Geld und Karriere Stress frisst Liebe

Wenn der Job wichtiger wird als die Beziehung, Kinder und Aufstieg sich scheinbar ausschließen und das Konto die größte Sorge ist - dann läuft ganz viel falsch. Wie Sie die Balance zwischen Berufs- und Privatleben wiederfinden.

Nach neun Jahren Ausbildung und Studium war Stefanie Baumann* am Ziel: 1999 erhielt sie eine Stelle als Lehrerin für Deutsch und Englisch an einer Berliner Privatschule. Von da an hatte die Mutter eines heute fünfjährigen Sohnes Job, Familie und Haushalt eigentlich ganz prima unter einen Hut gebracht. Alles schien in bester Ordnung, bis Stefanie vor einigen Wochen mit einer an sich freudigen Nachricht nach Hause kam: Nummer zwei ist unterwegs.

Der Test: "Partnerschafts-Zufriedenheit und Kommunikation"

Unternehmen Sie etwas gegen das Schweigen in der Beziehung. Stellen Sie fest, ob Ihre Kommunikation noch lebendig oder bereits versteinert ist.

Heute weiß sie: Nichts wird mehr so sein, wie es mal war. Stefanie muss ihre Stelle zu Jahresbeginn aufgeben. Denn dass ihr Mann Martin, Justitiar einer Berliner Versicherung, Erziehungsurlaub nimmt, kommt für ihn nicht infrage. Teilzeit erst recht nicht. "Bei dem Vorschlag wäre er mir fast an den Hals gesprungen", sagt Stefanie Baumann. Sein Kommentar lautete: "Ist doch schön, einfach nur Mutter zu sein."

Einfach nur Mutter?

Einfach? Nur? Wie wäre es denn, wenn Martin einfach nur Vater wäre? Ist doch schön. Und würde seiner gut ausgebildeten und ambitionierten Frau alle beruflichen Wege offen halten.

Denn leben wir heute nicht in einer aufgeschlossenen Welt, die sich durch Gleichberechtigung und Chancengleichheit auszeichnet? An den Universitäten sind in vielen Fächern mehr Frauen als Männer eingeschrieben. Seit fast zwei Jahrzehnten haben Frauen - ein Hoch auf die Emanzipation - dieselben Bildungschancen und -zugänge wie Männer. Die Gehälter gleichen sich zwar nur allmählich an, aber immerhin. Der Beruf, sagen uns die Sozialwissenschaftler, ist "selbstverständlicher Teil der weiblichen Identität geworden".

Und wie sieht es mit der männlichen Identität aus? Hat sich eigentlich bisher irgendjemand darum geschert, die Männer in die Familien zu integrieren?

Hans-Peter Blossfeld

, Professor für Soziologie an der Uni Bamberg, hat an einer internationalen Studie mitgearbeitet, die Karriereverläufe und Alltagsmanagement von rund 30.000 Paaren aus zwölf verschiedenen Ländern untersuchte. Eines der zentralen Ergebnisse: "Ob in Europa oder in den USA: Immer mehr Frauen sind berufstätig. Die Erwartung aber, diese Entwicklung könnte an der Arbeitsteilung in den Familien etwas verändert haben, hat sich nicht erfüllt." Zur männlichen Rollendefinition, so Blossfeld, "gehörte nie und gehört auch heute nicht die Beteiligung an Haushalt und Familienaufgaben".

Alexander Lindner, 45, aus Münsing

Er opferte seine Firma für Zahnarzteinrichtungen der Karriere seiner Frau Claire, 34:

"Claire war Copilotin bei der Lufthansa und wollte Kapitän werden. Eine Ausbildung, die sich nicht halbtags erledigen lässt. Das ist jetzt fünf Jahre her: Unsere Tochter Jonah war vier und Jeremy gerade geboren. Ich habe meine gut gehende Einrichtungsfirma für Zahnarztpraxen aufgegeben. Claire kam über ein Jahr lang fast nur noch zum Kleiderw echseln nach Hause. Streit gab es selten, weil wir alles vorher durchgesprochen hatten. Für mich war es eine tolle Zeit, die Kinder aufwachsen zu sehen; andererseits kann ich alle Frauen verstehen, die sich wieder nach einem Beruf sehnen. Inzwischen hat meine Frau ihr Ziel erreicht, ist Kapitän und konnte ihre Stelle auf Dreiviertel reduzieren. Ich bin selbst Hobbypilot, habe eine Ausbildung zum Fluglehrer gemacht und gebe regelmäßig Stunden. Um Haushalt und Kinder kümmern wir uns jetzt gemeinsam."

