Es war um 6.30 Uhr am Muttertag, als mir der Olaf auf den Rücken tippte und mich vor die Wahl stellte: Weiterschlafen und aufs Frühstück verzichten oder Aufstehen und frühstücken. Mein Gehirn, das sich seit Tagen darauf gefreut hatte zumindest im ersten Drittel meines Festtages nichts arbeiten zu müssen, brauchte etwas, um den Motor anzuwerfen. "Wieso?", fragte ich und behielt die Augen geschlossen. "Na, weil ich den Mini nicht zum Bäcker mitnehmen kann", stöhnte der Olaf, als hätte ich Unmögliches verlangt. "Ja", dachte ich, "mit einem Vierjährigen irgendwo hinzugehen ist mühsam." Er klettert überall hinauf, er hasst es an der Hand zu gehen, er seilt sich gerne ab.
Natürlich war es dem Olaf nicht zuzumuten, an einem einzigen Tag im Jahr MIT seinem Sohn zum Bäcker zu gehen, um der fleißigen Mutter, die so gerne noch weitergeschlafen hätte, ein ofenwarmes Croissant zu holen. "Kann nicht die Wombi aufpassen?", fragte ich und spürte, wie ich hinten den geschlossenen Lidern immer wacher wurde. "Die schläft noch", sagte der Olaf. "Willst du sie nicht aufwecken?", fragte ich. "Besser nicht", war seine Antwort. Der Mini küsste meine Wange solange, bis sie nass war und rüttelte an meiner Schulter. "Aufstehen!", trompetete er. Das letzte Restchen Schläfrigkeit zog sich in diesem Moment erschrocken in den hintersten Winkel meines Körpers zurück. "Geh mal deine Schwester aufwecken", bat ich den Mini. Er tapste in ihr Zimmer. Nach weniger als einer Minute hörte ich die Wombi brüllen: "Raus! Lass mein Handy da liegen! Rühr meine Bürste nicht an! Wenn du meine Ohrringe nimmst, werde ich sehr, sehr böse!" Kurz herrschte Stille, dann ein gellender Schrei. Der Mini hatte sich im Drehsessel seiner Schwester den Zeigefinger eingeklemmt. Es lief Blut an seinem kleinen Finger hinunter. "Komm", sagte ich, "wir geben ein Pflaster drauf." Die Wombi hatte sich wieder in ihre Decke gewickelt und tat so, als wären wir nicht da und auch niemals da gewesen.
Der Olaf brauchte sechzig Minuten, bis ich mein Croissant auf dem Teller hatte. Die Ofenwärme war ihm auf dem Weg abhanden gekommen. Aber ich wollte nicht kleinlich sein und freute mich. Die Wombi schlurfte in dem Moment mit zusammengekniffenen Augen in die Küche, nahm drei Tassen aus dem Schrank und platzierte sie neben die Teller. Dann aß sie schweigend vor sich hin und sagte, als ihr Bauch voll vor: "Ich lege mich wieder nieder. Damit ich den Tisch decken konnte, bin ich extra früh aufgestanden." Ich schaute stumm auf dem ganzen Tisch herum und fand außer der Tassen nichts, was sie in der Hand gehabt hatte. "Und sonst?", fragte ich. "Heute ist Muttertag." Die Wombi schüttelte den Kopf, was soviel bedeutete wie "eh, klar, dass das jetzt kommen musste."
"Schlaf gut", sagte der Olaf und schob sie sanft aus der Küche. "Siehst du", schimpfte die Wombi, "ihr wollt mich eh nur weg haben."
Ich steckte die letzte Spitze des Croissants in den Mund, damit ich keine Chance hatte, etwas zu erwidern. Die Müdigkeit hatte die Wombi auf dem Weg in ihr Zimmer übermannt, weshalb sie sich ihr schon auf der Wohnzimmercouch ergeben hatte. "Gehst Du mit uns in den Tiergarten?", fragte der Olaf die Wombi. Verächtliches Grunzen war die Antwort.
Flink wie ein Wiesel in der Höhle verschwunden
"Das war ja auch nicht zu erwarten", sagte ich, "wer würde auch annehmen, dass man am Muttertag etwas mit seiner Mutter unternimmt." Die Wombi erkannte in dem Moment, dass es ein Fehler gewesen war, sich auf der Couch im Wohnzimmer zu drapieren. Flink wie ein Wiesel verließ sie den Schauplatz "Dicke Luft" und suchte einen Stock höher Zuflucht in ihrer Höhle. "Das ist schon ziemlich enttäuschend", sagte ich laut vor ihrer Zimmertür. Dahinter rührte sich nichts.
Im Tiergarten war es trotz Nieselregens schön, aber das Verhalten der Wombi drückte auf mein Gemüt. Als wir auf dem Heimweg waren, bekam ich zehn Fotos aufs Handy: Unser Haus in aufgeräumtem Zustand. "Frohen Muttertag!", schickte die Wombi dazu und "Ich hab dich lieb, es tut mir leid."
Zuhause erwartete uns tatsächlich Ordnung made by Wombi. Staunend schritt ich die Räume ab. Dass das tatsächlich das Werk unserer Tochter war, konnte auch der Olaf nicht glauben. "Toll", sagte ich, "danke." Die Wombi dozierte nun darüber, wie hart sie die letzten zwei Stunden gearbeitet habe, dass ihr jetzt der Rücken und die Beine weh täten und dass sie total ausgehungert sei.
Ich sagte noch einmal "Danke" und verschwand mit dem Mini im Bad. Da hörte ich den Olaf leise zur Wombi sagen: "Du wolltest doch ein Geschenk für den Muttertag kaufen. Ich habe dir extra Geld dafür gegeben."
Wombi: "Ich weiß, aber letzte Woche gab's nichts Gutes in der Schule zu essen. Wir mussten zum Mäcki gehen."
Der Olaf und ich, wir seufzten gleichzeitig.
Wombi weiter: "Wenn man bedenkt, was eine Putzfrau heutzutage kostet, habe ich meiner Mutter ein sehr großzügiges Geschenk gemacht. So musst du das sehen."
Wir sahen es so. Genau so.