Sehr geehrte Frau Dr. Peirano,
ich bin 25 und schon seit einigen Jahren Single, was ich auch genieße. Natürlich denke ich mir, dass es schon schön wäre, mal wieder jemanden zu haben, aber habe mich auch an das Single-Sein mittlerweile gewöhnt. Kann gut alleine sein, bin selbstbewusst und habe viele Hobbys. Ich habe ein spannendes Leben, eine tolle Familie und tolle Freunde.
Bevor ich überhaupt etwas Ernstes eingehen könnte, gibt es eine Sache, an der ich dringend arbeiten muss, aber ich weiß nicht, wie. Ich habe extreme Vertrauensprobleme, bei egal welchem Mann, den ich kennenlerne. Ich wurde in jeder meiner Beziehungen betrogen, herausgefunden hab ich das mal in der Beziehung, mal danach.
Ich muss schon auch zugeben, dass ich als Jugendliche recht schnell eingegangen Beziehungen bin, statt die Männer wirklich kennenzulernen. Mittlerweile nehme ich das sehr ernst, denn ich möchte in meinem eventuellen Freund auch einen Ehemann sehen können in meinem Alter. Trotzdem hat die Erfahrung, betrogen worden zu sein, Spuren hinterlassen. Über die Jahre liest man so viele Storys von Männern, die Affären haben, andersrum aber so gut wie nie. Ich höre so viele schlimme Sachen von Freundinnen oder lese im Internet, wenn Frauen ihre Geschichte erzählen, bei denen Männer ihnen Betrügereien angetan haben. Immer wieder, ich habe diese Geschiechten wirklich nahe an mich rangelassen.
Man will sich ja selbst auch beschützen und aus den Geschichten von anderen lernen! Ich kann einfach keinem Mann mehr vertrauen, selbst wenn es ein guter wäre. Der soll das ja nicht ausbaden müssen. Was kann ich tun?
Danke und liebe Grüße
Lea T.

Dr. Julia Peirano: Der geheime Code der Liebe
Ich arbeite als Verhaltenstherapeutin und Liebescoach in freier Praxis in Hamburg-Blankenese und St. Pauli. In meiner Promotion habe ich zum Zusammenhang zwischen der Beziehungspersönlichkeit und dem Glück in der Liebe geforscht, anschließend habe ich zwei Bücher über die Liebe geschrieben.
Informationen zu meiner therapeutischen Arbeit finden Sie unter www.julia-peirano.info.
Haben Sie Fragen, Probleme oder Liebeskummer? Schreiben Sie mir bitte (maximal eine DIN-A4-Seite). Ich weise darauf hin, dass Anfragen samt Antwort anonymisiert auf stern.de veröffentlicht werden können.
Liebe Lea T.,
zuerst einmal freue ich mich für Sie, dass Sie Ihr Single-Leben genießen und neben gutem Kontakt zu Ihrer Usprungsfamilie auch bereichernde Hobbys und tolle Freunde haben!
Sich als Single wohl und vollständig zu fühlen, ist eine ganz wichtige Voraussetzung dafür, eine ausbalancierte Partnerschaft zu führen, denn man macht sich weniger abhängig vom Partner, kann seine Bedürfnisse selbst erfüllen und auch mit Krisen und Konflikten alleine klarkommen. Natürlich ist es in einer Partnerschaft auch wichtig, dem anderen anzuvertrauen, was einen bewegt oder belastet, aber ein Partner sollte nicht ständig die Rolle eines Therapeuten oder Helfers innehaben.
Ich kann ein Beispiel aus dem argentinischen Tango anführen: Wenn Sie ein Tanzpaar sehen, das sehr nah (Wange an Wange) und trotzdem beweglich miteinander tanzt, dann ist die Grundlage dafür, dass sowohl der Mann als auch die Frau in ihrer eigenen Achse stehen (also nicht kippen oder sich nur dadurch auf den hohen Absätzen halten, dass sie sich am Mann festklammern). Man verliert natürlich die Achse immer mal wieder während des Tanzens, und jedes Mal muss man sie dann selbst wieder finden. Der Mann stellt die Frau nicht in ihre Achse, sondern sie stellt sich in ihre Achse. Viele Frauen verstehen das nicht, sondern finden es angenehm, sich etwas auf den Mann zu verlassen. Nur leider bekommt der Mann Schulterschmerzen davon, wenn sich seine Tanzpartnerin schwer gemacht und an ihn gehängt hat. Und meistens will er dann auch nicht mehr mit ihr tanzen, was man ja verstehen kann.