Der Alltagsstreit ist immanent, der klassische Eskalationsdialog verläuft so: "Schatz, denkst du an die Nikolausfeier, morgen?" "Welche Nikolausfeier?" "Im Kindergarten." "Wieso, wann?" "Morgen Nachmittag, um halb fünf. Wir haben letzte Woche darüber gesprochen. Du hast gesagt, du schaufelst dir den Nachmittag frei. Ich bin jedenfalls nicht da." "Ich kann nicht, wir haben Abteilungsleitersitzung, ich muss das vorbereiten. Wann ist das denn im Kindergarten?" "Wie ich sagte, halb fünf." "Kann da nicht Frau Schäffner hin?" "Nein, kann sie nicht, du hast den Kindern versprochen, mit ihnen hinzugehen. Die wollen ihren Vater, nicht die Kinderfrau." "Mein Gott, ich schaff das einfach nicht, ich habe Stress ohne Ende. Halb fünf schaffe ich nie. Die Schäffner soll das machen, und ich hole die Kinder um sieben ab." "Dann sag du ihnen das." "Herrgott, du weißt doch, wie angespannt die Situation im Moment ist. Ich kann mich doch nicht zerreißen."

Hier blenden wir uns aus dem direkten Schlagabtausch aus, den weiteren Verlauf kennen Sie - so oder ähnlich: Sie wird nun aus der Haut fahren und ihm aufzählen, was sie alles wuppen muss. Die Kinder, die Kinderfrau, Elternvertretung in der Schule, obendrein ist sie zuständig für die sozialen Kontakte der Familie. Und dann noch der Dritteljob, bei dem sie mehr schafft als andere mit einer 35-Stunden-Woche. Und er? Was macht er denn schon? Wenn er einmal um etwas gebeten wird, macht er Theater.

Und überhaupt: Die ganze Auffahrt ist voller leerer Wasserflaschen, weil er morgens den ersten Raureif ja mit heißem Wasser von der Windschutzscheibe spülen muss. Statt wie andere den Eiskratzer zu nehmen. Und beim nächsten Gänseessen wird er dann - wetten? - wieder groß rauskommen und die Geschichte erzählen von Freitag-Samstag-Sonntag, als er die Kinder hatte, weil sie mit dem "O-Klub", (O wie Orangenhaut) mal ein langes Wochenende verbracht hat. Und wie er das zu Hause wieder alles toll gemeistert hat. Sie ist nur noch genervt.

Er wird dann natürlich vom Ernährersein reden und wie er sich krumm legt und dass er keinen Abend vor neun zu Hause ist. Dass er das doch auch nicht mache, weil es so schön ist und er den Stress liebt. Und überhaupt: Männer kriegen einen Herzinfarkt und sterben fünf Jahre früher. Rein statistisch. Wie schön, wird sie süffisant sagen. Er wird fragen: Was? Sie wird sagen, das mit den fünf Jahren.

An dieser Stelle gibt es

nun die Weichenstellung: Der Streit gleitet ins Dramatische ab oder - wenn's gut geht - ins Komische. Meist geht es leider dramatisch weiter - erst laut, dann leiser, irgendwann schmerzhaft sprachlos. Wieder ein Stück Entfremdung.

Karsten Scheffe, 40, aus Berlin

Er ist - so nennt er das selbst - "reinrassiger Hausmann", weil seine Frau Silke, 37, besser verdient:

"Ich bin Diplomforstwirt und hatte in Münster eine Stelle als Landschaftsplaner für Golfplätze. Meine Frau ist Juristin. Sie bekam dann ein Angebot aus Berlin von der Bundesversicherungs-anstalt für Angestellte. Gutes Gehalt, Verbeamtung, flexible Arbeitszeiten. Die Entscheidung stand sofort fest: Ich habe meinen Job gekündigt, und wir sind umgezogen. Seit drei Jahren bin ich jetzt Hausmann, kümmere mich um unsere Kinder: Sie sind drei, fünf und sieben Jahre alt. Wir haben ein Konto, und ich gebe für den Haushalt aus, was ich brauche. Es wird allerdings langsam Zeit, dass ich irgendeinen Halbtagsjob finde. Als Hausmann ist man ganz schön einsam. Zum Beispiel am Kinderspiel-platz. Da führen die Mütter ihre Frauengespräche lieber unter sich."

