NEULICH IM NETZ Lauwarmes Elend

Ob der Wahlkampf auch im Web entschieden wird? Kolumnist Hirschbiegel surfte sich durch Politiker-Sites und ist sich sicher: Die Antwort kennt nur der Wind - vielleicht.

Viel reden, nichts sagen: so kennt man die Politiker. Und so wundert es nicht, dass Joschka Fischer sage und schreibe 100 Zeitungszeilen braucht, um ein 100 Prozent unansehnliches Joschka-T-Shirt vorzustellen. Am Ende des Textes gibt?s keine Belohnung, sondern die Strafe fürs tapfere Durchhalten. Bezahlen soll man das rotzgrüne Elend auch noch.

Joschka: T-Shirts

Doch es kommt noch schlimmer auf joschka.de, der offiziellen Website des amtierenden Außenministers: Pech hat, wer das Hemdchen will und nicht in der Partei ist. Der muss fürs »zweiseitig bedruckte T-Shirt« satte 23 Euro zahlen. Was dem Gegenwert einer Verkehrsverwarnung bei Tempoüberschreitung von rund 15 Kilometern im Innerstädtischen entspricht. Parteimitglieder kommen 3,10 Euro günstiger weg. Wenn man so will.

Kochrezepte

Außerdem im Angebot: »Joschkas Seeteufel auf Toscanische Art« ist in knapp 25 Minuten zubereitet. Zutaten: »1/2 Tasse Olivenöl, 1 Knoblauchzehe, 1/2 Bund Petersilie, Zitronensaft, Salz, Pfeffer.« Keinesfalls vergessen: »400 g Seeteufel.« Schlank auch die Beilage: »Zu Joschkas Seeteufel schmeckt am Besten Brot und Salat.«

...und coole Sprüche

Was das alles mit Politik zu tun hat? Nichts. Damit scheint der Franz-Josef Strauß der grünen Partei ohnehin nur am Rande zu tun zu haben. Viel wichtiger: Joschkas coole Sprüche aus drei Jahrzehnten. 1983 etwa über den Bundestag: »Eine unglaubliche Alkoholiker-Versammlung, die teilweise ganz ordinär nach Schnaps stinkt.« Super auch der Klassiker von 1984, zum damaligen Bundestagsvizepräsidenten Richard Stücklen: »Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch.«

Seitdem: Flaute. Statt dessen Lauwarmes wie im Mai 2002: »Wir wollen, dass Grün weiter wirkt. Wir wollen zuwachsen, acht Prozent plus ein möglichst großes X.«

Guido: Von Bonn und Beethoven

Ähnlich steinerweichend präsentiert sich der freidemokratische Guido. Von links nach rechts wabert eine »18« durchs Bild, dazu Grüße des dritten Kanzlerkandidaten, die klingen wie eine Telefonverbindung nach Aserbaidschan: »Und jetzt wünsch ich viel Spaß beim Sörfen.« Überraschung: Westerwelle versucht es ein bisschen mit Politik auf seiner Website. Hier ein paar mehr oder minder angestaubte »aktuelle Pressemeldungen«, dort mehr oder minder aktuelle Zeitungsartikel.

Weil anständige Liberale gern Bildungsbürger darstellen, darf auch hier nicht der Hinweis fehlen, dass man »Beethoven« kennt oder das Kunstmuseum Bonn. Wer will, kann sogar eine original Guido-Westerwelle-Autogrammkarte bestellen. Zum Programm der FDP sagt der Vorsitzende sicherheitshalber nicht so viel und verlinkt kurzerhand 'rüber zur Partei.

Gerhard: Volkskanzler im Zigarrenformat

Ach ja. Der Bundeskanzler hat übrigens seit ein paar Tagen endlich auch seine ganz persönliche Seite. Die kommt Zigarren-lang daher, hat aber außer dem eigenwilligen Format nur Langeweile zu bieten. Staatstragendes Einerlei, nichts neu, alles bekannt. Schröder inszeniert sich als Volkes Kanzler, doch sein Blick auf vielen Fotos zeigt, dass er es wohl selbst nicht ganz glaubt. Egon Bahr lobhudelt, auch Inge Wettig-Danielmeier ist zu hören. Auch hier gilt: Für die Inhalte sind andere zuständig. Fakten gibt?s auf den Seiten der Sozen.

Edmund: Hauptsache konsequent

Angesichts der Tristesse allerorten ist beinahe der Einäugige König. Edmund, der Herausforderer, präsentiert die witzigsten Fotos, die meisten Rechtschreib- und Grammatikfehler, ist unfreiwillig saukomisch und hat auch nichts zu sagen. Das aber macht er konsequent wie kein anderer.

Thomas Hirschbiegel

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