Vielleicht auch daran, dass das deutsche Wahlpublikum eine selbstbewusste Außenpolitik verlangt, die totale Verbrüderung ebenso ablehnt wie völlige Distanzierung, die Schluss macht mit der Achsen-fixierten Diplomatie.
Die Kanzlerin weiß sehr genau, dass ein wenig Opportunismus gegenüber dem Wähler bei den anstehenden Wahlen im Lande hilfreich sein wird. Das hat sie von Gerhard Schröder gelernt. Ohne Taktik macht niemand Politik, aber vielleicht folgt die CDU-Chefin obendrein ihrer inneren Überzeugung, wenn sie Deutschland künftig zwischen den mächtigsten Polen der Welt ausbalanciert. Sie signalisiert dem Weißen Haus, dass die Freiheit, die wir meinen, nicht ganz deckungsgleich ist mit einer Freiheit, wie die Bush-Regierung sie interpretiert. Und dass bei brisanten Konflikten die Befehlsausgabe künftig Sache der Vereinten Nationen sein muss. Auf der anderen Seite der Welt lässt sie Wladimir Putin deutlich spüren, dass er alles andere ist als ein "lupenreiner Demokrat" (Schröder). Und dass man mit dem Gashahn keine Außenpolitik betreibt.
Die Frau aus dem Osten bewegt sich in der von Männern dominierten Nadelstreifenwelt mit Lernfähigkeit und Unbefangenheit. Koch, Stoiber und Wulff oder Bush, Chirac und Putin: Das scheint für sie keinen großen Unterschied zu machen. Geschickt nutzt sie die Freiräume, die Schröder im Verhältnis zu den USA mit Brachialgewalt aufgestoßen hat. Nur deshalb, und weil sie frei ist von jeglichem Anti-Amerikanismus-Verdacht, konnte sie Guantánamo so deutlich kritisieren (Seite 30). Verlässlich nach allen Seiten, aber eigenständig. So lautet Merkels Kursausgabe. Und Glück hat sie auch noch: Die Lorbeerkränze, die deutsche und ausländische Kommentatoren flechten, zieren allein ihr Haupt. Der für Außenpolitik zuständige Minister Frank-Walter Steinmeier, SPD, muss sich derweil mit den BND-Aktionen während des Irak-Krieges herumquälen (Seite 40).
Bei dieser "Affäre", die streng genommen noch gar keine ist, sollten Journalisten und Politiker besonnen werten und jedes Mosaiksteinchen mit der Pinzette anfassen. Dass der deutsche Geheimdienst während des Irak-Krieges seine Kontakte zu den amerikanischen Kollegen gefiltert beibehielt, obwohl Rot-Grün den Waffengang ablehnte, ist selbstverständlich. Auch, weil wir im Gegenzug auf Informationen angewiesen sind. Entscheidend wird sein, welche Grenzen die Bundesregierung dem BND für die Zusammenarbeit mit dem US-Militärgeheimdienst DIA gezogen hat. Dazu muss das Kanzleramt Stellung beziehen und auf den üblichen Hinweis auf die Geheimhaltungspflicht verzichten.
Doch die öffentliche Skandalisierung eines nur vermuteten, bisher unbewiesenen Vorgangs kann in diesem Fall lebensgefährlich sein. Sie bietet islamistischen Gruppierungen ausreichend Motive, Anschläge zu planen. Jede Überhitzung schadet: bislang unsinnige Rücktrittsforderungen (Grünen-Politiker Berninger) ebenso wie Westerwelles schnelles Urteil ("Lebenslüge von Rot-Grün") oder auch manche Zeitungsüberschrift ("Deutscher Geheimdienst soll USA beim Ausspähen von Bombenzielen unterstützt haben/Kanzleramt war informiert"). Terroristen machen sich wohl kaum die Mühe, zwischen Fakten und Vermutung zu unterscheiden. Wir sollten es tun.
Herzlichst Ihr
Andreas Petzold