"Es scheint heutzutage in Deutschland ungeheuer schwierig zu sein, die Anforderungen des Berufes und die Bedürfnisse der Paarbeziehung und des Familienlebens in Einklang zu bringen", sagt der Württemberger Paartherapeut Hans Jellouschek. In seinem Buch "Mit dem Beruf verheiratet" zitiert er aus dem Brief eines Richard an seinen Freund Günther.

Richards Brief ist eine selbstkritische Abrechnung mit seiner Ehe. Ein kurzer Auszug: "Nicht, dass wir täglich streiten würden. Das hat es mal gegeben. Aber seit einiger Zeit ist es still geworden. Grabesstille, könnte man sagen. Gerade über die Alltäglichkeiten tauschen wir uns noch aus, über die Familienorganisation... Ich bin in der Familie ein Einsamer geworden."

Was Richard beschreibt, ist das Ende einer jahrelangen Entwicklung, die laut Jellouschek durchaus typisch ist. Väter würden unter anderem auch durch betriebliche Anforderungen zu Eltern zweiter Klasse degradiert. Ihr Anteil an der Degradierung ist freilich erheblich. Er sagt: "Sie verlieren den Kontakt zu ihren Kindern, wissen so gut wie nichts von dem, was die Kinder wirklich bewegt, verlieren deshalb den Einfluss auf sie und leben in ihren Familien immer mehr als Fremde oder Gäste, die kommen und gehen." Am Ende werden sie wahrgenommen als Störenfriede, die den reibungslosen Ablauf durcheinander bringen.

Die jahrhundertealten Mechanismen greifen, ihre Ideologien wirken aller Moderne zum Trotz bis heute nach.

Typische Männerideologie in der Arbeitswelt ist:

- Man darf kein Jobangebot ablehnen, sonst bekommt man keines mehr. Man darf keine Erziehungszeit nehmen, sonst ist es mit der Karriere vorbei.

Die typische Frauenideologie:

- Nur die Mutter versteht die Kinder wirklich, darum ist sie die wichtigste, ja die einzig wirklich wichtige Bezugsperson für die Kinder.

Was Therapeuten wie Hans Jellouschek heute in ihren Coaching-Kursen zunächst vermitteln, ist die Einsicht in die alten, langlebigen Mechanismen und dass sie unser Leben so stark beeinflussen. Eine Binsenweisheit? Nur für den, der sich über die Folgen der Rollenkräfte keine Gedanken macht. "Paare müssen sich verbünden, sie müssen das Problem zum gemeinsamen Feind machen, anstatt sich den Partner zum Feind zu machen, indem man ihm die Schuld an den Defiziten und Mängeln in die Schuhe schieb", sagt Jellouschek.

Manfred Walter, 46, aus Alveslohe

Er gehört zu Deutschlands besten Trabrennfahrern. Seine Frau Susann, 35, hat ihren Beruf nach der Geburt der Tochter aufgegeben:

"Unsere glückliche Beziehung hat natürlich mit der gemeinsamen Leidenschaft für Pferde zu tun. Streit ums Geld gibt's nie. Bei uns heißt es: "Wat mien is, is ook dien." Also: Ein Konto - jeder nimmt sich, was er braucht. Aber das meiste stecken wir sowieso in unseren Hof. Ich bin Pferdewirt. Ich fahre nicht nur Rennen, sondern trainiere Pferde oder habe sie in Pension. Um unseren Haushalt kümmert sich meine Frau. Sie hat ihren Beruf als OP-Schwester aufgegeben, als vor acht Jahren unsere Tochter Ronja auf die Welt kam. Zum Glück konnte ich Susann für den Trabrennsport begeistern. Sie hat Talent, wie ich es selten erlebt habe. In der Rangliste der norddeutschen Amateure liegt sie zur zeit uneinholbar an der Spitze. Manchmal tritt sie auch gegen mich an, und einmal hat sie mich schon mit großer Freude geschlagen."

