Reine Formsache, der Sieg der Union bei der Bundestagswahl 2006. So sah es noch vor wenigen Wochen aus. Die SPD einbetoniert im Umfragekeller, Angela Merkel stand unangefochten auf dem Schild, getragen von FDPisten und Unions-Granden, auch wenn einige Widerwillige darunter waren. Dann detonierte Stoibers listiges, angebliches Zitat in der Sommerruhe, wonach die "ostdeutsche Protestantin" und der "Junggeselle aus Bonn" Schröder und Fischer "nicht das Wasser reichen können". Sogleich wurde die Dementier-Maschine angeworfen, Stoiber habe das nicht gesagt, hieß es, aber wer wollte das schon glauben? Es wirkte fast wie ein Augenzwinkern: Er wird es schon gesagt haben, aber das kann man doch dann öffentlich nicht auch noch zugeben.
Das Ganze ist kein Kommunikations-Patzer. Es geht um die Macht der Zukunft, natürlich um die Kandidaten-Frage und auch um Zwischenmenschliches. Stoiber und Merkel harmonieren wie zwei Bullen auf einer Weide. Sie können sich nicht ausstehen. Und ihre Entourage steht sich auch in herzlicher Abneigung gegenüber (lesen Sie dazu bitte auch den Zwischenruf von Hans-Ulrich Jörges auf Seite 32 sowie den Bericht auf Seite 26).
Weil dies ein Zwist von Dauer ist, könnte er sich am Ende der Legislaturperiode ähnlich zugunsten Schröders auswirken wie vor zwei Jahren die Flut in Ostdeutschland. Der Kanzler profitiert von miteinander raufenden Unionspolitikern, die bei wichtigen Themen wie Steuer-, Gesundheits- und Rentenpolitik keinen Konsens finden. Wie auch, wenn nicht geklärt ist, wem die Oppositions-Heerscharen folgen sollen. Merkel? Stoiber? Koch? Westerwelle? Der abschätzige Satz des CSU-Chefs, ob nun gesagt oder nicht, gibt zumindest die Stimmung der Wähler richtig wieder: In der vom stern in Auftrag gegebenen Forsa-Umfrage nach der besten Führungsspitze spricht sich knapp die Hälfte der Befragten für das Duo Schröder/Fischer aus. Die Protestantin und der Junggeselle kommen nur auf 30 Prozent.
Es gibt in diesem Land
wahrlich wichtigere Themen als die Popanz-Debatte um die Rechtschreibreform. Jeder versteht die "FAZ" zu lesen, die bei der alten Rechtschreibung geblieben ist, jeder versteht den stern, der die reformierte Orthografie größtenteils übernommen hat. Auch Schüler und Lehrer kommen mit den neuen Schreibweisen bestens zurecht, bestätigen die Verbände. Dennoch, Ende vergangener Woche bliesen einige Verlage mit großem Theaterdonner zum Rückzug. Sie wollen wieder schreiben wie früher. Begründung: mangelnde Akzeptanz der Reform und angebliche Verunsicherung über das Regelwerk.
Der stern wird bei den neuen Regeln bleiben. Es sei denn, die Kultusminister-konferenz würde eine Rückkehr zur alten Schreibweise beschließen, was höchst unwahrscheinlich ist (Seite 40). Es war nicht zu erwarten, dass die Deutschen mehrheitlich in Jubel ausbrechen. Die Rechtschreibreform ist ein Generationenprojekt, das man ganz gelassen begleiten kann. Leser und Schreiber können sich anpassen, sie müssen aber nicht. Wir wollen den stern aber auch für die Leser der Zukunft machen, Millionen Schüler, die seit sechs Jahren nach den neuen Regeln lernen.
Auch wir halten die Reform nicht für makellos, dafür gibt es zu viel Unausgegorenes. Doch das lässt sich präzisieren. Sollen Deutsche, Österreicher und ein Teil der Schweizer deshalb aber wieder zu den alten, wesentlich komplizierteren Regeln zurückkehren? Nichts wäre gewonnen, aber viel Geld und Mühe vergeudet. Die Reform brachte ein halbiertes Regelwerk, liberalisierte Schreibweisen, mehr Logik in die Groß- und Kleinschreibung und beendete den Komma-Wahn.
Wie auch immer - uns sind die Anhänger der neuen und der alten Schreibweise gleichermaßen als Leser willkommen.
Herzlichst Ihr
Andreas Petzold