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Buch "Frohe Botschaft" Die Mutter aller Fake News

Buch "Frohe Botschaft": Die Mutter aller Fake News
Früher war alles besser und heute steht die Menschheit am Abgrund. Dieser These widerspricht stern-Autor Walter Wüllenweber vehement. In seinem Buch "Frohe Botschaft" sagt er dem ewigen Pessimismus in der Gesellschaft den Kampf an.


Es steht besser um die Menschheit, als jemals zuvor. Wie begründen Sie diese These? 
Das ist keine Meinung, keine Haltung. Das sind nachgewiesene Tatsachen und Fakten. Sie sind von der UN, der Weltbank, von Wissenschaftlern, von total zuverlässigen Quellen, von Leuten, die sich ihr ganzes Leben lang damit beschäftigen. Es gibt seit 300.000 Jahren Menschen auf der Welt. Und immer in diesen 300.000 Jahren waren mehr als 90 Prozent absolut arm. Und heute sind noch etwa neun Prozent absolut arm. Wir haben das Verhältnis umgedreht. Was 300.000 Jahre gegolten hat, haben wir in 50 Jahren umgedreht. Das ist ein Beispiel. Ich sage: Die letzten 50 Jahre waren die beste Phase in der Geschichte der Menschheit.


Was für Reaktionen löst ihre Sichtweise aus? 
Die "Frohe Botschaft" ist eine sperrige Botschaft. Das habe ich gemerkt, als ich angefangen habe, darüber nachzudenken und mit Freunden darüber gesprochen habe. Wir sind Weltmeister im Schwarzsehen. Wir können in den schillerndsten Farben schwarzmalen, weil wir das alle so gewohnt sind. Weil das die Richtung ist, in die wir immer gucken. Und dann in eine andere Richtung zu gucken, ist ganz schwierig. Und bis heute ist das so in Deutschland. Ich glaube nicht nur in Deutschland, aber hier weiß ich das: Jeder der warnt, der Alarm schlägt, gilt in Deutschland als weise, als zuverlässig und dem hört man zu. Wenn jemand darauf hinweist und sagt, dieses oder jenes funktioniert aber doch ganz gut, dann ist man sofort entweder grenzenlos naiv oder gekauft.


Was ist der beste Schutz vor Pessimismus und Schwarzmalerei?


Ich glaube, das beste Rezept gegen den Pessimismus ist Realismus. Es ist nicht Optimismus, sondern Realismus. Und wenn man sich an die Fakten hält, dann wird man schnell feststellen, dass sie die pessimistische Sichtweise sehr stark relativieren. Es gibt Untersuchungen, die belegen, dass Experten in ihren Gebieten in der Regel erheblich optimistischer und positiver sind als Amateure. Ich habe mich lange mit Leuten von Greenpeace unterhalten. Und Greenpeace steht nicht in dem Verdacht, die Belastungen oder die Gefahren für die Umwelt kleinzureden. Aber sie haben mir gesagt: 'Naja, das, was wir gemacht haben, wirkt, Engagement wirkt.' Und deswegen sehen die viel positiver in die Zukunft. Und deswegen glaube ich, sich an die Fakten zu halten und zu gucken, was sagen die Experten, das ist schon ein Schutz gegen die Schwarzseherei.


Warum ist diese Sichtweise gerade heute besonders wichtig? 
Die Demokratie, freie Medien, freier Handel, die Unabhängigkeit der Justiz und die Zusammenarbeit in internationalen Organisationen wie der UNO, der NATO, der EU. All diese Erfolgsrezepte haben dafür gesorgt, dass wir so lange in Frieden leben und dann diese Aufwärtsentwicklung so positiv ist in den letzten Jahrzehnten. Und alle diese Erfolgsrezepte stehen unter Druck von den Populisten. Deswegen ist es wichtig, dass wir uns klar machen: Es stimmt einfach nicht, dass die Welt am Abgrund steht. Es stimmt einfach nicht, dass alles schlecht läuft. Und wenn wir uns das klar machen, dann sehen wir, dass wir viel richtig gemacht haben und dann sehen wir, dass die Populisten unrecht haben. Und deswegen sind die Fakten und die frohen Botschaften der beste Schutz gegen den Populismus überhaupt.