Erst die Solidarität lässt uns zu echten Kompromissen kommen, zum Interessenausgleich. Und nur die Solidarität versetzt uns in die Lage, auch Durststrecken durchzustehen, Verzicht zu üben. Hilfreich ist etwa, private Termine in den Wochenplan einzubeziehen: Donnerstag, 16.30 Uhr, Nikolausfeier, Kindergarten. Das sei doch der Tod für jede Spontanität, ist eines der meistgebrauchten Argumente gegen diese Form privater Buchhaltung. Jellouschek entgegnet seinen Klienten dann stets: "Und was geschieht bei Ihnen "spontan"? Das einzig Spontane ist, dass die Arbeit doch wieder den Vorrang erhält - und das Privatleben zu kurz kommt."

Die Botschaft: Nehmen Sie sich frei von Ihren Kindern und Ihrem Job - und nehmen Sie Ihren Partner mit: auf drei Vorwintertage in die Berge oder an die See. Saumselige Träumerei? Nein, gut kalkulierter Balsam für die Beziehung. Sie kommen zum Durchatmen und zum ungestörten Reden - und was auch sonst noch eine vibrierende Beziehung einmal ausgemacht hat. Paar-Coaches, wie sie sich heute nennen, empfehlen, auf so genannte Hilfssysteme zurückzugreifen: Großeltern, Nachbarschaftshilfe (auf Gegenseitigkeit), die bezahlte Aushilfsmutter.

Und was ist mit dem ganz persönlichen Freiraum? Ja, dafür muss auch noch Zeit bleiben, deshalb hilft ja auch der privat genutzte Terminplan. Psychotherapeuten sagen, "Männer sollen sich bei Männern, Frauen bei Frauen regenerieren". Wir brauchen den Abstand voneinander, wir brauchen die Polarität.

Solange keine Kinder da sind, klappt die Partnerschaft: Double income, no kids, kurzfristige Restauranttermine, Spontanurlaube übers verlängerte Wochenende nach Lech, Rom oder sonst wohin, wo's schön ist. Kommen Kinder, folgt beinahe naturgegeben die Krise.

Helga Ebel-Gerlach, 55, aus Bad Honnef

>Sie hat nach der "Katastrophen-Ehe mit einem Karrieristen" selbst Karriere gemacht und zum zweiten Mal geheiratet. Auch Ekkehart, 57, ist beruflich erfolgreich:

"Mein erster Mann war Juraprofessor. Meine Aufgabe beschränkte sich darauf, Hausfrau und Mutter zu sein. Als unsere Ehe dann in die Brüche ging, ich mit zwei Kindern auszog und mir einen Job suchte, war mein Selbstbewusstsein bei null. Freunde haben mich überredet, es mit Selbstständigkeit zu versuchen. Daraus wurde meine Kommunikationsagentur "Creativ". Eine Zeit lang habe ich sogar Seminare für Frauen von Managern durchgeführt, die unter ihrer Beziehung genauso litten, wie ich es erlebt hatte. Mein zweiter Mann ist Chef der Medienakademie in Köln. Dass wir uns nur selten sehen, ist kein Problem. Wir haben viel Verständnis füreinander und geben uns gegenseitig Tipps. Lustig ist aber: Wenn wir beide zu einem Empfang eingeladen sind, heißt es immer noch: "Schön, Herr Gerlach, dass Sie Ihre Frau auch mitgebracht haben."

Warum ist das so? Weil die Hochgeschwindigkeitsbedingungen unserer Arbeitswelt das alte Familienmodell voraussetzen. Jellouschek nennt es das Beziehungsmodell von "Arbeitsmann und Familienfrau": "Der Mann als Allein- oder Hauptverdiener und die Frau, die ihm den Rücken freihält und sich um die Kinder kümmert und dafür auf berufliche Selbstverwirklichung weitgehend verzichtet."

Zudem haben sich die Rahmenbedingungen für Mann und Frau, für Familien, wenig geändert: So gibt es bis heute kaum ganztägige Kinderbetreuungsplätze, deren Öffnungs- den Arbeitszeiten angepasst sind. Es gibt bis heute kaum Ganztagsschulen. Selbst dort, wo man eigentlich freie Geister und moderne Bedingungen erwartet, herrscht alte Denke: Die Uni Tübingen etwa hat für mehr als 2000 Mitarbeiter im wissenschaftlichen Dienst gerade zwölf Betreuungsplätze im Angebot.

