Wutentbrannt rauscht meine Frau ins Büro. Sie war gerade in der Stadt und hat nacheinander drei große Kaufhäuser besucht. Auf der Suche nach einem schicken Radiowecker mit Leuchtanzeige für die Kinder musste sie sich so einiges gefallen lassen. Nach einer langen Fahrt, einer endlosen Parkplatzsuche, einer hohen Ausgabe für einen Parkschein und einem Zeit raubenden Spaziergang zum Kaufhaus im Regen und in der Kälte musste sie vom herbeizitierten Verkäufer ihres Vertrauens regelmäßig hören: "Ham wa nicht." Im dritten und letzten Kaufhaus gab sie nicht gleich wieder auf, sondern schaute sich noch einmal selbst genauer um. Tatsächlich fand sie dabei zwei kindertaugliche Wecker mit Digitalanzeige und Radiomodul - einen mit Micky Maus für unseren Sohn und einen mit einer pinkfarbenen Prinzessin für die Tochter. Der Verkäufer reagierte ob des plötzlichen Vorhandenseits der Wecker erstaunt: "Wusste nicht, dass wir so was führen." Unwissenheit, immer wieder. Auf die Frage, um was es sich bei den auf der Produktschachtel angepriesenen "6 Disney-Wecksignalen" denn handele, konnte er nur mit den Schultern zucken und ebenfalls einen Blick auf die Verpackung werfen. Die Möglichkeit, den Karton zu öffnen und das Radio einmal auszuprobieren, bestand nicht: "Damit kenne ich mich eh nicht aus." Meine Frau musste die Radios blind kaufen.
Nachdem sie im Kaufhaus auch noch versucht hatte, eine trendige Kick-o-Mania-Fußballerfigur mit Kevin Kuranyi für die Patensöhne zu erstehen, erntete sie nur weiteres Schulterzucken: "Ausverkauft". Und: "Keine Ahnung, wenn das wieder reinkommt."
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Es geht auch anders
Jetzt steht meine Frau im Büro und möchte wissen: "Wer ist gerade im Internet?" Nun, wir sind alle gerade im Internet. Also kommt sie zu mir, weil sie mich am besten rumkommandieren kann. Mit Google suche ich nach den Kick-o-Dingsdas und werde ziemlich schnell fündig. Die Online-Shops zeigen auf einen Blick an, ob die Figuren gerade lieferbar sind oder nicht. Benjamin Lauth, Oliver Kahn und Roy Makaay kann ich sofort haben, nur Kuranyi ist schon überall "aus". Der ist anscheinend schwer begehrt, der Junge. Dann entdecken wir einen Shop, der hat den Kuranyi auf Lager. Stimmt das auch? Wir rufen an: Eine sehr nette Frau schaut sofort nach, legt den Fußballer für uns beiseite und bittet uns, die Bestellung online aufzusetzen. Dann gibt sie uns noch einen Tipp: Wir können zwar per Lastschriftverfahren bezahlen, aber besser wäre es, so kurz vor Weihnachten per Nachnahme zu löhnen. Dann würde die Bestellung nämlich sofort ausgeführt - und nicht erst dann, wenn die Überweisung abgeschlossen ist.
Wer hätte das Geschaft
Tatsächlich: Einen Tag später ist die Ware da. Meine Frau ist begeistert: Eine superbe Beratung, eine prompte Lieferung, und die Portokosten sind auch moderat - etwas mehr als ein Parkzettel. Bei ihr dauert es ja immer etwas, bevor sie technische Neuerungen annimmt. Aber jetzt ist kein Halten mehr. Schnell sucht sie für unsere Nichte im Internet auch noch nach einem Rennschlitten. Auch hier stellt ein Telefonanruf sicher, dass die rote Farbvariante noch verfügbar ist. Außerdem kann meine Frau am Telefon noch einige Fragen stellen, die ihr auch sofort beantwortet werden. In einem dritten Online-Geschäft wird auch noch rasch ein Schreibtischstuhl bestellt - die Nichte hat im Januar ja auch gleich noch Geburtstag. Die ausführlichen Informationen auf der Homepage bieten mehr Fakten als jeder Verkäufer im Ladengeschäft. Beim Stuhl fallen sogar die Porto- und Verpackungskosten weg. Meine Frau strahlt: "Das ist Einkaufen, wie ich es mag." Zwei, drei Tage später sind alle Waren da.
Wir Computerhansels im Büro sind stolz auf "unsere" Online-Shops. Sollen die großen Warenhausketten doch ruhig jammern: Erst haben sie mit wirtschaftlicher Gewalt die kleinen mittelständischen Läden aus ihren Nischen verdrängt. Jetzt tauchen diese Mittelständler im Internet wieder auf. Und sorgen mit guten Preisen, viel Service und tief gehenden Informationen zu allen Produkten dafür, dass sie den Großen die abgeworbenen Kunden ihrerseits wieder wegnehmen. Meine Frau meint jedenfalls: "Nächstes Jahr werden alle Geschenke online gekauft". Sag ich doch!
Eine Glosse von Carsten Scheibe, Typemania