Liebe Viren-Programmierer,
normalerweise freue ich mich immer, wenn ein kleiner Hund bellend auf meinem Windows-Desktop erscheint. Das bedeutet nämlich, dass ich neue Post bekommen habe. Ich bekomme gerne Post. Das ist jedes Mal wie Weihnachten für mich. In den letzten Monaten habt ihr mir diese kindliche Freude verdorben, und aus diesem Grund bin ich sauer auf euch.
Fast im Sekundentakt zieht mein E-Mail-Client neue Mails vom Server, die von "Norton AntiVirus" gleich von allen Anhängen befreit werden und im Spam-Verzeichnis landen. Diese zig hundert Mails, die da jeden Tag auflaufen, sind alle Viren-verseucht. Na und? Mein Virenscanner fischt sie fast alle heraus und killt sie. Die Mails, die noch übrig bleiben, erkenne ich sofort als Viren. Oder glaubt ihr echt, jemand, der auch nur halbwegs fit in Sachen PC ist, ruft noch irgendwelche Dateien mit den Endungen SCR, PIF oder BAT auf? So etwas wird gleich gelöscht. Aber es kostet eben Zeit und ist lästig. Ganz in diesem Sinn empfinde ich euch als lästig. Lästige Dumpfbacken eben, die mir die Zeit stehlen und die mich zwingen, immer wieder Mails zu löschen, die außer einem "Hi, thanx" oder einem "password enclosed" nichts an irgendwie verwertbaren Informationen enthalten.
Könnt Ihr nicht anders Eure Zeit totschlagen?
Natürlich: Ihr seid jung, destruktiv und habt Angst, euch als PISA-Kerntruppe zu enttarnen. Und bevor ihr euch über die zahllosen Schreib-, Komma-, Großschreib- und Grammatikfehler selbst "verraten tut", die früher oft in den gefälschten Viren-Mails zu finden waren, da bleibt ihr lieber ganz still und schickt leere Mails in der Weltgeschichte umher. Mein Gott: Gibt es denn keine Eckkneipen mehr, in denen ihr ordentlich vor dem Spielautomaten abhängen könnt? Sind alle Pommesbuden schon besetzt, sodass man an ihren Stehpulten nicht mehr den Tag verbringen kann? Muss es denn unbedingt der Computer sein, der euch dazu dient, völlig überflüssige Mail-Ergüsse lawinenartig in die Welt zu schicken?
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Peinlich ist echt, dass inzwischen 99 Prozent aller Viren, die in der Welt unterwegs sind, aus diesen strunzdoofen Skript-Mail-Viren bestehen, die jeder Dorfdepp mit der Hilfe eines im Web leicht aufzuspürenden Virenbaukastens selbst zusammenzimmern kann. Wo sind denn die pfiffigen und wirklich brandgefährlichen Viren von früher, die EXE-Programme befallen, Bootsektoren infizieren und ganze Festplatten gelöscht haben? Ich sag es euch: Die wurden damals noch von "echten" Programmierern aus dem Ostblock geschrieben. Und die Jungs von damals, die sind aufgewacht und verdienen inzwischen echt Kohle. Mit richtiger Software. Und was bleibt euch? Einen Skriptvirus umzuprogrammieren, das ist doch eine Arbeit für geistig arme Schwachköpfe. Was man ja auch an den tumben Texten der Mails bemerkt. Mein Gott, wie gefährlich wäre ein solcher Mail-Virus, wenn er in der Lage wäre, einen Text zu formulieren, der wirklich authentisch klingt. Und nicht mit zehn Tippfehlern in der ersten Textzeile bereits beweist, dass diese Mail auf gar keinen Fall von einer Bank, von der Polizei, von Ebay, Paypal oder von wem auch immer stammt. Sondern nur von einem pubertierenden Schüler, der frühzeitig die Hauptschule geschmissen hat und schon vorher so viele Fehlstunden eingesammelt hat, dass er den Unterschied zwischen "Virus" und "Wirus" nicht erkennt.
Jeder Scherz wird irgendwann unlustig
Also bitte: Die ganze Welt hat herzlich über eure Scherze gelacht. Doch ihr kennt das doch von früher. Irgendwann ist es nur noch blöd, wenn einem jemand ständig scherzeshalber die Klotürklinke mit Zahnpasta einschmiert. So geht es auch uns "normalen" Anwendern. Wir haben uns jetzt lange genug mit euch Hirnies beschäftigt. Jetzt würden wir gerne wieder ein wenig arbeiten, um Geld zu verdienen, Projekte voranzubringen und etwas zu leisten. Vielleicht könnt ihr euch ja eine andere Beschäftigung suchen. Steine in einen Fluss werfen, Buchstaben in einem Lexikon zählen oder Beinhaare mit einer Pinzette auszupfen. Ich bin sicher, dass euch da etwas einfallen wird. Nur bitte - lasst die Finger von einem Computer.
Eine Glosse von Carsten Scheibe, Typemania