freut sich, wenn wieder eine unverlangte Megabyte-Bombe in seinem Postfach auftaucht. Erfahrungsgemäß sind die meisten E-Mail-Bewerbungen sehr schlampig zusammengeklickt. Miese Scans der Zeugnisse treffen da auf unpersönliche Massen-Anschreiben, die sogar eine direkte Anrede des jeweiligen Empfängers vermissen lassen. Wichtige Informationen wie etwa eine Beschreibung einer eigenen Fertigkeiten fehlen oft ebenso wie die Adresse (sic!) oder eine ansprechende Gestaltung der Seiten. Kurzum: Die elektronische Bewerbung ist nichts anderes als Spam, unerwünschte Werbung in eigener Sache.
Wer eine papierne Bewerbung zusammenstellt, zeigt deutlich mehr Erfurcht vor der Sache. Er sieht jederzeit schwarz auf weiß, ob seine Unterlagen etwas taugen und vertraut dabei nicht der flüchtigen Macht des Elektronischen. Da die papierne Bewerbung durchaus Geld kostet, wird sie eben nicht leichtfertig in alle Richtungen verschickt, sondern ganz gezielt einzelnen Adressaten zugestellt. Die Empfänger einer klassischen Bewerbung sind ebenfalls im Vorteil. Sie legen die Bewerbung beiseite, bis sie Zeit dafür finden, sich näher mit ihr zu beschäftigen. Und eine richtig gut gemachte klassische Bewerbung sorgt schneller für einen guten Eindruck als das fetteste Multimedia-Monster, das per Mail verschickt wird. Wer unbedingt zeigen möchte, wie gut er computern kann, legt einfach eine CD-ROM mit eigenen Werken bei oder verweist auf eine Homepage im Internet.
Carsten Scheibe