Also ist die Voraussetzung für Nähe und für Beweglichkeit, dass beide in ihrer eigenen Achse stehen. Wenn Sie Lust haben, schauen Sie sich mal die wundervolle Hamburger Tänzerin Maude Andrey an, die vorbildlich in Ihrer Achse steht. Zum Beispiel, indem Sie auf Youtube diesen Suchtext eingeben: Lorena Tarantino & Gianpiero Galdi "Tanguera" Krakus Aires
Apropos Beziehung, ich habe zwei Leseempfehlungen:
Diane Hielscher: "Liebe neu denken. Dem Geheimnis glücklicher Beziehungen auf der Spur" (Die Autorin erzählt, wie man in einer Beziehung immer wieder die eigene Achse findet)
und:
Gunda Windmüller: "Weiblich, ledig, glücklich – sucht nicht"
Sie sind aber jetzt an einem Punkt angekommen, wo Sie gerne wieder eine vertrauensvolle und andauernde Partnerschaft eingehen möchten, aber Ballast aus früheren Beziehungen mit sich herumschleppen. Sie sind in jeder (!) Ihrer bisherigen Beziehungen betrogen worden und haben außerdem durch Medien, Erfahrungsberichte, Social Media den Eindruck gewonnen, dass sehr viele Männer zur Untreue neigen. Ich kann gut verstehen, dass Ihre Erfahrungen und Ihre Sichtweise Sie sehr belasten und bewusst oder unbewusst daran hindern, sich auf eine neue Beziehung einzulassen.
Ich würde Ihnen deshalb raten, erst einmal den Rucksack mit dem Ballast auszupacken und sich jedes Stück Giftmüll, das sich darin befindet, einzeln und mit Schutzhandschuhen versehen anzuschauen. Es könnte hilfreich sein, sich dazu professionelle Hilfe zu suchen, selbst wenn das in diesem Fall keine Leistung ist, die die Krankenkassen übernehmen. Auch Paartherapie wird von den Krankenkassen nicht übernommen, ist aber trotzdem eine sinnvolle Sache.
Bei der Sichtung des Giftmülls könnten Sie rückwirkend jede einzelne Liebschaft anschauen und sich fragen, welche roten Flaggen Sie übersehen haben, welche Persönlichkeitsmerkmale Ihr Gegenüber hatte, die Sie nicht mehr an einem Partner sehen wollen (z.B. hohen Geltungsdrang, Egoismus, Rücksichtslosigkeit ...). Sie könnten in Ruhe ausarbeiten, was Sie früher nicht genau angeschaut haben und worauf Sie in Zukunft besser achten wollen.
Ich schlage Ihnen vor, eine Psychotherapeutin mit Ausbildung in systemischer Therapie zu suchen, da der Schwerpunkt dort stark auf familiäre Muster und deren Auswirkung auf die ratsuchende Person gelegt wird. Wenn zum Beispiel in einer Familie der Großvater von Frau XY eine Geliebte hatte und der Vater während der Schwangerschaft der Mutter fremdgegangen ist, wirkt sich das in Form von transgenerationalen Übertragungen auch nachfolgende Generationen aus, z.B. in der Form, dass sich eine Frau einen Mann sucht, der untreu ist oder selbst Affären hat.
Ich würde Ihnen also raten, Ihre Familiengeschichte auf Muster von Untreue und Verrat zu untersuchen, und zwar auch die Generationen vor Ihnen und somit die Zeit lange vor Ihren eigenen Beziehungen als Jugendliche. Erst wenn man die Muster erkennt, kann man sie leichter und vollständiger auflösen.
Noch ein Buchtipp genau zu diesem Thema
Sandra Konrad: "Von Liebe, Loyalität und uralten Lasten"
Ein weiteres Thema, mit dem Sie sich beschäftigen können, ist der Aufbau von differenziellem Vertrauen. Das bedeutet, dass ich weder jedem naiv und blind vertraue (und dann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit betrogen und enttäuscht werde) noch niemandem vertraue (weil ich mich dann um die Chance bringe, eine vertrauensvolle Beziehung zu erleben).
Differenzielles Vertrauen heißt, dass ich ganz kleinschrittig vorgehe und immer wieder entscheide, ob ich einer Person vertraue und warum.