"Im Gegensatz zu den Männern, die ihre Priorität im Beruf und ihrer Ernährerrolle sehen, leben Frauen in einem ständigen Konflikt", sagt Soziologe Blossfeld. "Einerseits ist es Bestandteil der liberalen Werte unserer Gesellschaft, dass Frauen arbeiten, andererseits müssen sie sich jederzeit den Änderungen der familiären Situation anpassen." Kurzum: Frauen, die Kinder und Karriere wollen, müssen die Doppelbelastung in Kauf nehmen.

Die englische Journalistin Allison Pearson

, Mutter zweier Kinder, hat die alltäglichen Verdrückungen der emanzipierten Mittdreißiger-Generation in Buchform gegossen: "Working Mum" steht seit Wochen auf den Bestsellerlisten. Allison Pearsons Alter Ego Katharine Reddy jettet als Managerin einer Londoner Investmentfirma durch die Welt. Erfolgreich zwar, aber gestresst durch eine Doppelbelastung, bei der sich Berufseffizienz und schlechtes Gewissen die Waage halten. Kate, Mutter von Emily, 5, und Ben, 1, ist mit einem liebenswerten Durchschnittstypen verheiratet. Während Emily nach einer Überdosis Smarties spucken muss, verhandelt Kate mit Mr Hokusai aus Tokio über Toki-Rubber-Aktien.

Die Schwiegermutter beschwert sich, dass Kate ihren Sohn nicht anständig bekocht. Und der wiederum beschwert sich, dass im Bett nichts mehr läuft, weil seine Kate schon morgen wieder nach New York muss. Wirklich nur Fiktion? "In den ersten Tagen und Stunden nach meiner Rückkehr von einer Reise schwöre ich immer, dass es das letzte Mal war ... Emily und Ben brauchen mich, und ich bin es, nach der sie verlangen. Oh, sie beten Richard an, natürlich tun sie das, aber er ist ihr Spielkamerad, ihr Gefährte bei Abenteuern, ich bin das Gegenteil. Daddy ist der Ozean, Mummy der Hafen: der sichere Anlegeplatz, an den sie sich schmiegen, der Ort, an dem sie den Mut dafür sammeln, sich jedes Mal weiter und weiter hinauszuwagen. Aber ich weiß, dass ich kein Hafen bin. Manchmal, wenn die Dinge wirklich schlecht laufen, liege ich hier und denke, dass ich ein Schiff in der Nacht bin, und meine Kinder kreischen wie Möwen, wenn ich vorüberfahre."

So witzig und überpointiert Allison Pearson schreibt, so ernst ist der Hintergrund: Warum nur ist es heute in einer ach so aufgeklärten Gesellschaft so schwierig, die Balance zwischen Berufsleben und privater Beziehung zu finden? Ein vielversprechender Ansatz, das Problem zu lösen, kommt aus der Wirtschaft: "Work-Life Balance". Hinter diesem US-Slogan verbirgt sich, dass Firmen für ein Arbeitsklima sorgen, in dem Ehepartner zu einer Balance zwischen Privat- und Berufsleben finden. Die Idee wurde aus der Erkenntnis geboren, dass glückliche Mitarbeiter die leistungsfähig eren, weil motivierteren Mitarbeiter sind.

Amerikanische Langzeitstudien weisen zudem aus, dass etwa der Grad väterlichen Einfühlungsvermögens beim Spielen mit den Kindern bedeutende Auswirkungen auf die Bindungsfähigkeit im späteren Erwachsenenalter hat. Durchhaltevermögen und Bewusstsein der Kinder in die eigenen Fähigkeiten werden verstärkt.

Die Sozialwissenschaftlerin Brigitta Kreß beschrieb in einem Beitrag für "Psychologie Heute" die Entwicklung in Amerika: "US-Konzerne besetzen ihre Personalverantwortlichen Positionen nach Möglichkeit nur noch mit Menschen, die mindestens ein Jahr Erziehung oder Pflege nachweisen können. Das garantiert die nötige Sozialkompetenz, die Konfliktfähigkeit, die Belastbarkeit und spart zusätzlich Fortbildungskosten."

