Es gab eine Zeit, da war ich der Hecht im Teich, der Kenner unter den Unwissenden, der Hüter des Heiligen Wissens. Da wusste nur ich, wie man den Computer bedient. Inzwischen haben die Familie und die Freunde aber nachgerüstet – mental und im Arbeitszimmer. Bin ich vielleicht schon längst überflüssig?
Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie die Kinder ihre ersten Gehversuche am Computer unternommen haben. Sie hämmerten auf einer ausrangierten Tastatur herum und knautschten passend dazu eine Gummimaus in den Händen. Einen Monitor oder einen Rechner passend dazu gab es nicht, trotzdem war das für sie "Artikel schreiben". Eben das, was Papa immer macht.
Bei Kindersoftware liegen Genialität und Müll dicht beieinander
Inzwischen ist Linus fast sechs Jahre alt, und Alisa ist gerade vier geworden. Alisa spielt jetzt bereits am richtigen Computer und zwar am alten Praktikanten-PC bei mir im Büro. Da Linus natürlich gleichzeitig spielen möchte, habe ich ihm am Konferenztisch ein Notebook aufgestellt. Jetzt daddeln beide zugleich am Rechner, wenn sie einmal Spaß daran haben. Aufgestapelt neben den Rechnern liegen jede Menge Kinder-CDs, die beide gerne spielen. Alisa mag "Baby Born", "Billy Banny" und "Addy Buschu". Linus hat es eher mit dem "3D-Bauernhof" und "Max auf dem Mond". Gut, dass wir die Kinder-CDs von den Firmen zum Testen zugeschickt bekommen. In diesem Bereich liegen Genialität und kompletter Müll so dicht beisammen, dass Eltern beim Blindkauf einer neuen Software nie so genau wissen können, ob sie ihre 30 Euro nun sinnvoll angelegt haben oder besser gleich in die Mülltonne gelegt hätten.
Linus zeigt mir Features, die ich noch gar nicht kannte
Vor allem die ansonsten so bockige Alisa lernt am PC verdammt schnell dazu, wenn es um ihre geliebte "Baby Born" geht. An einem Tag hat sie das Klicken mit der Maus gelernt. Jetzt beherrscht sie bereits das "Drag and Droppen". Anders kann sie ihrer Cyberpuppe nämlich keine Kleidung anziehen. Mich haut es um: Inzwischen wechselt sie selbstständig die CDs und nimmt dabei sogar das richtige Laufwerk. Mit vier Jahren. Ich bin anscheinend völlig überflüssig. Und Linus hat mir letztens in einem Max-Spiel ein Feature gezeigt, das ich noch gar nicht kannte.
Totale Frauen-Power am PC
Meine Freundin Britt aus Wuppertal ist auch so ein Fall. Britt und Ralph haben wir vor Jahren im Urlaub kennen gelernt. Da hatte Ralph noch gar keinen Rechner. Hat er sich dann aber schnell angeschafft und mich immer wieder mit den dusseligsten Fragen gelöchert. Dass er mit dem Rechner nicht auf Anhieb zurechtkommt, hat ihn aber so sehr gewurmt, dass er sich richtig in die Materie hineingekniet hat. Inzwischen programmiert er Excel-Tabellen mit Querverweisen und eingebetteten Formeln, als hätte er nie etwas anderes gemacht. Britt schockierte mich dann eines Tages mit der Meldung, als Testperson für Microsoft zu arbeiten - rein privat natürlich. Das doch am Computer so unerfahrene Mädel testete auf einmal die neuesten Software-Pakete von Microsoft, schrieb ihre Beobachtungen in ein Word-Dokument hinein und durfte dann ihre Arbeitsstunden versilbern, indem sie sich frei im Microsoft-Shop bediente. Dabei sprang sogar ein PC-Lenkrad für Ralphs Computerspiele und ein Profi-Office heraus. Inzwischen ist sie diesen Job zwar wieder los. Dafür schreibt Britt jetzt Online-Postkarten und verschickt lustige Powerpoint-Präsentationen per E-Mail. Totale Frauen-Power am PC. Immerhin entlastet das die Telefonrechnung, weil die Mädels jetzt nicht mehr stundenlang am Telefon quatschen, sondern sich gegenseitig per E-Mail auf dem neuesten Stand halten.
