Gerade bei CSU-Funktionären kann geistige Unbeweglichkeit taktische Gründe haben. Doch allein damit lässt sich der Beißreflex nicht rechtfertigen, den die Forderung der Familienministerin auslöste, 500000 neue Krippenplätze für Kleinkinder zur Verfügung zu stellen. So etwas Empörendes, ohne ein gutes Wort über Hausfrauen zu verlieren - das hatten die obersten CSUler nicht erwartet von einer, die Mutter von sieben Kindern ist und Tochter eines ehemaligen erzkonservativen CDU-Ministerpräsidenten. Sie dachten vermutlich, eine harmlose Haarschleifen-Trägerin aus Niedersachsen würde die Familienpolitik allenfalls in ihrem Sinne verwalten, aber nicht bewegen. Nun verfolgen sie konsterniert Ursula von der Leyens programmatischen Sturmlauf. "Die Ministerin schießt eindeutig übers Ziel hinaus", heulte CSU-General Söder auf. Sekundiert vom sächsischen Kultusminister Steffen Flath (CDU), der eine Rückkehr zum Betreuungsmodell der DDR unterstellte. Womit er quasi den politischen Katastrophenfall auslösen wollte: Alarm, hier wächst demnächst eine kasernierte Kleinkindgeneration heran, die eine Art Wehrdienst an der Bildungsfront ableisten soll. Merkwürdig, dass die CSU ihre Wähler für derart rückständig hält.
Was die Familienministerin unter geschickter Ausnutzung der momentanen Windstille in der Koalition vorhat, ist vollkommen richtig. Das Angebot für arbeitende Mütter (Achtung! Es handelt sich um eine Offerte, nicht um eine Zwangsmaßnahme), Zwei- bis Dreijährige bereits in Kinderkrippen unterbringen zu können, ist ein richtiges Mittel gegen sinkende Geburtenraten. Im stern-Interview setzt von der Leyen noch eins drauf: Sie plädiert für die Vorschulpflicht ab fünf Jahre - mit Sicherheit der nächste Stein des Anstoßes. Der Staat als Erzieher? Wie weit darf das gehen? Mit dieser Frage setzt sich <stern</i>-Autor Walter Wüllenweber auseinander, der wochenlang bei Wissenschaftlern, Erziehern, Eltern und Kindern recherchiert hat. Sein Fazit: Ein Drittel der Eltern - und ihre Kinder - sind existenziell auf Hilfe angewiesen. Sie brauchen den Staat als Erzieher.
Seit mehr als zehn Jahren ist die mexikanische Grenzstadt Ciudad Juárez Tatort eines der grausamsten Verbrechen der Gegenwart: Serienmorde an Frauen. Mehr als 400 vor allem junge Frauen wurden bislang getötet, Hunderte weitere gelten als verschwunden. Dutzende Verdächtige wurden festgenommen, manche gefoltert, ein Haupttäter jedoch wurde in all der Zeit nie gefunden. Als die Staatsanwaltschaft im Sommer verkündete, dass ein Serientäter endlich gefasst ist, machten sich US-Korrespondent Jan Christoph Wiechmann und der amerikanische Fotograf Timothy Fadek auf die Spurensuche in der von Korruption, Polizeibrutalität und Drogenkriegen dominierten Stadt am Rio Grande. Am zweiten Tag schon bekam Wiechmann einen Anruf im Hotelzimmer mit der Warnung: "Wir hören, Sie suchen einen Kerl namens "das Streichholz". Vielleicht sollten sie das lieber nicht tun." Die beiden Reporter sprachen mit 15 Müttern von getöteten Frauen, mit der Staatsanwaltschaft und mit Folteropfern der Justiz, sie gingen auf Streife mit der Polizei und drangen immer tiefer ein in die Frontstadt der Globalisierung, in der alles billig ist, selbst der Tod. Als erste internationale Journalisten erhielten sie schließlich Zugang zum angeblichen Serienmörder und trafen ihn zu einem Interview im Gefängnis.
Herzlichst Ihr
Andreas Petzold