Stellen Sie sich vor, ich stelle eine Putzhilfe ein. Mir könnten theoretisch ja viele Gefahren durch diese Person drohen: Sie könnte stehlen, mich mit Kabelbindern im Keller fesseln (ok, da geht meine Fantasie mit mir durch), meinen Schlüssel dazu nutzen, um während meines Urlaubs mein Haus auszuräumen (alles schon passiert), oder in meinen Geheimnissen herumschnüffeln (mein Tagebuch lesen, meine Steuerordner anschauen ...) oder intime Dinge über mich und mein Leben ausplaudern.
Es wäre also aus diesen Gründen unvorsichtig, einer x-beliebigen Hilfe zu vertrauen und ihr gleich beim ersten Mal den Schlüssel zu überlassen.Und es wäre übervorsichtig, grundsätzlich niemanden ins Haus zu lassen aus Angst, es könnte etwas passieren. Ich brauche differenzielles Vertrauen.
Ich könnte mich auf meinen ersten Eindruck und mein Bauchgefühl verlassen. UND ich könnte mir den Personalausweis zeigen lassen. UND ich könnte ganz genau registieren, wie die Putzhilfe mich behandelt (Pünktlichkeit, Respekt, Umgangsformen) und wie sie mein Haus und mein Eigentum berührt (Grob oder vorsichtig, mit Interesse an meinen Anweisungen).
Ich könnte herausfinden, ob ich Empfehlungen von anderen Kunden sehen oder anhören kann und mich mit ihnen austauschen. Ich kann mir anhören, wie die Putzhilfe über ihre anderen Kunden spricht (respektvoll? Oder tratscht sie?). Und ich könnte in kleinen Schritten vorgehen und erst ein paar Mal im Haus bleiben, während die Person putzt, und erst wenn das gutgegangen ist, auch mal abwesend sein, und wenn das gutgegangen ist, ihr den Schlüssel aushändigen. Ich könnte mir ein Bild machen von ihrem familiären Umfeld und ihren Werten.
Genau das Gleiche wäre mit einem potenziellen Partner empfehlenswert: sehr achtsam und langsam vorgehen, auf die kleinen Zeichen achten und sofort ansprechen, wenn man etwas nicht versteht.
Ein Thema, das Sie unbedingt ansprechen sollten, wäre Treue. Achten Sie am besten genau darauf, welche Antwort Sie hören. Es gibt Menschen, die von Treue generell nicht viel halten und sich eine offene Beziehung vorstellen können. Das hieße für Sie: und tschüss.
Andere finden Treue gut, solange die Beziehung stimmt (das heißt im Klartext oft: Wenn ich sexuell befriedigt werde, bin ich meistens auch treu). Ich würde Ihnen auch in diesem Fall raten, sich nicht darauf einzulassen mit Ihrer Vorgeschichte. Denn wenn Treue für den anderen von den Umständen abhängt, dann könnten Sie sich ja immer fragen, ob die Beziehung dem anderen gerade reicht.
Es gibt Männer wie Frauen, die sehr viel Wert auf Treue legen und die aus Prinzip nicht fremdgehen würden, auch wenn die Beziehung gerade schwierig ist. Wenn sie unzufrieden wären oder Gefühle für jemand anders entwickeln würden, würden sie ERST mit dem Partner/der Partnerin reden und sich ggf. trennen, bevor sie etwas mit einer anderen Peron anfangen.
Ich kann mir vorstellen, dass Sie sich nur mit jemandem sicher fühlen können, der aus Überzeugung treu ist und auch genau erklären kann, warum ihm das so wichtig ist. Zum Beispiel: Ich will nicht lügen und nichts verheimlichen bzw. ich möchte auch nicht, dass jemand mich betrügt oder: Ich habe das noch nie getan und verurteile das.
Stellen Sie sich mal vor, Sie würden jemanden treffen, der Ihnen glaubhaft versichert, dass ihm Treue sehr wichtig ist und sich dementsprechend verhält: Wie würden Sie sich fühlen?
Ich würde Ihnen raten, in Ruhe Ihre Altlasten zu bearbeiten und nach Möglichkeit aufzulösen, dann ein genaues Bild von dem Partner zu entwickeln, den Sie suchen und als Nächstes würden Sie an Ihrem differentiellen Vertrauen arbeiten. Mit diesen Kenntnissen wären Sie dann viel besser vorbereitet auf den nächsten Partner.
Herzliche Grüße
Julia Peirano
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