Sponsoren für Schulcomputer
Vor ein paar Jahren habe ich einen ausrangierten Computer in die Grundschule geschleppt, in der meine Frau damals ihr Lehrer-Referendariat abgehalten hat. Der Rechner stand zunächst wie ein Relikt zukünftiger Schrecken bei der Rektorin im Arbeitszimmer. Bis sich die Rektorin und die Schulsekretärin mit dem "Feind" vertraut gemacht haben. Schnell wurden die Schülerlisten auf dem Rechner gepflegt, Stundenpläne entwickelt und vor allem Zeugnisse aufgesetzt. Jetzt, Jahre später, wurde das abgenutzte und technisch längst überholte "Baby" ausrangiert. Inzwischen haben die findigen Kollegen nämlich einen Sponsor gefunden, der alle Klassenräume der Schule mit den allerneusten Rechnermodellen ausgestattet hat. Jede Klasse kann nun einen eigenen Rechner mit Internet-Anschluss nutzen, um verschiedene Projekte online zu verwirklichen. Im Rektoriats-Zimmer steht ebenfalls ein neuer Rechner. Und mir wurde bei einem Treffen verkündet, dass inzwischen alle Lehrer der Schule einen Computerkurs besucht haben und ihre Zeugnisse sämtlich am Rechner aufsetzen. Mit Fragen zum Rechner kommt mir da auch keiner mehr.
Wenigstens die Alten brauchen mich noch
Zum Glück gibt es da noch die ältere Generation. Meine Eltern und die Eltern meiner Frau haben sich jetzt auch mit Rechnern eingedeckt. Mein Schwiegervater macht dabei die beste Figur, obwohl er sich hartnäckig weigert, seinen alten Rechner mit Windows 98 durch ein neues Modell zu ersetzen. Trotzdem ist er den harten Weg gegangen und hat sich dutzendweise Computerbücher gekauft, um sie einzeln durchzukauen. Inzwischen kann er mir Tipps im Umgang mit Windows geben. Kummer bereitet ihm nur die T-Online-Software, die immer wieder für Ärger sorgt. Dafür ist er aber dazu in der Lage, alle größeren Probleme am Rechner mithilfe seiner Bücher selbst zu lösen.
Meine Eltern haben den Computer in den Keller verbannt. Dieser Umstand sorgt dafür, dass der Rechner nicht ganz so häufig eingeschaltet wird. Und die Probleme sind noch groß. Per Telefon werde ich immer wieder konsultiert: "Da habe ich auf das Dings geklickt und dann ist ein Fenster aufgegangen. Da war irgendwie nichts Wichtiges und dann kam auf einmal eine Frage und dann war alles weg." Angesichts dieser eher vagen Formulierungen kratze ich mir meine letzten Haare vom Kopf und bitte um eine ganz laaangsame Wiederholung. Doch auch diese Zielgruppe entgleitet mir langsam. Letztens haben sie sich selbst und ohne meine Hilfestellung einen Drucker gekauft und sogar eine Modemkarte in den PC eingebaut.
Ich muss mir was Neues suchen
Langsam werde ich wirklich überflüssig. In einer Zeit, in der selbst die Kinder zu ausgewiesenen PC-Kennern mutieren, werden meine Kenntnisse nicht mehr abgerufen. Ich glaube, ich muss umsatteln. Vielleicht beschäftige ich mich mit der gewerblichen Krebszucht in meinem Gartenteich. Oder ich probiere es einmal mit Golfen…