Man könnte jetzt glauben, dass Jennifer Lopez einen Moment für sich allein war, unbeobachtet, sich durch die Haare fahrend, der Gesichtsausdruck beinahe sarkastisch sinnierend. Es war ein Nachmittag in einem New Yorker Club, die Zeitungen an den Kiosken draußen hatten jeden Tag eine andere Meldung über J. Lo und ihren damaligen Freund Ben Affleck: Hochzeit, doch nicht Hochzeit, was denn nun? Ben Affleck würde sie, und das wusste Jennifer auf dem Foto, in einer halben Stunde abholen, und wenn man genau hinschaut, könnte man ein Patchwork aus Gefühl und Gewühl in ihrem Gesicht ablesen.
Der Mann, der hinter Jennifer Lopez steht und mit einer leise klickenden kleinen Kamera das Bild macht, ist ein Mann, der oft hinter, neben oder um Prominente herum steht, um sich abseits der Blitzlichter, Studios und Posen seine kleinen privaten, ja intimen Momente zu pflücken.
Peter Lindbergh nennt das "Zwischenshots", sie entstehen immer dann, wenn er große Shootings mit viel Make-up, teuren Kleidern und Superstars hat. Sogar die Luft scheint dabei nervös zu sein, die Egos der Stars mit ihren Managern und Beratern passen kaum durch die Tür, und so eine wie J. Lo verlangt geputztes Obst und temperiertes Mineralwasser und bekommt es meist auch, weil alle ihr Spiel der Überirdischen mitspielen. Nur Lindbergh nicht. Er hält sich nicht an die Öffnungszeiten der Eitelkeit, sondern inszeniert auch die Umbaupausen zwischen den großen Shots. Da steht dann immer ein Tisch im Studio, da sollen sie alle sitzen wie auf einer Wiese in Frankreich im Sommer. Da sollen sie alle, die Make-up-Arbeiter, die Beleuchter, die Stylisten, die Assistenten und die Stars gleich sein, sollen essen und trinken. Lindbergh sitzt dann am Ende vom Tisch, neben seinem Glas immer eine Kamera, und er spricht, lacht und fotografiert zugleich. In einer Bewegung, man muss das gesehen haben, sprechen-lachen-klick-sprechen.
Buchtipp
"Untitled 116" von Peter Lindbergh mit Fotografien aus den vergangenen zehn Jahren ist soeben bei Schirmer/Mosel erschienen (98 Euro)
Würde man Lindbergh, 61, der 1978 seine ersten Fotos im stern veröffentlichte, heute in sein Archiv schicken, um Bilder all der Mädchen, Models und Stars zu holen, die er fotografiert hat, könnte es ewig dauern, bis er wiederkommt. Deshalb hat er sich in seinem neuen Buch "Untitled" auf 116 Bilder beschränkt, die alle aus seinem Genre "Zwischenshots" stammen und seine Technik der dokumentarischen Fotografie illustrieren. "Ich habe gar nicht so sehr auf die Bilder an sich geschaut, sondern überlegt, welche Geschichten und Situationen mir dazu einfallen. Es sind also eher Fotos, die mein Erleben zeigen, als zum unzähligsten Mal ein prominentes Gesicht", sagt er.
Dass seine Bilder nicht die wirklich wahren, intimen Blicke hinter die Posen des Glamours sind, darüber macht sich auch Lindbergh keine Illusionen. "Nein, die Frauen sind alle sehr ausgeschlafene Profis in ihrem Geschäft. Scarlett Johansson zum Beispiel kenne ich gut und arbeite viel mit ihr. Die kontrolliert ihren Wimpernschlag aber auch, wenn sie so scheinbar ausruhend am Strand von Malibu sitzt." Und auch Jennifer Lopez beherrscht die Simulation des Privaten meisterlich, "ich arbeite ja nicht mit versteckter Kamera", sagt Lindbergh. Bei J. Lo sei ihm nur aufgefallen, "dass sie sich immer wieder als junges Mädchen darstellen will, dabei sind ihre wahren Qualitäten des Fraulichen viel aufregender".
