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Kritik am Bildungssystem Schüler fordern: Leute, wir müssen reden!

Millionen Schüler schleppen sich in den Unterricht, um von Dingen zu hören, die sie nicht interessieren. Berliner Schülerinnen haben ein Buch geschrieben, wie Lernen wieder spannend werden kann.
Von Jamila, Alma und Lara-Luna

Wenn wir die Debatten um Schule und Lernen verfolgen, im Fernsehen oder in den Zeitungen, dann reden vor allem Menschen, die längst aus dem Alter raus sind. Niemand spricht mit uns, wie wir uns Lernen vorstellen, keiner fragt, was wir wollen. Wir haben den dringenden Verdacht, dass es in der Schule nicht um uns geht.

Für die meisten, die wir kennen, ist Schule der totale Frust. Lehrer sind für sie das Schlimmste, was es gibt, und sie kommen nur zum Unterricht in der Hoffnung, er fällt aus. Das Beste, was ihnen in der Schule passieren kann, ist ein Lehrer, der wegen Kopfschmerzen drei Wochen zu Hause bleibt.

Wir verlieren unsere Neugier

Viele von uns vergleichen Schule mit einer Presse: Da kommen wir Schüler rein, jemand drückt drauf, quetscht zusammen und bringt uns in eine Form. Ob wir uns wohlfühlen oder nicht: Wir sind wehrlos. Hilflos. Und damit wir diesen Irrsinn ertragen oder aushalten, verlieren wir all das, was dabei hinderlich ist: Gefühle, Hilfsbereitschaft, Selbstbewusstsein, Mitgefühl, Neugier. Das ist das Schlimmste: seine Neugier zu verlieren, weil plötzlich der Sinn weg ist. Das klingt so, als würden wir von den Nebenwirkungen einer Droge sprechen. Aber der Stoff, von dem wir reden, heißt Lernstoff.

Würden wir wirklich mal gefragt werden, was wir uns wünschen, ehrlich mal, gäbe es wahrscheinlich ganz andere Schulen, in denen sich Kinder und Jugendliche wohlfühlen. Dann würde mal endlich auf den Tisch kommen, was falsch läuft. Denn wir sind auch Bildungsexperten und wir wissen, wovon wir reden. Lange, bevor wir überhaupt den ersten Klassenraum von innen gesehen haben, haben wir jede Menge gelernt. Aus uns heraus, weil wir es wollten und weil wir Spaß daran hatten. Mehr als die Hälfte davon, was ein Mensch im Laufe seines Lebens lernt, lernt er in den ersten fünf Jahren: ohne Schule, ohne Lehrer, ohne dieses ganze Vergleichen und Werten! Es geht also auch anders. Deshalb lasst uns bitte mal darüber reden, wie das Lernen wieder Spaß machen kann. Und uns so begeistert, wie es jeden von uns begeistert hat, als wir klein waren.

"Wie wir Schule machen"

192 Seiten,
19,99 Euro, Knaus-Verlag
Jamila, Alma und Lara-Luna haben das Buch zusammen mit stern-Reporter Uli Hauser geschrieben.

Wir brauchen andere Fächer

Deshalb haben wir ein Buch geschrieben. Und einen eigenen Fragebogen entwickelt. Wenn man so will: einen eigenen Pisa-Test. Die Pisa-Studie wurde vor zehn Jahren eingeführt und macht seitdem alle verrückt. Diese Untersuchung vergleicht die Leistungen in Schulen und Ländern miteinander und verteilt dann Punkte. Alle drei Jahre wird eine Tabelle veröffentlicht wie beim Sport, und dann gibt es ein Ranking, gibt es Ergebnisse, gibt es Plätze. Mal siegt Shanghai, dann Schweden, Deutschland landet meistens in der Mitte. Es geht um schneller, höher, weiter, um die Besten. Aber nie wird gefragt, wer bei Langeweile an der Spitze steht oder bei Desinteresse der Lehrer oder schlechtem Schulessen oder was die Schüler am meisten begeistert oder nervt. Ob sich Lehrer und Schüler gut verstehen. Was für einen Menschen wichtiger ist: ob er sich mit Prozentrechnen auskennt. Oder in der Lage ist, mit einem Misserfolg umzugehen, einer Enttäuschung. Wie er sich verhält, wenn es Konflikte gibt. Ob er es schafft, zwischen zwei Streithälsen zu vermitteln. Was also sollte man können? In der Schule lernen?