In Deutschland hat die Hertie-Stiftung vor fünf Jahren die gemeinnützige GmbH "Beruf und Familie" gegründet, für die sowohl das Wirtschafts- als auch das Familienministerium die Schirmherrschaft übernommen haben. "Beruf und Familie" ist eine Art Unternehmensberatung in Sachen "Work-Life Balance". Die Kundschaft, bis heute rund 80 Betriebe, re icht vom Klinikum Nürnberg bis zum Schnapshersteller Underberg.

Der "Work-Life Balance"

-Maßnahmenkatalog umfasst 140 Punkte. Dazu gehören Betriebskindergärten oder Eltern-Kind-Zimmer, Teilzeit- sowie Telearbeit und nicht zuletzt Mitarbeiter, die wie etwa bei der Commerzbank "Diversity-Manager" heißen: Menschen wie Barbara David, 46, die sich bei der Frankfurter Bank um die Arbeitnehmerstruktur und deren Sorgen und Bedürfnisse kümmert. Sie sieht die wesentliche Herausforderung von "Work-Life Balance" ebenfalls in der Familienintegration der Männer. "Es wird vielleicht nicht so lange dauern wie die Emanzipation der Frau", sagt sie. "Aber es ist ein langfristiger Prozess."

Alexander Lindner, 45, aus Münsing am Starnberger See ist eines der seltenen männlichen Exemplare, die dafür beinahe komplett auf Geld und Karriere verzichtet haben. Er war Inhaber einer gut gehenden Firma für die Einrichtung von Zahnarztpraxen. Vor fünf Jahren hat er sie verkauft. Seine Frau Claire, damals Ende 20, hatte gerade das zweite Kind geboren und wollte wieder in ihren Beruf zurück: Copilotin bei der Lufthansa. Und sie wollte die Ausbildung zum Flugkapitän machen, was auf Teilzeitbasis unmöglich ist. Also übernahm er die Rolle des Hausmanns und sah seine Frau monatelang nur, wenn sie zum Kleiderwechsel nach Hause kam.

Über diese Zeit sagt er

: "Das war eine Vollbremsung von 200 runter auf null. Natürlich habe ich es genossen, die Kinder aufwachsen zu sehen. Aber ich kann jede Frau verstehen, der es zu wenig ist, nur zu Hause zu sitzen. Von den meisten Männern konnte ich mir nur Floskeln anhören: "Ach, du hast es gut, bei deinen Kindern sein zu dürfen. Aber bei mir - die Firma! Jetzt noch zehn Jahre schuften, dann habe ich auch Zeit für die Familie."

Claire Lindner hat ihre Ausbildung erfolgreich abgeschlossen, inzwischen die Arbeitszeit auf 75 Prozent reduziert. Alexander Lindner, selbst Hobbypilot, hat sich zum Fluglehrer ausbilden lassen und gibt, sooft es eben geht, Stunden. Um Haushalt und Kinder kümmern sich beide. Wenn sie sagen, "wir sind glücklich", glaubt man es ihnen. Die Lindners sind die Ausnahme. Denn in anderen Beziehungen werden selbst Alltagsschritte nicht gegangen. Psychologen vermissen die Zivilcourage, den Mut, familiäre Notwendigkeiten auch mal in den Vordergrund zu stellen, sich abzugrenzen von den beruflichen Erwartungen und Zwängen. Männer, analysiert Hans Jellouschek, "werden zu braven Söhnen, die es den Vorgesetzten wie ihren Vätern recht machen wollen".

Für Jellouschek ist entscheidend, "dass Männer sich über ihre Prioritäten und damit über ihr tragendes Lebenskonzept klar werden und sich verantwortungsvoll um einen Ausgleich der Bedürfnisse bemühen". Auf der einen Seite stehe das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung im Beruf, auf der anderen Seite jenes nach Selbstverwirklichung in den Beziehungen: "Zu meinem Leben gehört die Leistung, aber zu meinem Leben gehören auch meine Partnerin und meine Kinder. Die Kunst besteht darin, aus meinem Leben ein Ganzes zu machen, und das heißt: meine beruflichen und meine privaten Rollen so aufeinander abzustimmen, dass sie einigermaßen "zusammenstimmen"." Das setzt voraus, dass wir miteinander sprechen, notfalls auch streiten. Nur eines nicht: talken.

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Michael Stoessinger, Andreas Albes