Was die ganz grossen des Entertainments und Lindbergh vereint, ist das gemeinsame Ziel: ein Foto, das von Nähe, Schönheit und Wahrheit erzählt oder es simuliert. "Alle diese Menschen wissen, dass ich kein hässliches Foto mache. Alle wissen, dass ich ihre Schönheit suche", sagt Lindbergh. Mit seiner Technik demonstrativer Natürlichkeit, seinen minimalistischen Fabriketagenstudios oder Strandlocations sperrt er die Ablenkung durch eine technokratische Bildfabrik aus, "wir sind gleich, es gibt keine Privilegien, nur das Model und mich", sagt er. Das schafft in den verkrampften Seelen der Eitelkeit und Unsicherheit Entspannung und sogar Erkenntnis. "Peter hat mich als Einziger so gezeigt, wie ich bin", sagte einmal Linda Evangelista über ihren Entdecker Lindbergh, "was beängstigend für mich war: Es war unglaublich hart, ich zu sein." Bei Schauspielern, sagt Lindbergh, sei das einfacher, weil die ständig ein anderes Ich spielen und auch in Momenten der Pause einen Charakter im Gesicht behalten. Mit Cate Blanchett sei das in einer Pariser Fabriketage so gewesen, "das Bild ist zwischen Modeshots entstanden, und man sieht die Entspanntheit, in der Cate mit ihren Posen spielt."
Man muss sich das fotografische Leben von Superstars auch als enervierende Abfolge fremder Hausbesuche im eigenen Gesicht vorstellen: neuer Film, neue Platte, neues Projekt, immer kommt ein anderer Fotograf und enteignet das Antlitz und interpretiert, macht sie kindlich oder hässlich, zu Vamps oder irgendeiner anderen Variante seiner ikonografischen Vorstellung. Oft sieht man sich nicht wieder, die Beziehungen bleiben kühl und mechanisch. Bei Lindbergh ist das ganz anders. Er kann im Studio Familie herstellen, seine Art zu sprechen, hat väterliches Timbre, und mit seiner Kamera leiht er sich ein Gesicht und enteignet es nicht. Das schafft Verbindungen. Penélope Cruz ruft ihn schnell an, wenn er auf Ibiza ist und sie in Madrid: "Peter, kannst du kommen, ich brauche Fotos." Lindbergh lacht, "wenn das wie üblich über Manager und Agenten laufen würde, gäbe es vielleicht in einem halben Jahr ein Bild". Und Manager und Agenten raufen sich auch die Haare, wenn Lindbergh zu Daryl Hannah nach einem Tag Arbeit im Studio sagt, "komm, jetzt gehen wir noch auf die Straße, gleich hier unten, und bedeck dein Gesicht mit den Händen, Schönheit haben wir heute genug gesehen".
Wenn Peter Lindbergh so was erzählt, fügen sich Worte irgendwann zu einer nie geschriebenen Geschichte des Entertainments zusammen. "Auf dem Bild von Asia Argento sehe ich meine Überraschung. Es war nämlich ein Shooting, zu dem ich auch Adrien Brody angerufen hatte, ich wollte so eine Paargeschichte machen. Ich wusste nicht, dass Adrien und Asia zusammen waren und sich ein Jahr zuvor getrennt hatten." Und normalerweise wollen Frauen nicht fotografiert werden, wenn sie geschminkt werden, denn das ist ein Akt, der intimer ist als Nacktheit, "aber Goldie Hawn zum Beispiel hatte kein Problem damit. Mein Gesicht ist doch mein Leben, hat sie gesagt." Hat sie zu Peter Lindbergh gesagt, andere Fotografen wären vermutlich gar nicht in die Nähe ihres Gesichtes gekommen.
Manch Kritiker des flüchtigen Zirkus Mode bemängelt immer wieder mal Lindberghs Treue zu seinem Stil. Keine Experimente, keine modischen Provokationen, kein Beugen mit dem Wind. Lindbergh interessiert das nicht, er hat 1997 mit seinen ersten "Zwischenshots" die Modefotografie mit einer dokumentarischen Variante revolutioniert. Er sagt, dass er erst mit 29 Jahren Fotograf wurde, denn "wenn man so spät anfängt, ist man charakterlich vielleicht schon so weit gefestigt, dass man seine Vorstellungen nicht so schnell über den Haufen wirft". Und vielleicht ist es das, was man in Lindberghs Bildern, egal, ob von Goldie Hawn, Brooke Shields oder der sinnlichen Italienerin Asia Argento, immer wieder findet und was den Blick immer wieder mit Sehnsucht füllt: Der Charakter all unserer Blicke, die etwas suchen und es nur in zufälligen Momenten finden. Nur, unsere Augen können es nicht festhalten, Lindberghs Kamera schon.