5 Fragen an Cosima Schmitt "Alt ist, wer im Gestern lebt"

Fünf Fragen, fünf Antworten: Die Autorin und Journalistin Cosima Schmitt über Kittelschürzen-Omas, ihr Lieblingsjahrzehnt und eine Generation, die, kaum im Beruf, schon an die Rente denken muss.

1. Wir alle beschäftigen uns mit dem Älterwerden. Ab wann beginnt für Sie das Alter?
Alt ist, wer im Gestern lebt. Wer sich zurückgezogen hat in eine Welt aus Plüschpantoffeln und Kohlrouladen. Wer körperliche Gebrechen vorschiebt, um bequem im Kopf zu werden. Wer nicht mehr über Horizonte schaut, sondern nur noch auf die eigenen Bedürfnisse. Ab wann jemand alt ist, ist vor allem eine Frage der Haltung. Und nichts, dass sich an einem Lebensjahrzehnt festmachen ließe. Zumindest diesseits der 90.

Die Menschen heute wirken länger jung. Die Kittelschürzen-Omas meiner Kindheit sind verschwunden. Frauen hören nicht mehr auf, sich als Frau zu sehen, nur weil sie im Arthrose-Alter sind. Auch 70-Jährige färben sich das Haar. Auch Rentner flirten im Internet. Und erklimmen nepalesische Gipfel oder wenigstens den heimischen Kletterwald. Die Grenzen verschwimmen, gerade weil Alt und Jung sich auch in ihren Werten ähneln. Und weil sich der Verfall des Körpers dank moderner Medizin besser bremsen lässt.

2. Wenn sie es sich aussuchen könnten, wie alt wären Sie dann gerne? Mit anderen Worten: Was ist ih persönliches Lieblingsalter? Warum?
Mein Lieblingsalter ist ein Lieblingsjahrzehnt: 25 bis 35. Einerseits ist man da sehr frei, kann mal in der Großstadt leben und mal im mexikanischen Dorf, kann Berufe erproben und Wohnformen. Andererseits ahnt man schon, wohin einen das Leben führt und welche Menschen einen dabei begleiten werden. Eine Mischung, die jeden Tag spannend macht.

Welcher ältere Mensch begeistert Sie? Und ist sogar vielleicht Ihr Vorbild? Warum?
Mich begeistern jene Frauen, die in den Sechzigern – und weit davor – die Emanzipation vorantrieben. Sie warfen Fragen auf, die uns bis heute bewegen: Wie möchten wir leben, lieben, arbeiten? Was ist uns wirklich wichtig und was nur Konvention? Wie können wir all unsere Talente entfalten? Sie dachten für die Nachwelt mit, erkämpften ihr eine bessere Gesellschaft. Und blieben beharrlich, selbst wenn jemand ihnen Hirn, Charme und Anstand absprechen wollte.

Was ist Ihr Traum fürs Alter? Und was Ihr Alptraum?
Ich wünsche mir, dass die Kategorie "alt" gar nicht so wichtig sein wird. Dass sie mein Leben beeinflusst, aber nicht prägt. Dass ich mich selbst noch erkenne, auch wenn der Körper schlapp macht. Ziehe ich eben mit dem Rollator durch Berlins Straßen statt mit dem Fahrrad. Nehme ich halt eine Lupe, um ein gutes Buch zu lesen. Schaue ich Regenwald-Dokus, statt selbst durch den Dschungel zu stapfen. Der Alptraum: Ich sitze gelangweilt in einem Zimmer, starre auf ein Telefon, das nie klingelt, und sehe das Leben nur noch als Summe verpasster Chancen an.

Bereiten Sie sich auf Ihr Alter vor?
Zugegeben – das Thema ist noch sehr weit weg. Was aber typisch ist für meine Generation: dass wir, kaum im Beruf, schon über die Rente reden. Also über die Witz-Rente, die uns erwartet. Wer traut schon seinem Rentenbescheid? Wir wissen ja nicht einmal, ob es das heutige System in 30 Jahren noch gibt. Und wann die nächste Finanzkrise unsere Ersparnisse ruiniert. Wir sorgen uns, dass wir im Alter wieder leben müssen wie in der Studentenzeit: Tütensuppe statt Biokost, WG statt großzügigem Altbau. Nur dass wir uns als Studenten nicht fragen mussten, ob die Krankenkasse das künstliche Hüftgelenk bezahlt.

Zur Person

Vera Tammen Cosima Schmitt, geboren 1975, hat in Hamburg, Montpellier und Mexiko-Stadt Geschichte, Germanistik und Volkswirtschaftslehre studiert und die Deutsche Journalistenschule in München absolviert. Von 2003 bis 2008 war sie Politikredakteurin der taz. Zusammen mit Manuel J. Hartung hat sie das Buch "Die netten Jahren sind vorbei. Schöner leben in der Dauerkrise" geschrieben, erschienen 2010 im Campus Verlag. Heute lebt und arbeitet sie als Redakteurin der Zeit in Hamburg und Berlin.

kst