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Kurz vor Weihnachten hat Angola die Nase voll. Am 21. Dezember erklärt der südwestafrikanische Staat seinen Austritt aus der Opec. Die Mitgliedschaft in dem Ölkartell sei nicht im nationalen Interesse, schimpft Ölminister Diamantino Azevedo im Fernsehen. Der große afrikanische Staat möchte mehr Öl fördern, als die von Saudi-Arabien kontrollierte Organisation festgelegt hat. Denn sonst müsste Angola auf viel Geld verzichten.
Es war der Schlusspunkt unter zwölf nervenaufreibende Monate, in denen die Opec zwar nicht erwartet hatte, ihre exorbitant hohen Gewinne des Krisenjahres 2022 zu wiederholen, aber dennoch mit stabil hohen Ölpreisen von etwa 90 US-Dollar pro Fass rechnete: Die russische "Spezialoperation" dauert an, terrorisiert nicht nur die Ukraine, sondern belastet auch die Energiemärkte. Gleichzeitig plante mit China vergangenes Jahr der weltweit größte Importeur von Öl nach dem Ende seiner knallharten Corona-Maßnahmen das globale Wirtschaftscomeback.
Doch das Comeback der zweitgrößten Volkswirtschaft blieb aus, stattdessen dominierten verschuldete chinesische Immobilienriesen die Nachrichten. Dazu gesellten sich immer weiter steigende Leitzinsen in den USA und Europa. Global brach der Konsum ein und mit ihm die Ölpreise: Am 1. Januar 2023 kostete ein Fass Rohöl (Brent) noch fast 85 US-Dollar, zwölf Monate später waren es gut zehn Prozent weniger - und das, obwohl Opec-Anführer Saudi-Arabien seit Ende 2022 gleich vier Förderkürzungen durchgesetzt hat, um das Angebot zu verknappen und die Ölpreise wieder nach oben zu treiben.
Die Zahlen sind alarmierend: 2022 förderte Saudi-Arabien am Limit und schmiss täglich mehr als 12 Millionen Fass Öl (bbl) auf den Markt; inzwischen sind es noch 9 Millionen Fass. Größter Förderer ist stattdessen das mit der Gemeinschaft verbündete Russland (Opec+), das seine Förderleistung von 11 Millionen auf 9,5 Millionen Fass am Tag zurückfuhr.
Insgesamt würden alle Opec-Staaten gemeinsam derzeit 6 Millionen Fass Öl pro Tag weniger produzieren, als sie könnten, fasste die "Financial Times" das Dilemma zusammen. Der Marktanteil des Kartells sei dadurch auf nur noch 51 Prozent geschrumpft. Das ist der niedrigste Stand, seit sich Rohstoffgigant Russland 2016 mit der Opec verbündete.
"Die einstige Nemesis taucht wieder auf"
Aus dieser Abwärtsspirale möchte Angola aussteigen. Stattdessen möchte das südwestafrikanische Land wie Norwegen, Kanada, Mexiko und andere Staaten, die mit dem Ölkartell nicht verbandelt sind, so viel Öl wie möglich fördern und verkaufen. Deren Fördermengen sind verglichen mit denen von Opec-Giganten gering, aber das trifft nicht auf die USA zu, die den Kartellbossen in Riad bereits seit dem Ende der Corona-Pandemie in die Parade fahren.
Denn während Saudi-Arabien eine Förderkürzung nach der anderen durchdrückt, drehen kleine wie große US-Förderer ihre Hähne immer weiter auf: Nur auf dem Gebiet der USA - also ohne Bohrinseln im Golf von Mexiko, vor Brasilien oder auch Guyana - erreichte die Produktion Ende 2023 einen Rekordstand von 13,2 Millionen Fass pro Tag. Das sind 1,3 Millionen mehr als nur anderthalb Jahre zuvor. Vor allem aber sind es deutlich mehr, als erwartet wurden: Die Prognose für 2023 lag in der Spitze bei 12,5 Millionen Fass pro Tag. Somit gingen 80 Prozent des globalen Förderzuwachses vergangenes Jahr auf das Konto der USA.
"Die einstige Nemesis der Opec taucht wieder auf, nur wenige Monate, nachdem der Sektor praktisch abgeschrieben war", beschreibt das Finanzportal Bloomberg die Situation. Denn für den Zuwachs ist hauptsächlich die US-Schieferindustrie verantwortlich: Fracking-Unternehmen brechen das Gestein im Untergrund von West Texas bis nach North Dakota hydraulisch auf und pumpen ein Wasser-Sand-Chemikalien-Gemisch in die Risse, um Öl und Gas aus Tausenden Metern Tiefe an die Oberfläche zu pressen - und zwar mit immer neuen Technologien erfolgreicher als gedacht.
Opec: Branche überrascht sich selbst
"Die Unternehmen haben es geschafft, die Produktion zu steigern, obwohl die Zahl der Bohrtürme 2023 um etwa 20 Prozent zurückgegangen ist", schreibt Bloomberg. Diese Produktivitätssteigerung habe nicht nur die Opec, sondern auch Analysten erstaunt. Denn die Anzahl der Bohranlagen sei seit jeher der sinnvollste Indikator für die Förderleistung gewesen.
Auch die Schieferbranche selbst hat mit dieser Entwicklung nicht gerechnet. Er sei "sehr überrascht", sagte Scott Sheffield, Chef des Fracking-Unternehmens Pioneer Natural Resources, der "Financial Times". Sollte es weitere Fortschritte bei Bohrtechniken und Pumptechnologien geben, hält er es für möglich, dass die US-Unternehmen bereits in fünf Jahren 15 Millionen Fass Rohöl pro Tag fördern.
Denn beim Fracking wird längst nicht mehr nur vertikal in den Boden gebohrt, sondern mit moderner Technik nach einem 90-Grad-Schwenk auch Hunderte Meter horizontal. Zunehmend werden besonders schwer erreichbare Quellen zugänglich. Es klingt wie eine Drohung in Richtung Saudi-Arabien und Russland, wenn Chevron-Vorstand Eimear Bonner in der "Financial Times" erklärt, dass die Branche technologisch noch ganz am Anfang stehe.
Begehren die Emirate auf?
Was können das Ölkartell und seine Verbündeten tun, um die Ölpreise zu stabilisieren, wenn Länder wie die USA ihre Produktion weiter steigern? Förderkürzungen belasten vorrangig die Haushalte kleinerer Mitgliedsländer wie Algerien, Gabun, Irak, Kuwait oder Nigeria - oder eben Angola. Berichten zufolge ist das südwestafrikanische Land auch nicht das einzige, das mit der saudischen Strategie unzufrieden ist: Viele Opec-Staaten könnten bereits mit vergleichsweise niedrigen Ölpreisen von 60 bis 70 US-Dollar erfolgreich wirtschaften, berichtet Bloomberg. Aber Riad dränge auf 100 Dollar pro Fass, um teure Transformationsprojekte in der Heimat bezahlen zu können. Inzwischen seien deswegen selbst die Vereinigten Arabischen Emirate verärgert, heißt es. Die Emirate sind der engste Verbündete des islamischen Königreichs.
Das Öl-Embargo soll kommen. Welche EU-Mitglieder dafür sind und welche dagegen

Der Austritt von Angola offenbart klar und deutlich die schlechte Stimmung des Ölkartells. Schon jetzt sind weitere Risse erkennbar: Die jüngsten Förderbeschränkungen gab die Opec nicht selbst für alle ihre Mitglieder bekannt, sondern jedes Land für sich - und jedes bezeichnete sie als "freiwillig".