Ausnahmezustand in Mecklenburg-Vorpommern: In Trinwillershagen, einem winzigen, ehemals sozialistischen Musterdorf, will Angela Merkel am 13. Juli US-Präsident Bush ihren Wahlkreis "Nordvorpommern" näher bringen. Bei einem Grillfest mit Wildschwein am Spieß - inmitten schmuckloser Häuser, alter LPG-Anlagen, eines "Kulturhauses" mit Wellblechdach. Zunächst waren Fotograf Jörg Gläscher und stern-Reporter Holger Witzel sich einig, dass es nur ein Ablenkungsmanöver für Presse und Terroristen sein könnte: Niemals würde Angela Merkel den mächtigsten Mann der Welt ausgerechnet hier zum Barbecue empfangen. Doch dann begannen im Ort fleißige Ein-Euro-Jobber, Fassaden und Pflaster aufzupolieren. Stoisch wie alle Wechsel der Geschichte ertragen die Menschen auch den größten Polizeieinsatz, den es je in ihrer Gegend gegeben hat. Verschwiegen, stolz, aber auch auf ihre Weise lässig: "Was soll's? Hier waren schon viele hohe Gäste." Der letzte war Walter Ulbricht.
stern-Autor Walter Wüllenweber
ist kein Kollege aus dem Kultur-Ressort. Seine Reportagen beschäftigen sich eher mit Themen aus Politik und Wirtschaft. Als in jüngster Zeit wieder einmal intensiv darüber diskutiert wurde, ob das deutsche "Ekeltheater" es wirklich wert sei, jährlich rund zwei Milliarden Euro Subventionen zu erhalten (mehr als in jedem anderen Land der Welt), fragte sich Wüllenweber: An wen genau gehen Subventionen? Wie funktioniert eigentlich die Firma Theater?
Ausgerechnet an dem Ort, an dem immer wieder gern Brecht gespielt wird, entdeckte der Reporter: eine brutale Klassengesellschaft. Ganz unten stehen die, deretwegen das Publikum ins Theater geht und deretwegen die Subventionen fließen: die Künstler - Schauspieler, Opernsänger und Tänzer. Sie verdienen am wenigsten und haben die unsichersten Arbeitsplätze. Weitaus besser geht es den zahllosen Schneidern, Schlossern und Schreinern, ganz oben stehen die gewerkschaftlich organisierten Orchestermusiker. Der Apparat hat übernommen. Das Heiligste am Theater ist der Tarifvertrag. Um die Arbeitszeit der Orchestermusiker einhalten zu können, werden an vielen Häusern manche Opern um ein, zwei Arien gekürzt. All dies recherchierte Wüllenweber am Beispiel des Staatstheaters in Saarbrücken, eines typischen deutschen Regionaltheaters. Als er der Ballettchefin Marguerite Donlon berichtete, dass ihre Tänzer kaum mehr als die Hälfte eines Musikergehalts verdienen, verschob sie die anschließende Ballettprobe um eine Viertelstunde - um die Fassung wieder zu erlangen (Seite 114).
Der französische Fotograf
Gérard Rancinan, 53, begann seine Karriere mit 15 Jahren als Fotolaborant. Inzwischen ist er mehrfacher World-Press-Preisträger und hat von Fidel Castro bis Ronaldo viele Berühmtheiten porträtiert. Im März dieses Jahres wurde Rancinan von Mitarbeitern des monegassischen Fürsten Albert II. gefragt, ob er nicht Lust habe, den Regenten zu fotografieren. Rancinan war überrascht: "Wieso gerade ich?" Antwort: "Der Fürst mag die Art, wie Sie arbeiten. Sie haben freien Zutritt zum Palast und dürfen ihn überallhin begleiten." Gibt es bessere Arbeitsbedingungen? Rancinan sagte zu. Seine Ausrüstung fiel kaum auf: zwei winzige Leica-Sucherkameras, kein Blitz, keine Assistenten, dafür hochempfindliche Filme. "Fürst Albert vergaß nach zehn Minuten, dass ich da war", sagt Gérard Rancinan. "Und niemand erkannte mich als Fotografen. Alle dachten, ich sei ein Freund des Hauses." So entstanden ungewöhnliche Aufnahmen des Grimaldi-Clans abseits der üblichen Paparazzi-Perspektive (Seite 62).
Herzlichst Ihr
Andreas Petzold