Da fällt uns eine Menge ein. Freundlich sein zum Beispiel können die wenigsten. Wenn wir an einem Schalter stehen und da sitzen Leute, die einen anschauen als würden sie dir gleich am liebsten ins Gesicht springen - wir würden sie alle entlassen.

Hilfsbereitschaft! Denn auch die lernt man nicht in der Schule: Wer etwas besser weiß oder schneller versteht und seinen Freund abschreiben lässt und dabei erwischt wird, bekommt eine Strafe. Die schlechteste Note, die es gibt. Ist es nicht unheimlich nett, einem anderen Menschen zu helfen, der in einer ungemütlichen Situation ist? Totalen Stress hat? So macht die Schule uns zu Einzelkämpfern. Und wenn wir rausgehen, sollen wir wieder Gemeinschaftsmenschen sein. Das ist ja das Absurde. In der Stadt hängen Plakate wegen Zivilcourage und Politiker erzählen im Fernsehen über Gemeinschaft und dass niemand allein bleiben soll. Und wir bekommen auf den Deckel, wenn wir Klassenkameraden aus der Patsche helfen.

Neue Ziele

Es heißt doch immer, die Unternehmen suchen teamfähige und sozial engagierte Mitarbeiter. Wäre die Schule dafür nicht eigentlich zuständig? Wenn also Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit ein Unterrichtsziel wären, dann würde sich einiges verändern in unserer Gesellschaft. Wie wäre es, wenn man jeden so lernen ließe, wie es für ihn funktioniert? Da gibt es so viele Möglichkeiten. Vielleicht klappt lernen für manche einfach besser, wenn man mehr praktische Dinge tut. Wenn man mehr erlebt und selbst kapiert, was da gerade vor sich geht. Aber derzeit geht es am Ende nur darum, welche Noten wir nach Hause bringen. Nicht, ob wir was fürs Leben gelernt haben oder uns wohlfühlen oder Spaß hatten oder ob es uns gut geht. Es zählen Zahlen. Von eins bis sechs.

Das ist doch irre. Gibt es wirklich nur sechs verschiedene Arten von Schülern? Ihr sortiert uns und steckt uns in Schubladen. Kann, was jemand geleistet hat, wirklich in einer Zahl ausgedrückt und alles irgendwie auf ein Niveau gebracht werden? Wenn wir jetzt schon mal darüber nachdenken: Wie wird zum Beispiel Anstrengung berechnet? Kriegt man dafür eine Note? Kann man Begeisterung in einer Zahl ausdrücken? Wenn jemand den Sprung von einer Sechs zu einer Vier schafft: Müsste der nicht eine Extra-Belohnung bekommen, weil diese Leistung vielleicht höher zu bewerten ist als der Schritt von einer Zwei zur Eins? Wenn jemand einen super Einfall hat, aber die Rechtschreibung nicht stimmt: Sollte das nicht anders benotet werden? Einstein zum Beispiel. Hätte der die Relativitätstheorie mit Ä geschrieben, wäre seine Entdeckung statt "sehr gut" nur "ausreichend" gewesen? Oder "mangelhaft", wegen der Zeichensetzung? Oder Mozart - der hat den ganzen Tag nur am Klavier gesessen. Mit einer "Eins" in Musik allein käme der heute wohl auch nicht weiter. Konnte der überhaupt rechnen? Oder weit springen? Wir fragen uns: Sind Leute, die überall immer eine Eins schreiben, besser gewappnet für später?

Der Fragebogen

Hier geht's zu unserem "Pisa-Test".

Und jetzt los!

Wir wollen Veränderung! Wir möchten beteiligt werden! Was uns fehlt, ist ein neuer Lehrplan. Nicht nur ein bisschen anders muss er sein. Sondern komplett neu. Wir haben jetzt hier nicht so viel Platz, das zu schreiben, was wir alles noch schreiben müssten. Aber es wäre prima, wenn ihr unseren Fragebogen ausfüllt und so viel Leuten wie möglich schickt. Damit wir Tausende und Zehntausende Antworten bekommen und endlich damit loslegen, uns in die Bildungsdebatte einzumischen.

Schreibt uns gerne auch an fragebogen@wiewirschulemachen.de, wir freuen uns! Und dann reden wir weiter!

Buch-Tipp:

"Wie wir Schule machen"
192 Seiten, 19,99 Euro, Knaus-Verlag
Jamila, Alma und Lara-Luna haben das Buch zusammen mit stern-Reporter Uli Hauser geschrieben.

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