Unser Autor Walter Wüllenweber beschäftigt sich mit dem Unterschied zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit und hat festgestellt: Populisten verbreiten Angst und Hysterie. Das beste Rezept dagegen sind Fakten und die frohen Botschaften.

Angst, Wut und aggressiver Pessimismus sind ihr Geschäftsmodell. Ihre Sprache ist kalkulierte Hetze, gegen "Asyltouristen", "Messereinwanderung", "Lügenpresse", "Volksverräter", "Rapefugies". Voller Inbrunst verabscheuen sie recherchierende Journalisten der "Systemmedien", anerkannte Wissenschaftler und das ganze "linksgrünversiffte" Establishment. Doch am meisten hassen Populisten ihre ewigen Erzfeinde: Fakten.

Das Buch von stern-Autor Walter Wüllenweber: "Frohe Botschaft", Deutsche Verlagsanstalt, 18 Euro

Nachprüfbare Daten und zahlreiche Untersuchungen der renommiertesten Universitäten und Institutionen belegen lückenlos: Die Menschen waren noch nie so gesund, so gebildet, so reich, so frei und so sicher vor Gewalt wie heute (Siehe Teil 1 und Teil 2 dieser Serie). Die frohen Botschaften sind das Gegenmodell gegen die Agenda rechter Demagogen. Denn sie widerlegen die zentrale Behauptung der populistischen Bewegung: Alles wird schlechter, die Welt steht am Abgrund. Es ist die Mutter aller Fake News.

Und die Begründung für eine radikale Wende um 180 Grad. Zurück in die geschlossene Gesellschaft vergangener Jahrzehnte, in der Zuwanderer, Schwule oder Frauen noch ganz selbstverständlich diskriminiert werden durften. Zurück zu einem anderen politischen System, für das AfD-Chef Alexander Gauland ganz offen wirbt. Und auch Amerika kann man nur "great again" machen, wenn man den Menschen weismacht, dass die Lage früher tatsächlich besser war als heute. Doch dabei gibt es ein Problem: Die Daten und die Tatsachen stehen dem entgegen. Darum sind die objektiven Fakten unter Dauerbeschuss aus den Geschützen rechter Demagogen. Sie feuern mit Lügen, mit alternativen Fakten und mit gefühlten Wahrheiten.

Warum Populisten Gefühle über Fakten stellen

Die CNN-Moderatorin Alisyn Camerota hat die Methode in einem inzwischen berühmten Interview sehr anschaulich vorgeführt. Sie sprach mit Newt Gingrich, dem langjährigen Sprecher der Republikaner im Repräsentantenhaus und hielt ihm entgegen: "Die Mordrate und die Gewaltverbrechen sind landesweit zurückgegangen." Darauf Gingrich: "Ich wette mit ihnen: Die durchschnittlichen Amerikaner glauben nicht, dass die Kriminalität zurückgegangen ist." Es entwickelte sich ein Streit, in dem die Journalistin dem Politiker mehrmals die Fakten und die Zahlen des FBI vorhielt. Schließlich brach der Unterstützer Donald Trumps das Interview genervt ab: "Als Politiker halte ich mich an das, was die Menschen fühlen. Sie können sich ja an die Zahlen halten."

Wenige Wochen später betete der Berliner AfD-Vorsitzende Gerd Pazderski in einem Interview über den Rückgang der Gewalt in Deutschland fast denselben Text nach: "Es geht nicht nur um die reine Statistik, sondern es geht darum, wie das der Bürger empfindet. Perception is reality. Das heißt: Das, was man fühlt, ist auch Realität." Für Populisten haben Gefühle einen entscheidenden Vorteil: Man kann sie beeinflussen. Fakten nicht.

