Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus. Das habe ich dieses Weihnachten deutlich bemerkt. Viel zu oft wurde ich von meinem Schreibtischstuhl fortgelockt, um mich mit völlig irdischen Dingen zu beschäftigen. So wurde ich bereits in den vergangenen Tagen der behaglichen Wärme meines Kellerbüros entzogen und mit der harten Realität eines herannahenden Weihnachtsfestes konfrontiert. Ich musste in die klirrende Kälte hinaus, um einen Weihnachtsbaum zu kaufen. Frau und Kinder waren einmal mehr dafür, die vollen zwei Meter achtzig bis zur Decke unseres Wohnzimmers auszunutzen und einen Baum zu kaufen, der vielleicht noch einen Zentimeter Luft zwischen Baumspitze und Decke lässt. Ich präferierte hingegen einen Baum in lustiger Kniehöhe, weil man den wunderbar in zwei Minuten mit drei Kugeln schmücken könnte - und fertig wäre die ganze lästige Angelegenheit. Aber natürlich setzt sich die Sippe gegen das "Kellerkind" durch und kauft den höchsten Baum. Und weil es so schön ist, schaut sich die eigene Ehefrau "zur Sicherheit" noch einmal alle anderen Bäume aus, obwohl das perfekte Gestrüpp doch schon längst gefunden ist. Wenn ich damals bei ihr so wählerisch gewesen wäre...
Orks sind freundlicher als Geschenkpapier
Zu Hause bleibt auch keine Zeit mehr, um weitere Texte zu tippen, Computerspiele zu starten oder die letzten Folgen der Harald-Schmidt Show in einem Bildschirmfenster zu bestaunen - eine TV-Karte macht's möglich. Denn ich werde eiskalt herangezogen, um Geschenke einzupacken. Dabei fällt mir auf, dass es mir leichter fällt, mich in einem blutigen PC-Dungeon um einen rasenden Ork herumzuschleichen oder mich durch ganze Armaden geifernder Aliens zu ballern, als Geschenkpapier so um ein sperriges Präsent zu wickeln, dass es nicht reißt und am Ende auch noch halbwegs hübsch aussieht. Danach werde ich noch immer nicht in meinen Keller entlassen, obwohl mir schon der Schweiß des Entzugs auf der Stirn steht. Aufräumen soll ich. Die halbe Bude, weil doch die Verwandten kommen. Ich kann am PC-Bildschirm wunderbar Icons zu symmetrischen Mustern anordnen. In der harten Realität ist es aber ungleich schwieriger, Mülleimer vor die Tür zu wuchten, Kaminholz zu stapeln, Kinderspielsachen zu sortieren oder den ganzen Krimskrams zu verstauen, der überall auf jedem Tisch herumliegt.
Das können die nicht von mir wollen
Der größte Schock steht mir noch bevor. "Schatz, du hast jetzt so viel am PC gearbeitet die letzten Monate, die nächsten drei Tage gehören doch allein uns, oder?", säuselt meine Frau. Die Kinder springen um mich herum: "Au ja, au ja, au ja." Weihnachten und die beiden Feiertage nicht arbeiten? Aber die "Shareware Spezial" muss doch noch fertig geschrieben werden. Diverse Testberichte für Stern.de stehen noch aus. Wie soll ich denn jetzt jeden Morgen an meine News kommen, wenn ich Bild.de, Stern.de, Focus.de und Spiegel.de nicht mehr länger lesen kann? Und meine Daily Comics, die jeden Morgen im Dutzend lustiger auf meinem Bildschirm erscheinen? Da verpasse ich ja drei Folgen von "Stone Soup", "For Better or For Worse" und "Baby Blues". Ach herjeh.
Aber ich stelle mich der Herausforderung. Ich werde jetzt den Computer herunterfahren, die Lautsprecher ausstellen, mir eine CD-R als alternatives Nikotinpflaster auf die Schulter kleben und hoffen, dass den Verwandten das Zittern des Entzugs nicht allzu sehr auffällt.