Wie der Fußballfan zu seinem Verein kommt, hat Nick Hornby in seinem Bestseller "Fever Pitch" treffend beschrieben. Sinngemäß heißt es da: Nicht du suchst dir deinen Verein aus, der Verein sucht dich aus.
So ähnlich, behaupte ich an dieser Stelle einfach mal, verhält es sich auch mit dem Biertrinker und der Marke seines Vertrauens. Meist spielt die Herkunft eine Rolle. Sprich: Das erste Bier stammt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aus der Region, wo man zum Zeitpunkt der ersten Klassenpartys oder Konfirmandenfreizeiten sein Zuhause hat.
Unglücklicherweise stamme ich aus Ostwestfalen, einer Ecke, die nicht unbedingt berühmt ist für die herausragende Qualität ihrer Bierprodukte. Die ersten Gehversuche unternahm ich also mit Herforder Pils (belanglos), schreckte später auch nicht vor den gefürchteten Paderborner "Handgranaten" (wegen ihrer kuglig-bauchigen Flaschenform) und Billigprodukten vom Discounter zurück (Thier-Pils), um mich dann doch irgendwann auf das zumindest im nahen Sauerland abgefüllte Warsteiner einzupendeln.
Biermäßig also eher grau sozialisiert, begab es sich, dass mich vor einer gefühlten Ewigkeit der Job nach Hamburg verschlug. Und dort bin ich dann von Astra aufgegriffen worden.
Astra, das sei den Bierfreunden im Süden gesagt, hatte damals nicht unbedingt den besten Ruf. "Maurerbier" war noch eines der harmloseren Attribute, mit denen die Marke belegt wurde. Seine Käufer lockte es stumpf über Menge und Preis an: In den Kästen waren 30 statt der üblichen 24 Flaschen, und trotzdem waren sie immer noch billiger als die Konkurrenz aus Bremen, Flensburg oder Jever.
Astra, das war damals biermäßig aber auch vor allem St. Pauli. Hier, zwischen Hafen und Landungsbrücken, wurde es bis 2003 von der Bavaria-St. Pauli-Brauerei abgefüllt. Astra zu trinken, so kam es mir Zugereistem jedenfalls vor, war auch ein Statement für den Stadtteil. Rau, ehrlich, direkt, ein bisschen schmuddelig und verrucht - eben einfach liebenswert!
Und so hat mir die Stadt damals quasi die Bierentscheidung abgenommen: Astra statt Holsten. Millerntor statt Volkspark - jenes schicksalhafte Duopol bestimmt seitdem mein Leben in der Hansestadt.
Natürlich ist mein Festhalten an der "Knolle", wie die braune Steinieflasche in Hamburg auch genannt wird, ein ziemlich schizophrener Vorgang. Spätestens seitdem die Bavaria-Brauerei 1998 von Holsten übernommen worden ist. Inzwischen gehören beide Marken zu Carlsberg A/S, dem viertgrößten Brauereikonzern der Welt.

Und trotzdem: In Kneipen bestelle ich heute immer noch bevorzugt ein Astra, zum Grillen im Garten gibt's bei uns ohne jede Diskussion eine Kiste mit Knollen. Mit Geschmack hat das wenig zu tun. Viel mehr vermutlich mit Werbung. Nach der Holsten-Übernahme wurde 1998 die "Was-Dagegen?"-Kampagne gestartet, die mit viel Wortwitz mit dem Underdog-Charme spielt, der der Marke anhaftet. 2000 wurde zudem das alte Logo durch ein Symbol aus Herz- und Anker ersetzt, das das gute, alte Seefahrer-Klischee bedient.
Alles clevere Marketing-Schachzüge, die mir Astra-Trinker suggerieren, nach wie vor auf der Seite der Guten zu stehen. Und da stehen wir alten Sozialromantiker eben nach wie vor am liebsten.
Volker Königkrämer arbeitet in der Online-Redaktion des stern als Redakteur vom Dienst. Wenn Sie mögen, können Sie ihm hier auf Twitter folgen.