Das gefühlsbasierte, apokalyptische Weltbild findet in Teilen auch der deutschen Gesellschaft offene Ohren. Dass so viele Menschen die "Alles wird schlechter"-Haltung angenommen haben, ist der größte Erfolg der Rechtspopulisten. Und es ist nur möglich, weil die fantastischen Errungenschaften gerade der jüngsten Vergangenheit nicht im allgemeinen Bewusstsein verankert sind. Eine selbstbewusste Einsicht in die erreichten Verbesserungen in nahezu allen Lebensbereichen hätte die Gesellschaft gegen die populistische Propaganda immunisieren können. Doch das Immunsystem ist ausgefallen, weil die überaus positive Fakten den meisten Menschen nicht bekannt oder nicht bewusst sind. Die weit verbreitete Ignoranz gegenüber den tatsächlichen Fortschritten ist der Türöffner für die schwarzmalenden Demagogen. So hat die negative Propaganda leichtes Spiel.

AfD-Chefs Alice Weidel und Alexander Gauland: Angriff auf die Fakten
AfD-Chefs Alice Weidel und Alexander Gauland: Angriff auf die Fakten
© Fabian Sommer / DPA

Die frohe Botschaft ist eine politische Botschaft

Viele Errungenschaften der letzten Jahrzehnte werden von den Menschen, die davor profitiert haben, erst jetzt erkannt und geschätzt, seitdem sie akut bedroht sind. Der drohende Verlust führt uns vor Augen, welche Fortschritte auf dem Spiel stehen, die uns längst selbstverständlich geworden sind. Heute zeigt sich: Die positiven Entwicklungen der letzten Jahre und Jahrzehnte sind nicht unumkehrbar. Viele Länder haben bereits den Rückwärtsgang eingelegt: Die Amerikaner wählten Donald Trump. Die Briten verlassen die EU. In Polen, Ungarn und besonders in der Türkei wird der Rechtsstaat immer weiter zurückgebaut. Und in Deutschland bestimmt die AfD, der Brüllverstärker einer lauten, extremistischen Minderheit, die politische Agenda der gesamten Republik.

Der Propagandafeldzug des Populismus in Deutschland und in weiten Teilen der westlichen Welt richtet sich gegen alle Erfolgsmethoden, die in den vergangenen Jahrzehnten die großen Fortschritte überhaupt erst möglich gemacht haben: freie Medien, freier Handel, freie, unabhängige Wissenschaft und Forschung, die Unabhängigkeit der Justiz und die internationale Zusammenarbeit in multilateralen Organisationen wie der Europäischen Union oder in den Vereinten Nationen. Alle diese Erfolgsgaranten stehen aktuell in weiten Teilen der Welt massiv unter Druck.

Nun wird deutlich: Sich mit dem dramatischen Rückgang von Hunger und Armut in der Welt zu beschäftigen, sich über den verbesserten Zustand der deutschen Gewässer zu freuen, und zur Kenntnis zu nehmen, dass die Gefahr, Opfer von Krieg oder Terror zu werden, insbesondere bei uns in Westeuropa erheblich gesunken ist – das alles ist kein Wellnessprogramm für die geschundene Seele. Die frohe Botschaft ist eine politische Botschaft. Es ist die politischste Botschaft unserer Zeit.

Gerade seit dem beinah unaufhaltsam erscheinenden Aufstieg einer rechtspopulistischen Partei wie der AfD fragen sich immer mehr besorgte Demokraten, wie man der Herausforderung begegnen kann. Die gute, alte Aufklärung ist noch immer der sicherste Schutz gegen den aggressiven Pessimismus. Eine Gesellschaft, die ihren tatsächlichen Zustand kennt, die zwischen echten Gefahren und nur gefühlten unterscheiden kann, die nicht nicht ausschließlich auf das Misslungene fixiert ist, sondern sich auch über das Gelungene bewusst ist – eine solche Gesellschaft ist stark genug, die rechtspopulistische Episode zu überstehen. Die frohe Botschaft ist die Antwort auf den Populismus. 

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